Es gibt Geschichten, die liest man immer wieder. Man durchlebt sie immer wieder neu. Und das fühlt sich dann so an, also ob man wieder einmal an einen Ort kommt, den man liebgewonnen hat und den man in seiner Erinnerung bewahrt. So ist es mit unserer ersten Geschichte: „Bergkristall“ von Adalbert Stifter. Bei der allerersten Veröffentlichung 1845 hieß die Geschichte noch „Der Heilige Abend“. Erst als sie 1853 als Teil der Sammlung „Bunte Steine“ herauskam, hat sie den Titel Bergkristall bekommen. Aber worum geht es eigentlich? Gschaid und Millsdorf sind zwei abgelegene Bergdörfer, umgeben von hohen Bergen, auf denen das ewige Eis schimmert. Ein Pass trennt sie voneinander. Die Menschen, die in den beiden Dörfern leben, mögen sich nicht besonders leiden. Trotzdem haben einst der Schuster aus dem einen und die Färberstochter aus dem anderen Dorf geheiratet. Sie haben zwei Kinder, einen Bub und ein Mädchen. Am Heiligen Abend schickt die Mutter die beiden Kinder über den Pass zur Oma zum Mittagessen. Sie sollen ihr Weihnachtsgeschenke vorbeibringen und die herzlichsten Weihnachtsgrüße ausrichten. Eltern in der Stadt rutscht jetzt das Herz in die Hose: Wie kann man bloß auf so eine Idee kommen? Zwei kleine Kinder? Ein Gebirgspass? Aber für Kinder aus den Bergen ist ein Pass so etwas Gewöhnliches wie eine Ampel über eine große Kreuzung für Kinder aus der Stadt: nichts Besonderes. Zurück zu unserer Geschichte. Kaum haben sich die Kinder auf den Rückweg gemacht, da fängt es an zu schneien. Sie gehen weiter, denn der Pass ist ja nicht hoch und an der Stelle, an der sie nach Hause abbiegen müssen, da ist eine rote Säule. Aber es fällt so viel Schnee, dass sie sich verirren und sich bis in das Gebiet des ewigen Eises versteigen, das von unten vom Tal her so geheimnisvoll schimmert. Keine Angst, die Geschichte geht gut aus, aber wie die Kinder am Ende doch Rettung finden, sollten Sie selbst nachlesen.

Unsere zweite Geschichte ist von der österreichischen Autorin Vickie Baum. Sie war im deutschsprachigen Raum in den 1920 und 1930er Jahren ein literarischer Star. Viele ihrer Romane gibt es auch als Filme, zum Beispiel „Menschen im Hotel“. Schon 1932 ist sie in die USA ausgewandert, wo sie 1960 in Los Angeles gestorben ist. In ihrer Geschichte „Der Weihnachtskarpfen“ geht es um eine alte Tradition. Früher war es Brauch, an Weihnachten einen Karpfen zu verspeisen, und zwar nicht irgendeinen, sondern den besten! Die Jagd nach dem perfekten Karpfen war damals ein richtiger Sport. Warum musste es gerade ein Karpfen sein? Ursprünglich war der Advent eine Fastenzeit. Am ersten Weihnachtsfeiertag war die Fastenzeit vorbei. Von da an durfte man sich wieder den Bauch vollschlagen. Und am allerletzten Fasttag, dem Heiligen Abend, da gab es eben dann einen Karpfen, mit dem ganz viele Symbole verbunden sind. Ein Beispiel: Wenn man ein paar Schuppen des Karpfens, ein bisschen erinnern sie an Münzen, in seinen Geldbeutel legt, dann kann einem im neuen Jahr das Geld nicht ausgehen. Aber zurück zu unserer Geschichte. Sie handelt von einer Wiener Familie. Immer am Nikolaustag kommt die Tante Mali vom Land zu Besuch. Sie ist jedes Jahr bis über Weihnachten da. Sie ist es, die kocht und bäckt und sie ist es, die Jahr um Jahr am Heiligen Abend auf die Jagd nach dem besten Karpfen der Stadt geht. Ein Jahr folgt auf das andere und ein Karpfen folgt auf den anderen; jahraus, jahrein. Dann kommt der Krieg, die Zeiten werden schlecht: Je länger der Krieg dauert, desto schlechter werden sie. Und: keine Chance einen Karpfen zu bekommen. Tante Mali aber schafft es, sie besorgt einen Karpfen. In einem Eimer schleppt sie ihn bis in die Stadt. Jetzt ist es aber noch lang bis Weihnachten. Wo soll der Karpfen hin? Es bleibt nur die Badewanne. Und so wird er ein Teil der Familie. Sogar einen Namen bekommt er. Adalbert heißt er. Ob es die Familie übers Herz bringt, ihn zu töten und zu verspeisen, das müssen Sie schon selbst herausfinden…

Die Autor/innen unseres Blogs wünschen Ihnen eine angenehme Adventszeit mit ganz viel Zeit zum Lesen. Welche Weihnachtsgeschichte würden Sie empfehlen?

Christoph Goldstein
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