In jeder Verschwörungstheorie schlummert auch etwas Gutes: Die Tugend, Dinge kritisch zu hinterfragen. Und das ist etwas Positives, Verschwörungstheorie hin oder her.

Wenn man aber nur auf der Suche nach schnellen Antworten ist, dann sind Verschwörungstheorien gefährlich. Dann kann es leicht passieren, dass der Glaube an Verschwörungstheorien zu einem verzweifelten Versuch wird, die immer komplizierter werdende Welt irgendwie zu erklären.

Verschwörungstheorien ziehen sich durch die Geschichte der Menschheit wie ein roter Faden: Im Mittelalter hat man den Juden die Pest in die Schuhe geschoben. Angeblich hätten sie Brunnen vergiftet. Erst viel später hat man herausgefunden, dass Flöhe die Pest übertragen haben. Als das Aids-Virus um die Welt ging, waren sich viele Menschen sicher, die Amerikaner hätten das Virus in einem Geheimlabor gezüchtet. Irgendwie kommt uns das doch bekannt vor! Versuchen im Moment nicht auch Chinesen und Amerikaner sich gegenseitig die Schuld an der Corona Pandemie zuzuschieben?

Der Mensch ist ein Sinnsucher. Ungewissheit hält er nicht aus. Und wenn er aus seiner scheinbaren Sicherheit herausgerissen wird, wird er ärgerlich. Deswegen sind Verschwörungstheorien gerade dann beliebt, wenn es drunter und drüber geht.

Ganz früher hat der Mensch Dinge, die er sich einfach nicht erklären konnte, auf die Götter geschoben. So hatte alles scheinbar seinen Sinn. Alles war geordnet. Dagegen haben schon die antiken Philosophen gewettert. Sie waren die ersten, die begonnen haben, kritisch zu hinterfragen. Viele von ihnen wurden wegen Gotteslästerung angeklagt, verbannt oder zum Tode verurteilt. Auch der christliche Gott musste immer wieder dann herhalten, wenn sich die Menschen etwas nicht erklären konnten.

In unserer Zeit werden Menschen oft vorschnell als Verschwörungstheoretiker bezeichnet. Oft nur, weil sie einfache Antworten von offizieller Seite kritisch hinterfragen. Dabei ist gerade das so wichtig! Ohne kritisches Nachfragen hätte niemand die offiziellen Begründungen für den Überfall auf Polen 1939, für den Eintritt der USA in den Vietnam-Krieg oder für den Irak-Krieg 2003 als Lügen entlarven können.

Wer also kritisch nachfragt, wer sich seine eigenen Gedanken macht, der ist noch lange kein Verschwörungstheoretiker. Nicht die kritische Frage, sondern die einfach Antwort sollte uns misstrauisch machen. Aber das hat Günter Eich schon 1959 gesagt, als er den Büchner-Preis bekommen hat. Was er da sagt, ist aktueller denn je:

„Das Verzwickte unserer Situation ist es, daß die Antworten da sind, bevor die Fragen gestellt werden, ja, daß viele uns wohlgesinnte Leute meinen, da es so gute Antworten gäbe, solle man auf die Fragen überhaupt verzichten. Man verzichtet also und die Antworten tummeln sich und wachsen kräftig heran. Sie läuten uns morgens schon wach, essen Vollkornbrot und atmen richtig, blasen Märsche, brennen Weihrauch und tragen rote und andersfarbige Fahnen. Nein, ich bin nicht auf Antworten aus, sie erregen mein Mißtrauen. Ich optiere für die Frage, für die Kritik […]“

 

Christoph Goldstein
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