Ein NSDAP-Funktionär aus Niederbayern entpuppt sich als Organisator von Holocaust-Verbrechen in der Ukraine: Als Fachschullehrer beruflich gescheitert, avanciert Josef Glück zum NSDAP-Kreisleiter in Vilshofen und Regen, 1936 zum Bürgermeister von Zwiesel. Geschickt macht er sich unentbehrlich an der Seite der Gauleitung in Bayreuth. Als Sonderbeauftragter des Reichsministers Alfred Rosenberg gelangt Glück 1942 in die Ukraine und beteiligt sich an der »Liquidation« des Ghettos von Luzk. Durch Massenerschießungen werden 25.000 Jüdinnen und Juden von deutschen Polizeibeamten ermordet.

Josef Glück wird am 4. Juli 1905 in Haardorf geboren, heute ein Ortsteil der Stadt Osterhofen in Niederbayern. Die Kindheit verbringt er auf einem bäuerlichen Anwesen nahe Ortenburg. 1918 erscheint Josef Glück als Schüler an der Glasfachschule Zwiesel. 1924 beruft ihn Fachschuldirektor Bruno Mauder zum Hilfsfachlehrer für Glasschnitt (Glasgravur). Seit 1921 bestehen in Zwiesel eine der ersten und mitgliederstärksten Ortsgruppen der NSDAP in Bayern und eine schlagkräftige SA-Abteilung. Hier tritt Glück sechszehnjährig mit einer Gruppe anderer Fachschüler der SA bei, zum 18. Geburtstag auch der NSDAP. 1931 überwirft sich Glück mit dem Fachschuldirektor. Er tritt aus NSDAP und SA aus und zieht arbeitslos nach Aldersbach, wo sich seine Angehörigen mittlerweile niedergelassen haben.

Als sich Ende 1932 eine „Machtergreifung“ der NSDAP abzeichnet, erblickt Glück Chancen, mit Hilfe mit der NSDAP eine neue berufliche Stellung zu gewinnen. Den Parteiaustritt 1931 verschweigt er, denn „Alte Kämpfer“ werden bei der Postenvergabe bevorzugt. Er gründet in Aldersbach eine NSDAP-Ortsgruppe. Geschickt macht er sich unentbehrlich an der Seite der Kreisleitung in Vilshofen. Als Arbeitsloser kann er seine ganze Kraft in den Dienst der Partei stellen. Die Gauleitung in Bayreuth wird auf den rabiat zupackenden Glück aufmerksam und bahnt ihm eine triumphale Rückkehr in den Kreis Regen. 1934 wird er in die NSDAP-Kreisleitung Regen sowie zum Bürgermeister der Stadt berufen. 1936 wechselt Glück als Bürgermeister nach Zwiesel, wo der Sitz der Kreisleitung eingerichtet wird. Rücksichtslos drückt er die NSDAP-Gewaltherrschaft durch.

Um dem steigenden Unmut in der Bevölkerung abzufedern, werden 1940 hohe „uk“-gestellte NSDAP-Funktionäre, die vom Kriegsdienst verschont wurden, aufgefordert, sich für einen befristeten Einsatz beim Militär „freiwillig“ zu melden. Glück meldet sich nicht zur Wehrmacht, sondern an der Seite von Gauleiter-Stellvertreter Ludwig Ruckdeschel zur Waffen-SS. Beide besuchen einen Unteroffizierslehrgang der SS-Division Totenkopf, einer Truppe, die sich aus den Wachmannschaften der KZs Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald rekrutiert.

Das Unternehmen „Barbarossa“, der Feldzug gegen die Sowjetunion, eröffnet ab 1941 neue Karrierechancen. Der Reichsminister für die besetzten Ostgebiete Alfred Rosenberg ernennt Ruckdeschel zum künftigen „Generalkommissar“ für das Gebiet Tula südlich von Moskau. Ruckdeschel zieht seine Getreuen aus dem Gau Bayerische Ostmark nach, darunter Josef Glück. Dieser bringt drei weitere Angehörige seiner Kreisleitung auf der Personalliste für Tula unter. Offensichtich haben die Parteifreunde ausgemacht, sich in Russland nach dem Sieg als Kolonialherren niederzulassen. Doch der Blitzkrieg scheitert. Ruckdeschel meldet sich erneut zur Waffen-SS. Glück nützt seine Verbindung zu Reichsminister Rosenberg und wird 1942 als „Sonderbeauftragter“ in das Zivilverwaltungsgebiet Wolhynien und Podolien in der Ukraine abkommandiert. Der Reichsminister persönlich bittet Glück, das leitende Personal im Generalbezirk auf Tauglichkeit und Zuverlässigkeit zu inspizieren. Die größte Aufgabe der Zivilverwaltung im Jahr 1942 ist die Organisation der „Endlösung der Judenfrage“.

Der „Sonderbeauftragte“ Josef Glück, Reservist der SS-Totenkopf, trifft im Juli 1942 in der Ukraine ein, auf dem Höhepunkt der organisierten Massenerschießungen, die seit Frühjahr in der Ukraine, wie auch in Belarus und Polen, verstärkt durchgeführt werden und bis Jahresende die Auslöschung der gesamten jüdischen Bevölkerung zum Ziel haben. Glück, der in Luzk, der Hauptstadt des Generalbezirks Wolhynien und Podolien, residiert, befehligt im August 1942 nach Zeugenaussagen die Liquidation des örtlichen Ghettos mit über 20.000 Bewohnern.

Beginnend mit dem 19. August 1942 werden in Luzk binnen fünf Tagen mindestens 15.000 jüdische Bewohner der Stadt von deutschen Polizeibeamten erschossen. Bis zum Ende des Jahres 1942 folgen drei weitere Massenexekutionen. Heute erinnert ein Gedenkstein in Luzk an 25.658 jüdische Bürger aus Luzk und Umgebung, die hier zugrunde gingen. Josef Glück hat sich nach Aussagen einer größeren Zahl von Zeugen mit seiner ganzen Kraft dafür eingesetzt, dass diese Menschen gefangen, beraubt, gequält und ermordet wurden.

Die ermittelten Beweise reichen der Staatsanwaltschaft Hannover, um am 30. Juli 1964 Anklage gegen Josef Glück zu erheben wegen Mordes in mehreren einzelnen Fällen und wegen Beihilfe zum Mord in mehreren Fällen sowie wegen Beihilfe zum Massenmord in mehr als 15.000 Fällen. Zum Prozessauftakt im November 1965 erscheint Glück nicht. Ein Gerichtsarzt in München hat kurz vor Klagerhebung Reise- und Verhandlungsunfähigkeit attestiert. Die Überlebenden dringen immer wieder auf die Wiederaufnahme des Verfahrens, doch die amtsärztlichen Atteste werden immer wieder erneuert. Als endlich eine dauernde Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt wird, wird das Gerichtsverfahren am 6. April 1973 endgültig eingestellt. Niemand wurde für den organisierten Massenmord an der jüdischen Bevölkerung von Luzk je zur Verantwortung gezogen – dies gilt bis zum heutigen Tage.

Josef Glück ist ein Zufallsfund, aber seine Biographie kein Einzelfall. Sie steht spiegelbildlich für eine unbekannte Vielzahl regionaler NS-Führungsfiguren, die trotz schwerer Belastung mit verbrecherischen Handlungen nach 1945 völlig unbehelligt davongekommen sind, weil weite Teile der deutschen Bevölkerung im Zweifel für die Täter gesprochen haben und gegen die Opfer, und weite Teile der Justiz sich einreihten in die Legende, man habe nichts gewusst, und sollten doch vereinzelt Untaten vorgekommen sein, so sei dies das Werk einiger weniger SS-Angehöriger gewesen.

„Ich habe niemals ein Verbrechen begangen!“ – bekennt Josef Glück vom 29. September 1950 in einem Gesuch an das Bayerische Staatsministerium für Sonderaufgaben. Unter diesem Titel ist die Biographie Glücks im Oktober 2023 im PUSTET-Verlag in Regensburg erschienen. Möge sich der Leser selbst ein Bild machen. Das Buch wird in einer Reihe von Veranstaltungen besprochen, demnächst am 21. November (18:00 Uhr) in Zwiesel (Waldmuseum) und am 30. November (18:30 Uhr) in Aldersbach (Kultur- und Begegnungszentrum). Weitere Lesungen auch überregional sind geplant.

Franz X. Keilhofer
Foto: 1 Sig. R 9361-II-299518 Bundesarchiv Berlin. GLÜCK Josef 1937