Die Süddeutsche Zeitung hat am 20. April über eine geheime Beschlussvorlage des neuen Infektionsschutzgesetzes des Bundes berichtet.[1] Darin kommt auch die Kultur vor; aber sie kommt nicht gut weg; überhaupt nicht gut.

Veranstaltungen sind anscheinend nur möglich, wenn die Inzidenz 14 Tage unter 100 liegt. Na gut, denkt man sich, aber jetzt kommt der Hammer: Open-Air ist nur erlaubt, wenn die Inzidenz 28 Tage unter 50 liegt. Und selbst dann dürfen nur 50 Menschen kommen. Ein Skandal, ein Schlag ins Gesicht, könnte man jetzt sagen. Waren es nicht die Künstler, die letztes Jahr mit die besten Hygienekonzepte ausgearbeitet hatten?

Schimpfen, jammern und klagen bringt jetzt gar nichts. Eine andere Frage ist doch viel interessanter. Wie kann es sein, dass die Kultur immer zuletzt kommt? Und woran liegt das eigentlich?

Künstler/innen sind meistens schlechte Verhandlungspartner; schon zum Beispiel bei Gagen-Verhandlungen merkt man das. Nicht umsonst haben viele bekannte Künstler/innen auch Manager, die sie vertreten, die für sie sprechen und die für sie verhandeln. Wer aber vertritt die 99,9% aller Künstler/innen, die keinen Manager haben? Künstler/innen brauchen, wie die Wirtschaft das ja auch hat, starke Verbände und Vereinigungen, die ihre Interessen vertreten. Ganz einfach gesagt: Künstler/Innen brauchen Lobbyisten!

Natürlich gibt es nicht „den Künstler“ oder „die Künstlerin“ genauso wenig wie es „die Politik“ gibt, über die man immer gerne schimpft. Es gibt Musik und bildende Kunst, es gibt Theater und Kino etc.; und es gibt all die, die zwar nicht auf der Bühne stehen, ohne die es aber gar keine Bühne gäbe: Licht, Ton, Aufbau, Organisation.

Da ist aber noch ein Problem: Künstler/innen sind Einzelkämpfer. Nur ein Bruchteil von ihnen ist in Verbänden organisiert. Außerdem hat jede Kultursparte ihren eigenen Verband. Ist die Zeit nicht reif für einen Dachverband, der wirklich Gewicht hat? Die Kultur braucht Vertreter/innen, die den Weg des Diskurses gehen, Politiker/innen nerven und überzeugen. So wie das TUI, Adidas&Co auch gemacht haben. TUI und Adidas stehen zwar nicht, so wie die Kultur in Bayern, in der Verfassung, aber sie haben knallharte Lobbyarbeit betrieben. Sie haben das gemacht, was die Künstler/innen nicht gemacht haben.

In den 1960er Jahren hat ein großer Künstler im Alleingang den Abriss der Carnegie-Hall in New York verhindert. Es war Isaac Stern. Die Carnegie Hall, das ist für klassische Musiker das, was Mekka für die Muslime und der Petersdom für die Christen ist. Und Isaac Stern war damals der bekannteste Geiger Amerikas, dessen Einfluss bis ins Weiße Haus reichte. Wo aber sind unsere bekannten, großen Künstler? Wo ist ihr Einfluss? Wo sind ihre Beziehungen und ihre Netzwerke, wenn es darauf ankommt? Wo sind die Isaac Sterns unserer Zeit? Vor Gericht zu ziehen, wie es Gerhaher&Co gemacht haben, bringt gar nichts. Aber das hat Moritz Eggert ja bereits vor Monaten klug beschrieben.[2]

Was die Kultur braucht, das ist knallharte Lobbyarbeit; von Verbänden und großen Künstlern – und zwar schnell!

[1] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-corona-regeln-kultur-aufregung-1.5269222

[2] https://blogs.nmz.de/badblog/2021/02/25/standhaftigkeit-oder-aufstehen-offener-brief-an-aufstehen-fuer-die-kunst/

Christoph Goldstein
Foto: https://pixabay.com/de/photos/notbremse-zug-gefahr-2111981/