Wann immer von gefährdeten Tierarten die Rede ist, denkt man zuerst an Exoten wie den Indischen Tiger, Afrikanischen Berggorilla, Savannenelefanten oder den Weißspitzen-Hochseehai. Die Rote Liste, welche die Weltnaturschutzunion IUCN seit 1963 regelmäßig herausgibt, verzeichnet aktuell 93.000 Tier- und Pflanzenarten, von denen 24.000 vom Aussterben bedroht sind. Schon lange ist es nicht mehr die Natur, die aussiebt, was sich nicht optimal an die Lebensbedingungen anpasst wie einst die Dinosaurier vor schier unvorstellbaren 65 Millionen Jahren. Vor allem der Mensch sorgt dafür, dass sich die Aussterberate drastisch und mit zunehmender Geschwindigkeit erhöht. Stets und überall auf der Erde sind es dieselben Faktoren, die dazu führen: die Zerstörung von Lebensraum durch Industrie, Landwirtschaft, Infrastrukturmaßnahmen und Verschmutzung, der Ressourcenverbrauch sowie der Klimawandel.

Innerhalb Europas erreicht Deutschland die höchsten Negativwerte bedingt durch intensive Flächennutzung und massiven Eintrag von Schad- und Nährstoffen. So sind hierzulande 36 Prozent der einheimischen Tierarten und 72 Prozent ihrer Lebensräume bedroht. Dabei richtet sich der Blick in der öffentlichen Darstellung ausschließlich auf die Wildtierarten. Wie ist es aber um die alten Nutztierrassen aus der heimischen Landwirtschaft bestellt?

Wer ahnt, dass zum Beispiel die Bayerische Landgans, das Rottaler Pferd, Augsburger Huhn, Murnau-Werdenfelser Rind, Angler Sattelschwein, Marderkaninchen, Bayerische Waldschaf und viele andere der Haus- und Nutztierrassen in ihrem Bestand extrem gefährdet sind? Etwa 130 Nutztierrassen stehen allein in Deutschland auf der Roten Liste. Das Deutsche Weideschwein oder das Kelheimer Rind sind längst ausgestorben. Von den 35 Rinderrassen, die man im ausgehenden 19. Jahrhundert allein in Bayern noch kannte, gibt es mittlerweile nur mehr fünf. Die Ursachen für diese alarmierenden Rückgänge liegen in der stark veränderten Nutztierhaltung nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Großteil der heutigen Tierbestände setze sich mittlerweile aus wenigen Hochleistungs-Tierrassen zusammen, teilt die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH e. V.) mit. Diese Gesellschaft wurde 1981 im niederbayerischen Rottal gegründet, sitzt heute im hessischen Witzenhausen und hat sich ihrem Ziel aus guten Gründen verschrieben. Das Leistungsvermögen der alten bodenständigen Rassen werde nämlich unterschätzt, obwohl sie mit ihrer Standortangepasstheit, Genügsamkeit, Robustheit, Langlebigkeit, hohen Fruchtbarkeit und Qualität besonders wertvolle Eigenschaften besitzen. Weitere gewichtige Aspekte kommen hinzu und lassen aufhorchen: Mit jeder verlorenen Rasse geht auch wertvolles genetisches Potential verloren. Dies ist ein unwiederbringlicher Verlust von Kulturgut und führt zu einer Verarmung des Landschaftsbildes. Denn die alten Rassen sind Ergebnis eines langen Entwicklungsprozesses, über Generationen und Jahrhunderte hinweg gezüchtet. Sie prägen ihr Verbreitungsgebiet in vielfältiger Weise. Damit stellen sie schützenswertes Kulturgut dar ähnlich wie Baudenkmäler, Kunstwerke oder alte Bäume.

Nicht nur deshalb verdient neben dem wilden Indischen Tiger auch die züchterisch kultivierte Bayerische Landgans unsere Aufmerksamkeit.

MS
Bild: Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH)