Wem würden beim Begriff Tracht nicht sofort auch Begriffe wie Heimat, Tradition und Identität in den Sinn kommen? Ja mehr noch, Tracht beinhaltet darüber hinaus Bekenntnisstatus im Sinne von Heimatliebe, Traditionsverbundenheit und Zugehörigkeit zu einer Region oder Gruppe. Dass Tracht aber in erster Linie und ursprünglich nur Kleidung war, und zwar der einfachen Bevölkerungsschichten, gerät bei so vielen wertenden Verknüpfungen in den Hintergrund.

Lange Zeit haben Trachten niemanden interessiert. Sie waren zu gewöhnlich. Welcher Stand welche Kleidung tragen durfte, war bis ins 19. Jahrhundert herein durch obrigkeitliche Kleiderordnungen festgelegt. Niemand hatte dem einfachen Volk Kleiderluxus zugestanden. Also: keine teuren Stoffe, keine aufwändigen Schnitte, keine modischen Akzente.

Die Bewertung von Trachten und der Umgang damit änderten sich im 19. Jahrhundert quasi über Nacht. Dahinter steckten politische Gründe. Im jungen Königreich Bayern mit den zu Altbaiern neu hinzugekommenen Landesteilen Franken und Schwaben erfuhren die Trachten ihre Neuinterpretation: von der einfachen Standeskleidung zu obrigkeitlich umgedeuteten Symbolen regionaler Herkunft. Damit mutierte die Tracht vom Kleidungsstück zum Heimatbekenntnis. Das Königshaus tat sein Übriges. Seine Mitglieder gewandeten sich in veredelten bäuerlichen Tegernseer Trachten ganz und gar unstandesgemäß, demonstrierten damit aber Volksnähe und setzten gleichzeitig einen Trend in Gang: die Trachtenbewegung.

Diese wurde vom ausgehenden 19. bis weit ins 20. Jahrhundert von den Gebirgstrachtenerhaltungsvereinen bestimmt, ehe man sich innerhalb der Trachtenverbände auf die Wiederbelebung regionaler und lokaler Trachten außerhalb Oberbayerns besann. Und damit nicht genug: Die Heimatpflege auf Landes- und Bezirksebene hatte erkannt, dass historische Schnitte und historisierende Trachten nicht mehr den Bedürfnissen der modernen Gesellschaft entsprachen. Damit schlug die Stunde der „Trachtenerneuerung“. Orientiert an den Quellen der Kostümkunde bzw. Trachtenforschung – Originale, Abbildungen, Archivalien, Literatur – sucht man seither Tradition und moderne Ansprüche, historische Anklänge und Tragekomfort in Einklang zu bringen.

Profunde Trachtenberatung in Niederbayern verbinden viele Trachtenträger mit dem Namen Franziska Rettenbacher. Als Trachtenberaterin war die gelernte Gold- und Silberstickerin aus Simbach am Inn seit 1982 für den Bezirk Niederbayern tätig und hat in dieser Zeit unzählige Trachtenerneuerungsmaßnahmen erfolgreich begleitet. Vielbesucht waren ihre Trachtenstickkurse im Freilichtmuseum Massing, wo sie ihre Trachtenberatungsstelle unterhielt und Interessierte fachkundig betreute. Auch in ihren Büchern gab Franziska Rettenbacher ihr umfangreiches Wissen weiter. Darüber hinaus leitete sie mit großer Hingabe das Simbacher Heimatmuseum. Franziska Rettenbacher ist am 18. Mai 2019 nach einem erfüllten Leben gestorben. Ihre Arbeit wird noch lange sichtbar bleiben.

MS