Jeder kennt die Situation: Beim Anschauen alter Fotos macht sich Erheiterung und Erstaunen im Freundes- und Familienkreis breit, angesichts offensichtlicher „Modesünden“ vergangener Jahrzehnte. Schon bald schwelgen alle in Erinnerungen an alte Bekannte und die damaligen Ansichten. Diese decken sich manchmal erstaunlich wenig mit dem aktuellen Selbstverständnis. Das ist nun durchaus nichts Ungewöhnliches. Die großen und bedeutsamen Ereignisse des Lebens sorgen ebenso wie alltäglichen Erfahrungen dafür, dass sich jeder Mensch fast zwangsläufig weiterentwickelt. Wenn der Unterschied zwischen früherem und heutigem Ich aber sehr groß ist, handelt es sich dann überhaupt noch um ein und dieselbe Person? Zweifelsohne eine schwierige Frage, die sich in abgewandelter Form auch auf Baudenkmäler beziehen lässt.

Auch Baudenkmäler verändern sich im Laufe der Zeit, wenn sie, wie z. B. bei Holzblockbauten, verwittern, modrig oder morsch werden. In letzterem Fall ist es unabdingbar, die kaputten Bauteile zu entfernen und durch möglichst originalgetreues Material zu ersetzen. Verliert ein Baudenkmal aber im Zuge dieser Erneuerung seine Identität?

Wichtig ist, wie viel von der Originalsubstanz verloren gegangen ist und wie schnell der Verlust eintritt. Denn problematisch sind vor allem solche Fälle, in denen ein Gebäude auf einen Schlag gänzlich oder größtenteils zerstört wird. Nach einem Brand führt z. B. oftmals kein Weg mehr an einer Rekonstruktion vorbei. So auch beim Ende 2020 wiedereröffneten Stadtschloss in Berlin oder beim Rathaus in Straubing, dessen Wiederaufbau Ende 2020 begonnen hat und sich über die kommenden drei Jahre erstrecken soll. Solche Rekonstruktionen bergen stets die Gefahr, dass das Original verfälscht wird. Dies war auch bei der Diskussion um den Wiederaufbau der Pariser Notre Dame zu sehen, als zeitweilig die prominent vertretene Forderung nach einer zeitgenössischen architektonischen Umgestaltung der Kathedrale im Raum stand.

Rekonstruktionen wird aufgrund mangelnder Authentizität abgesprochen, verlässlich Wissen über die Vergangenheit vermitteln zu können. Diesem Vorwurf der denkmalpflegerischen Wertlosigkeit mag manch einer entgegnen, dass auch historisierende Neubauten dazu in der Lage sind, die Bevölkerung an Bau-, Kunst- und Kulturgeschichte zu erinnern und damit einen zentralen Zweck von Denkmälern zu erfüllen.

Denkmalsanierungen, wie z. B. jene des aus dem 15. Jahrhundert stammenden Landshuter Holzblockbaus „Am Graben 23“, sind dagegen aus denkmalpflegerischer Sicht unstrittig weniger problematisch, da hier auf vorhandener Substanz aufgebaut werden konnte. Sie sind nach ihrer Fertigstellung lebendige Quellen der Vergangenheit und heben durch das Zusammenspiel von Alt und Neu den Entwicklungsprozess des jeweiligen Gebäudes hervor. So haben sie Zeugniswert, sind gegenwärtigen Generationen von Nutzen und können bei all dem auch noch sehr ansprechend aussehen.

Laurenz Schulz
Foto: Kulturreferat