Schuster, Hirte, Studiosus – auf Umwegen nur gelangt Josef Schlicht, am 18. März 1832 als erster Sohn einer kinderreichen Gütlersfamilie in der Hallertau geboren, zu seiner letztendlichen Berufung, zum geistlichen Stand. Wie so mancher seiner Zeit vom Pfarrer und Lehrer als wacher Geist erkannt, führt ihn sein Weg vom Knabenseminar im Benediktinerkloster Metten über das Lyzeum in Regensburg schließlich 1856 bis zur Diakonats- und Priesterweihe. Seine Entscheidung für die geistliche Laufbahn scheint von Pragmatismus geleitet, seine Leidenschaft hingegen gehört dem Schreiben. Angeregt durch die gesellschafts- und kulturgeschichtlichen Schriften Wilhelm Heinrich Riehls, der gemeinhin als Vater der „Volkskunde als Wissenschaft“ galt, verfasst Schlicht ab den 1860er Jahren erste Landskizzen für das „Straubinger Tagblatt“, das Augsburger „Sonntagsblatt“ und diverse Schreibkalender. Diese Erzählungen bilden den Grundstock für „Bayerisch Land und Bayerisch Volk“ (1875), eine Sammlung von Anekdoten und Bildern aus dem ländlichen Niederbayern des 19. Jahrhunderts, die trotz eines halben Dutzends Folgepublikationen vorrangig mit dem Namen Schlicht in Verbindung gebracht wird.

Als „Chronist des bäuerlichen Lebens“ gilt er bis heute jenen, die selbst Vergleiche mit Johannes Aventinus nicht scheuen. Verklärt wird er von manchen als Ikone der Wissenschaft Volkskunde, die zu Schlichts Zeiten doch erst in den Kinderschuhen steckte. Ein Chronist mag er, der bis zu seinem Tod am 18. April 1917 als Schlossbenefiziat in Steinach nahe Straubing tätig war, gewesen sein – ein Geschichtsschreiber, vor allem aber ein Geschichtenschreiber.

Wirklich Geschichte geschrieben hat Josef Schlicht hingegen nicht. Diesen Anspruch haben andere lange nach ihm an sein Werk herangetragen. Bemerkenswert und aufschlussreich sind daher weniger seine malerischen Genredarstellungen – man nannte ihn auch den „Defregger der Feder“ – als vielmehr deren wechselhafte Rezeptionsgeschichte. In regelmäßigen Abständen erwacht die Schlicht-Begeisterung. Auffällig ist, dass das Interesse an Person und Werk stets in wertkonservativen Kontexten aufflammt, in der Heimatbewegung der Jahrhundertwende, politisch instrumentalisiert in der NS- und Nachkriegszeit – und im Aufleben von Heimatbewusstsein und Regionalismus des 21. Jahrhunderts? Lassen wir ihn ruhen in Frieden.

Christine Lorenz-Lossin