Am 16. Februar 1913 berichtete das Pariser Jugendmagazin „La Jeunesse illustrée“ über die erste weibliche Metzgermeisterin, Madame Kathi Littich aus Ergoldsbach in Niederbayern, in der Sparte „Wahre Begebenheiten“. Blutig, brutal und kräfteraubend sei das Fleischerhandwerk, ganz und gar unweiblich. Dennoch habe Madame Kathi, Ehefrau eines Metzgers im niederbayerischen Ergoldsbach, die Fleischerprüfung mit Bravour bestanden und den Titel der Metzgermeisterin errungen. Mit außergewöhnlicher Geschicklichkeit habe sie vor der Jury einen Ochsen zerlegt und mit nicht weniger Meisterhaftigkeit ein Schwein und ein Kalb auf der Fleischbank nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen. Die den französischen Artikel bebildernde Grafik zeichnet eine zierliche Frau mit ondulierter Hochsteckfrisur, die voller Grazie vor einem ausblutenden Kalb posiert, ein schwertähnliches Schlachtermesser in der einen, die Kalbshaxe, triumphierend, einer Göttin des Gemetzels gleich, in der anderen Hand hochhaltend.

Darstellung von Kathi Littich in der französichen Zeitung „La Jeunesse illustrée“ vom 16.02.1913.

Von der Allgemeinen Fleischer-Zeitung wurde dies als „nicht aufzuhaltender Fortschritt“ gelobt, woraufhin es entrüstete Leserbriefe hagelte – ein Shitstorm Anno 1912, dem Jahr, in dem Kathi Littich die Meisterprüfung bereits abgelegt hatte. Bis sich diese Sensation in der ganzen Welt verbreitete, sollte einige Zeit vergehen. Kathi Littich erhielt ein Jobangebot von einem großen Hotelbesitzer aus den Vereinigten Staaten von Amerika mit einem sensationellen Jahresgehalt in Höhe von 50.000 Dollar. Ein Repräsentant dieses Grand Hotels besuchte sie persönlich in Ergoldsbach, um ihr das Angebot zu unterbreiten. Sie solle zwei Jahre lang in New York vor einem öffentlichen Publikum schlachten, Schnitzel, Filets und Würste zubereiten. Man kann sich den fiktiven Dialog ausmalen. „Money for meat?“ fragte der Gentleman aus Big Apple. „Jawoi!“ erwiderte die Ergoldsbacherin und unterschrieb den Vertrag. In „La Jeunesse illustrée“ endete die Geschichte hier und wurde als „Victoire féministe“, als Sieg des Feminismus gefeiert. Happy End?

Nicht ganz. Die Geschichte ging noch weiter, wie französische und deutsche Zeitungen des Jahres 1912, die von den Autoren der Jugendillustrierten scheinbar ignoriert wurden, berichteten. Denn Kathi Littich musste erst um Erlaubnis ihres Ehemannes bitten. Dieser, ebenfalls Fleischer, war über die Auswanderungswünsche seiner Gattin nicht amüsiert. Das im Deutschen Kaiserreich geltende Bürgerliche Gesetzbuch von 1896 billigte dem Ehemann die alleinige Entscheidungsbefugnis zu. Paul Naulais, Reporter der Zeitung „Excelsior“, malte sich den Ehestreit der Littichs in der Metzgerei als wahre Szene eines Schlachtfelds aus. „Kriegsausbruch wegen Beefsteaks“ lautete der Titel seines Beitrags vom 1. September 1912. Dabei ging es um mehr als die Querelen der Metzgersleute. Der Hotelbesitzer, so schreibt Naulais, drohte aufgrund des Vertragsbruchs von Kathi Littich damit, amerikanische Truppen nach Kiel zu schicken und die Hafenstadt bombardieren zu lassen. Ein diplomatischer Eklat zwischen dem Deutschen Kaiserreich und den Vereinigten Staaten von Amerika!

Der amerikanische Konsul musste schlichten und konnte für beide Parteien eine Lösung finden. Der New Yorker Hotelier zahlte dem Ehepaar Littich einmalig 10.000 Dollar für das Monopol auf den Verkauf von Ansichtskarten, auf denen Kathi mit Säge neben ihren geschlachteten Ochsenhälften abgebildet war. Damit war auch ihr Gatte einverstanden. Victoire feministe?

Zum Teil ja. Es war ein Anfang. Das Jahr 1912 war eine Zeit des Aufbruchs, in dem sich weltweit Frauenbewegungen mobilisierten und Rechte einforderten. Am 24. September 1912 fuhren bürgerliche Damen in 18 pferdebespannten Kutschen durch München, um für ihr Stimmrecht bei der Wahl zu protestieren. Es sollte noch bis 1919 dauern, als Frauen erstmals in Deutschland zur Wahlurne schreiten durften. Erst 1958 trat das „Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau“ in Kraft.

Kathi Littichs Geschichte wird als Teil der Dauerausstellung im neu entstehenden Goldbachmuseum in Ergoldsbach erzählt werden und dadurch wieder mehr Sichtbarkeit erlangen.

Julia Maier