Der Begriff Tradition ist sehr weit gefasst. Er bezeichnet nicht nur Sitten und Bräuche, sondern die Gesamtheit des Wissens und der Fähigkeiten einer Kultur. Trotzdem, wer denkt nicht zuerst an Folkloristisches wie Trachten, Bräuche und Volksfeste, sobald hierzulande der Begriff Tradition fällt? Traditionsreichtum dieser Art verortet man bevorzugt in Bayern.

Insbesondere die Tourismusbranche hat es verstanden, den traditionsbewussten Freistaat weltweit als Marke zu etablieren. Sobald Besucher aus den USA und dem Fernen Osten Good Old Germany bereisen, steht Bayern auf der Liste sogenannter Destinationen obenauf. Das Land mit seinen Königsschlössern und voralpenländischen Seen zu bestaunen, die Menschen bei blasmusikbegleiteten Trachtenumzügen, Schuhplattler- und Schnupfwettbewerben oder in Bauerntheaterrollen zu erleben, macht viele Touristen glücklich. Denn kultur- und naturlandschaftliche Sehenswürdigkeiten fügen sich mit gern vorgeführten Traditionen zu einem liebgewonnenen Bild zusammen. Das traditionsfreudige Bayern gibt nicht nur sein Bestes, die Erwartungen der Gäste zu erfüllen; Bayern gefällt sich in dieser Rolle auch selbst.

Doch neben allen Schaubräuchen gibt es andere, weniger extrovertierte Traditionsphänomene – zum Beispiel Handwerkstraditionen. Damit ist nicht der „Austragler“ gemeint, der im Freilichtmuseum ausgestorbene Handwerkstechniken wie Schindelschnitzen oder Seilziehen vorführt. Nein, trotz moderner Maschinen und Werkzeuge stehen Berufe wie Uhrmacher, Instrumentenbauer, Gold- und Silberschmiede, Glasbläser, Keramiker aber auch Mauer und Zimmerer oder Bäcker, Winzer und Bierbrauer in einer langen und vor allem lebendigen Tradition.

Traditionen bestehen eben nicht nur aus Relikten, die aus vergangener Zeit übriggeblieben sind und der Pflege bedürfen, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Mit jeder Generation kommen zum kulturellen Erbe und alten Wissen neue Herausforderungen und Entwicklungen hinzu. Sie gilt es zu meistern und das alte Können mit neuem zu ergänzen. So bleiben Traditionen bestehen. Der langen Kette an überliefertem Erfahrungen und Handlungsmustern werden also – bildlich gesprochen – ständig neue Glieder hinzugefügt.

Der Begriff Tradition ist positiv besetzt. Das weiß und nutzt die Werbung seit langem erfolgreich. Es wird kaum eine Brauerei geben, die sich nicht auf das bayerische Reinheitsgebot aus dem Jahr 1516 und seine hauseigene Brautradition beruft. Selbstverständlich versteht es auch der berühmteste aller bayerischen Bäcker, historisch an die einst höfische Pfisterei anzuknüpfen und seine Handwerkstradition zu feiern. Unternehmen mit langer Tradition setzen Tradition gleich mit Kontinuität, Erfahrung und Verlässlichkeit insbesondere im Hinblick auf die Qualität ihrer erzeugten Produkte. Nicht zuletzt, weil Tradition verpflichtet, wie man oft liest.

MS