In diesen, ganz besonderen, Zeiten entdecken die Menschen wieder das Spazierengehen. Das Wort „spazieren“ gelangte über das lateinische „spatium“ und dem italienischen „spaziare“ ins Deutsche. Ursprünglich bedeutet es so viel wie „sich ergehen“. Sich ergehen, das war früher etwas für Adelige. Denn wer hatte schon Zeit, einfach zum Spaß herumzulaufen? Das änderte sich im 18. Jahrhundert: Der aufstrebende Bürger wollte sein eigener Herr sein. Hinauszugehen, wohin man wollte, das stand für Freiheit, für Selbstbestimmung.

Wenn die Natur endlich „vom Eise befreit“ ist und nach langen Wintern endlich das positive Frühjahrstreiben beginnt, dann ist es allmählich Zeit, wie in Goethes Faust, einen Osterspaziergang zu machen. Wer nicht so lange warten will, der kann natürlich auch einfach einen Sonntagsspaziergang machen.

Beim Spazieren handelt es sich um ein kulturelles Verhaltensmuster: Naturgenuss hat etwas mit veränderter Wahrnehmung zu tun – spätestens seit der Verstädterung und den bürgerlichen Gewohnheiten des 19. und 20. Jahrhunderts: Gewohnheiten wie der Sonntagsspaziergang nach dem Gottesdienst oder der Verdauungsspaziergang, der vielen mit dem Spruch eingeimpft wurde: „Nach dem Essen sollst Du ruh´n oder tausend Schritte tun.“

Auf dem Land ist man allerdings nicht spazieren gegangen. Die bäuerliche Bevölkerung musste in der Natur schuften und rackern. Das hat als „Naturgenuss“ gereicht. In der Freizeit hatte man Wirtshaus, Kirchweih, Markttage oder Schlenkeltage, wenn die Dienstboten um Lichtmess frei hatten.

Gerade in Zeiten der Globalisierung hat sich in der konventionellen Landwirtschaft diese Tendenz noch verstärkt. Weil es nur um schneller, größer, immer effizienter geht, hat man einfach keine Muße zum Spazieren. Und die Zahl der erholsamen Feiertage ist, parallel zum Kirchenbesuch, auch auf ein Minimum zurückgegangen.

Diese kulturellen Unterschiede zwischen Stadt und Land bleiben auch in Zeiten der Corona-Pandemie bestehen. Denn während die noch verbliebenen heimischen Landwirte jetzt händeringend Arbeitskräfte für die anstehenden Feldarbeiten, wie das Spargelstechen, suchen, dürfen sich derzeit nur noch Familien, Paare aller Art oder einzeln Sporttreibende im Freien aufhalten. Vielleicht entdecken dabei manche auch die touristischen Angebote wie den „Landshuter Höhenweg“ oder die zahlreichen Rad-Wanderrouten in der lokalen und regionalen Umgebung.

Das Virus zwingt uns einen Gang herunterzuschalten; zumindest diejenigen, die es sich leisten können oder derzeit dazu gezwungen sind. Dabei könnte man sich wieder daran erinnern, dass Spazieren den Geist beflügelt. Manche, wie Rousseau, behaupten ja, dass ihnen gerade beim Spazieren die besten Gedanken kommen. Oder wie es der Schriftsteller Johann Gottfried Seume (1763-1810) ausdrückte: „Es ginge manches besser, wenn man mehr ginge!“

HW