Zuzeln? Oder mit Messer und Gabel? Schon die Frage, wie man eine Weißwurst verspeisen soll, darüber geraten die Bayern in Streit. Noch uneiniger sind sie sich bei der Frage, wie und wann die Weißwurst eigentlich entstanden ist. Oder ist es ihnen wurscht? – Begeben wir uns auf eine kleine Zeitreise:

Der Legende nach beginnt alles mitten im Fasching, am 22. Februar im Wirtshaus „Zum Ewigen Licht“ am Münchner Marienplatz: Irgendwie sind dem Wirt, dem Moser Sepp, damals die Schafsdärme für die Kalbsbratwürste ausgegangen. Was sollte er bloß tun? Die Gäste hatten Hunger und wurden allmählich ungehalten. In der Not hat der Moser Sepp das Kalbsbrät dann einfach in Schweinedärme gefüllt. Und weil die zu dick und zäh für Bratwürste sind, hat er sich gedacht: „Gut, dann lassen wir sie halt einfach in einem großen Topf mit heißem Wasser ziehen.“ Gesagt, getan. Als er dann seinen hungrigen Gästen die Würste serviert hat, waren sie natürlich erstmal grantig und haben geschimpft, dass das ja keine Bratwürste seien. Aber bald konnten sie gar nicht mehr genug von den Weißwürsten bekommen; soweit die Legende. Den Moser Sepp gab es wirklich und sein Wirtshaus auch. Aber die Weißwurst erfunden, hat er wohl nicht.

Die Weißwurst geht vielmehr auf eine alte Münchner Spezialität zurück: Nämlich die Altmünchner Maibockwurst, die mit Radi als „Unterlage“ zum Maibock serviert wurde. Der Maibock ist ein Starkbier, das vom 1. Mai bis Fronleichnam ausgeschenkt wurde. Die Altmünchener Maibockwurst darf man nicht mit der Bockwurst verwechseln, wie man sie heute kennt. Die Bockwurst ist eine ziemlich lange Wiener. Die Altmünchner Variante war viel dicker und mit Kalbs- und Schweinsbrät gefüllt, in Schweinsdärme gefüllt und wurde in großen Wurstkesseln warmgemacht; ähnlich wie die Weißwurst heute. Auf einer Darstellung aus dem Jahr 1814 kann man beobachten, wie in einem Münchener Bierkeller zur Maibockzeit eine solche Wurst verzehrt wird; natürlich ohne Messer und Gabel.

Dass die Weißwurst Mitte des 19. Jahrhunderts so beliebt wurde, mag in der Geschichte Münchens wie ein Zufall aussehen. Wirft man aber einen Blick in die Geschichte der Schweinezucht, löst sich dieser Zufall auf, da die Entwicklung der Weißwurst eng mit der Geschichte und Entwicklung der Schweinezucht im 19. Jahrhundert zusammenhängt. Denn die Weißwurst besteht ja neben Kalbfleisch zu einem großen Teil aus Schweinefleisch.

Bis ins 18. Jahrhundert wurden Schweine noch auf Weiden gehalten. Die landwirtschaftlichen Flächen, die man hatte, waren für die Schweinemast nicht ertragreich genug. Man hatte eh schon alle Hände voll zu tun überhaupt genug Nahrungsmittel für die Menschen herzustellen. Und so ging der Schweinebestand, insbesondere nach dem Dreißigjährigen Krieg, immer weiter zurück. Fleisch konnte man sich damals, wenn überhaupt, nur an Festtagen leisten.

Im 19. Jahrhundert stieg die Bevölkerung und damit der Bedarf an Nahrungsmitteln rasant an. Die Landwirtschaft musste ihre Produktion erhöhen. Sie musste effektiver und industrieller werden: 1816 gab es nur 3,5 Millionen Schweine in Deutschland. 1914 waren es schon 20 Millionen. Im Jahr 1816 lag der Gesamtverbrauch von Fleisch in Deutschland pro Kopf noch bei 14 kg (25%). Der Anteil von Schweinefleisch belief sich dabei nur auf 3,5 kg. Im Jahr 1907 hatte sich der Fleischverbrauch pro Kopf mit 47 kg mehr als verdreifacht. Der Anteil von Schweinefleisch hatte sich auf 28 kg (60%) erhöht.

Die Engländer waren im 19. Jahrhundert den Deutschen in der Schweinezucht weit voraus. Also importierte man das englische „Large White“ und kreuzte es mit dem deutschen Landschwein. So entstand nach einigen Jahren das für die Mast viel effektivere Deutsche Edelschwein: Um 1800 brauchte ein Mastschwein noch zwei bis drei Jahre bis es auf 40 kg Schlachtgewicht kam, um 1900 nur noch 11 Monate für ein Schlachtgewicht von 100 kg.

Es war also kein Zufall, dass die Metzger im 19. Jahrhundert alte Wurstrezepte erneuerten und den Schweinefleischanteil erhöhen konnten. Möglich gemacht hat es eine Verlagerung der Landwirtschaft und Schweinemast von der Selbstversorgung hin zur industriellen Produktion, die wir heute erleben, wo Schweineställe fast nicht von Fabriken zu unterscheiden sind.

CG