Noahs Barthaare, Fischgräten von der Speisung der 5000, Tränen Christi oder Milch der Gottesmutter in handlichen kleinen Fläschchen – jahrhundertelang glaubten Christen an die Wundertätigkeit dieser Dinge und ihre Verweiskraft auf weit entfernte heilige Stätten. Der aufgeklärte Mensch belächelt solch skurrile Auswüchse mittelalterlicher Reliquienkulte, die mit rationalem Denken nicht nachvollziehbar sind. Die Moderne hingegen hat ihre eigenen, säkularen Gnaden- und Wallfahrtsorte geschaffen. Hier sind Generationen von Fans zu nennen, die ans Grab von Elvis Presley, Lady Di oder Michael Jackson pilgern. Aber auch (hoch)kulturaffine Menschen, die sich gefeit vor solchem Starkult wähnen, erliegen oft der Strahlkraft historischer Persönlichkeiten. Dies gilt im ‚Land der Dichter und Denker‘ vor allem für eine Vielzahl von Autoren und Schriftstellerinnen, die deutsche Literaturgeschichte geschrieben haben. Wer Weimar besucht, kommt an Goethes Gartenhaus und Schillers Arbeitszimmer nicht vorbei. Tabakdose, Schreibfeder und Tintenfass werden hier ebenso sorgsam gehütet, wie andernorts Kirchenschätze.

Die europaweit einzigartige „Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten e.V.“ vertritt über 215 Mitglieder mit dem erklärten Ziel, die literarische Vielfalt Deutschlands zu erhalten und ihr weiterhin die nötige Anerkennung und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Zum Dachverband gehören zahlreiche Literaturmuseen und Dichterstätten im In- und Ausland. Obwohl öffentliche wie private Träger mit immer knapperen Etats zu kämpfen haben, ist der Boom musealer Einrichtungen, gerade auch im Bereich Literatur, ungebrochen.

Zu den niederbayerischen Glanzstücken gehört die Ausstellung „Born in Schiefweg“, die seit 2010 im Geburtshaus der Heimatdichterin Emerenz Meier (1874-1928) nicht nur dieser starken Frau ein Denkmal setzt, sondern auch die Geschichte der Auswanderung aus dem Bayer- und Böhmerwald „ins Amerika“ erzählt. Im Rosenberger Gut bei Lackenhäuser erinnert ein Museum an Adalbert Stifters (1805-1868) dortige Aufenthalte. Auch hier darf der originale blitzsaubere Schreibtisch mit Tintenfass und Feder nicht fehlen.

Ein neues Kapitel ist Paul Friedl (1902-1989) gewidmet: Sein Geburtshaus in Pronfelden bei Spiegelau wird in den kommenden Jahren ins Freilichtmuseum Finsterau transloziert, um das denkmalgeschützte Gebäude vor dem Verfall zu retten und darin eine Begegnungs- und Pflegestätte für die Literatur des Bayerischen Waldes einzurichten. Auch, wenn der „Baumsteftenlenz“ nur die ersten drei Jahre seines Lebens in dem Haus verbracht hat – es wird Fans und Besucher finden, die sich von diesem Ort magisch angezogen fühlen.

Christine Lorenz-Lossin