Über 90 Bewerber versuchten nach dem Kriegsende 1945 von der amerikanischen Militärregierung die Lizenz für eine Zeitung in Regensburg zu erhalten. Der Erhalt einer Zeitungslizenz versprach in einer Zeit ohne Fernsehen und Radio Macht und einen enormen finanziellen Gewinn. Durchsetzen konnte sich der Sozialdemokrat Karl Friedrich Esser, der damit einer der ersten Verleger in Bayern wurde. Zunächst sollte die entstehende Zeitung die kompletten Regierungsbezirke Oberpfalz und Niederbayern abdecken, weshalb auch der Kunstbegriff „Mittelbayerische Zeitung“ gewählt wurde.

Der Weg zur eigenen Zeitung war für Esser während der NS-Zeit mit viel Leid verbunden gewesen. Geboren wurde Esser am 25.2.1880 in Landau in der Pfalz. Nach einem Studium in München arbeitete er als bayerischer Finanzbeamter. 1922 übernahm er den Ortsvorsitz der SPD in Regensburg, 1925 erlangte er einen Sitz im Stadtrat. Obwohl er kein ausgebildeter Journalist war, sammelte Esser parallel journalistische Erfahrungen. Er schrieb über 500 Artikel für die sozialdemokratischen Zeitungen „Volkswacht für Oberpfalz und Niederbayern“ und die „Neue Donaupost“.

Nach der Machteinsetzung der Nationalsozialisten verlor Esser als SPD-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat und führendes Gewerkschaftsmitglied direkt seine Stelle. Er kam bereits im März 1933 für kurze Zeit ins Konzentrationslager (KZ) Dachau, aus dem er wenige Tage darauf entlassen wurde. Anfang Juli 1933 wurde er erneut verhaftet und als letzter der Regensburger Sozialdemokraten erst am 21.3.1934 freigelassen. Im KZ musste er unter anderem im August und September 1933 mit 50 anderen Häftlingen beim Straßenbau mitarbeiten. Mit bloßen Händen mussten sie eine Straßenwalze ziehen.[1]

Esser war danach gezwungen Regensburg zu verlassen und zog nach München, wo er bis 1944 als Steuerfachmann arbeitete. Obwohl er bereits 1933 aus der SPD ausgetreten war, wurde er häufig schikaniert, wie zum Beispiel durch Hausdurchsuchungen und Gestapovorladungen. Sein Engagement gegen die NSDAP und die Völkischen hatte bereits 1920 begonnen und war von den Nazis nicht vergessen worden. So hatte er unter anderem Waffen für den Reichsbanner Schutz der demokratischen Republik organisiert. Zudem war er bei der Wehrsportausbildung beteiligt. Hinzukommend hatte er noch im Februar 1933 als einer der Organisatoren an einer Demonstration gegen die Nationalsozialisten teilgenommen.

Esser versuchte sich nun ins NS-System zu integrieren, um so sich und seine Familie vor den Nachstellungen der Gestapo zu schützen.[2] Die OMGUS-Akten im Bayerischen Hauptstaatsarchiv belegen, dass er zwischen 1936 und 1939 der Deutschen Arbeitsfront (DAF) angehörte und darüber hinaus der NS-Volkswohlfahrt (NSV) und dem NS-Rechtswahrerbund (NSRB), der Berufsorganisation der Juristen in NS-Deutschland. Letzteres mag mit seiner Tätigkeit als „Buchsachverständiger und Helfer in Steuersachen“ zusammenhängen. Zwischen 1937 und 1939 war Esser zudem Blockwart und Zugführer des Reichsluftschutzbundes. Damit war er zwar formal, aber nicht schwer belastet. Die über neunmonatige KZ-Haft und wohl auch die Sorge um seine Familie dürften dazu beigetragen haben, dass Esser sich dem Regime anpasste und Kompromisse einging. Zunächst hatte er damit Erfolg. Das NS-Regime erstellte wegen seines Antrags auf Aufnahme in den NSRB ein politisches Gutachten über ihn: „Er liest jetzt den V[ölkischen]B[eobachter], das ‚Schwarze Korps‘, gibt bei Sammlungen und benimmt sich nicht auffallend.“ Negativ wurde ihm ausgelegt, dass er NSDAP-Versammlungen nicht besuchen würde. Trotz des Gutachtens hatte das Regime ihn weiter im Visier. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 20.7.1944 musste er für vier Wochen erneut ins KZ Dachau, wo er schwer misshandelt wurde.

Sofort nach Kriegsende lief Esser mit seinem Sohn Karl Heinz (1930–1995) aus seinem damaligen Wohnort Hög bei Pfaffenhofen die rund 65 Kilometer lange Strecke nach Regensburg, wo er zunächst bei Verwandten unterkam. Dort schloss er sich dem SPD-Ortsverband an. Im Herbst 1945 wendete sich für ihn alles zum Guten: Am 23.10.1945 wurde ihm im Alten Rathaus in Regensburg die Presselizenz für die „Mittelbayerische Zeitung“ übergeben. Die Verlagsgeschäfte führte er bis 1961, ehe er sie an seinen Sohn Karl Heinz Esser übergab.

Michael Hellstern

[1] Seine folgenden Mitgliedschaften in NS-Organisationen wurden bislang nur in der unveröffentlichten Magisterarbeit von Michael Bledl erwähnt, der diese allerdings nicht konkret nachweisen kann, da er sich nur auf Essers Lizenzträger-Fragebogen stützt, den Bledl vom Verlag der MZ erhielt. Bledl, Entstehung. S. 29. Hilmer gibt lediglich an, dass Esser „über eine Widerstandsgruppe Kontakt zur SPD“ hielt, aber nur Auslandsnachrichten weitergab, vor allem an Bekannte. Hilmer, Verwaltung. S. 122 f.

[2] Bei seiner Ankunft in Dachau gab es Scheinhinrichtungen von Häftlingen. Der berüchtigte KZ-Aufseher Hans Steinbrenner misshandelte Häftlinge bei deren Ankunft und ermordete einige von ihnen. Esser sagte später vor Gericht im August 1948 gegen Steinbrenner aus. Vgl. den Bericht über die Inhaftierung von 27 Regensburgern in Dachau in: „Zur freundlichen Erinnerung“, MZ vom 24.9.1946; Auszug aus der Häftlingsdatenbank der KZ-Gedenkstätte Dachau zu Karl Friedrich Esser vom 29.10.2020; „Regensburger in Dachau“, MZ vom 8.3.1946 und die Namensliste des Arbeitskommandos Ampermoching unter KZ-Gedenkstätte Dachau DaA ITS 139/032; Halter, Regensburg. S. 100; „Vergessenes Mahnmal“, Münchner Merkur vom 3.12.2014.