Geboren wurde Erhard Kutschenreuter am 18. Juni 1873 in Schalding bei Passau. Der Vater, Bahnmeister in Schalding, stirbt als Erhard neun Jahre alt ist. Erhard wächst nun bei seinem Onkel mütterlicherseits auf. Sein Onkel ist Lehrer, Chordirigent und Organist in Passau. Und weil der kleine Erhard recht musikalisch zu sein scheint, soll er auch Lehrer werden. Aber gut hat er es bei seinem strengen und oft auch groben Onkel nicht:

„Schlug eine Turmuhr an, läutete eine Glocke oder kam irgendein anderer Schall an unsere Ohren wurde die Frage an mich gerichtet: ,Was ist das für ein Ton?‘ Gab ich dann z. B. als falsche Antwort die Auskunft ,ge‘, so ertönte des Onkels Stimme: ,Du Lausbub, ,as‘ ist es‘ und seine schwer Hand saß an meiner Backe und zwar oft mit solcher Kraft, dass ich taumelte und mit knapper Not mich vor einem Sturz auf die Straße aufrecht erhalten konnte.“

Nach der Realschule kommt Erhard drei Jahre an die Präparandenanstalt für angehende Volksschullehrer in Passau und anschließend drei Jahre ans Lehrerseminar in Straubing. Die Ausbildung für angehende Lehrer ist zu dieser Zeit im musikalischen Bereich von beneidenswerter Vielseitigkeit: Violine, Orgel, Klavier, Choralgesang, Improvisation und Musiktheorie (Harmonielehre, Generalbaß etc.) sind Pflicht. Die Musik steht deswegen so im Zentrum der Lehrerausbildung, weil damals die Volksschullehrer auch Organisten, Chorleiter und Musiklehrer waren.

Kutschenreuters erste Station ist Passau. Als Schulpraktikant untersteht er seinem Onkel. Aber das geht nicht lange gut. Sein Onkel ist so grob zu ihm, dass er sich hinterrücks versetzen lässt. Kutschenreuter kommt nach Niederhöcking bei Landau. Von nun an beginnt ein Reigen an Konflikten mit den Behörden und der Bürokratie und eine Odyssee von Versetzungen: Mal ist es ein Späßchen, das er sich erlaubt, ein blöder Spruch, Musizieren im Wirtshaus etc., was Anstoß erregt. Seine nächsten Stationen sind Zenting, Pankofen, Grattersdorf, Englmar und Rainding. 1899 wird er nach Rudelzhausen bei Mainburg versetzt. Dort lernt er seine zukünftige Frau Therese kennen, die Tochter eines reichen Hopfenbauers. 1902 wird Kutschenreuter befördert und nach Neuschönau versetzt. Dort schreibt er, am Tag der Geburt seines Sohnes den berühmten „Waldler-Marsch“. Aber auch hier gibt es bald Ärger und er wird nach Oberiglbach bei Vilshofen versetzt. Kutschenreuter ist ein sehr geselliger und lustiger Mensch, der nicht um einen witzigen Spruch verlegen ist, auch öfters eine Maß zu viel trinkt und vom Wirtshaus mit der Schubkarre nach Hause gebracht werden muss. Von jeder seiner zahllosen Stationen als Lehrer gibt es unzählige Anekdoten, die teilweise wahr sind, teilweise erfunden und sogar teilweise von Kutschenreuter selbst erfunden sind.

1907 wird sein allererstes Singspiel „Der Hauptmann von Köpenick“ am Theater in Passau uraufgeführt. Die Handlung ist an die Eulenspiegelei angelehnt, die 1906 wirklich in Köpenick passiert ist und der erst 1930 Carl Zuckmayer seine heute bekannteste Form verliehen hat. Zwei Jahre später wird in Passau Kutschenreuters Operette mit dem Titel „Der Fremdling“ uraufgeführt. Der Berichterstatter der Vilshofener Zeitung schreibt: „Da die Handlung und der Aufbau des Werkes noch einiger bedeutender Korrekturen bedarf, wird der ,Fremdling‘ vorerst der Bühne wohl noch ein Fremdling bleiben.“

Kutschenreuters erster großer und zeit seines Lebens größter Erfolg ist sein, auch heute noch aufgeführtes, Singspiel „Der Holledauer Fidel“ (geschrieben 1916, Uraufführung 1920 in Passau). Die Handlung ist schnell erzählt: Ein armer Hopfenzupfer aus dem Bayerischen Wald kommt in die Hallertau, verliebt sich in eine reiche Bauerstochter und am Ende darf er sie natürlich doch heiraten. Nach 12 ausverkauften Aufführungen in Passau nehmen schnell kleine Laienvereine, auch in Oberbayern und Österreich, das Stück in ihr Repertoire auf; kein Wunder, denn „Der Holledauer Fidel“ ist eine Art bayerisches Musical. Die Musik ist eingängig und leicht zu spielen und sehr nah an der Volksmusik und am Schlager. 1924 wird er von Dietersburg, wo er seit 1920 Lehrer war, wegen eines öffentlich ausgetragenen Streits mit einer Kollegin nach Rattenbach bei Eggenfelden strafversetzt. Schon drei Jahre danach lässt er sich bis zu seiner endgültigen Pensionierung im Jahr 1932 in den Ruhestand versetzen, zieht nach Velden und ist dort Organist, Chorleiter und gründet eine Musikschule. 1931 nimmt er in Vilsbiburg eine Wohnung und leitet die Liedertafel und die Kirchenchöre zweier Kirchen. Schließlich zieht er 1937 nach Landshut, an die Freyung, wo er im Franziskaner- und Lorettokloster bis Mai 1945 als Organist tätig ist. In all den Jahren hat Kutschenreuter viele weitere Singspiele, z. B. „Der Holledauer Fidel Teil II“, geschrieben, ca. 60 Märsche, viele Messen und sogar eine Harmonikaschule. Gestorben ist er am 6. Mai 1946 im Haus an der Ecke Jodoksgasse/Freyung, an dessen Fassade noch heute eine Gedenktafel an ihn erinnert.

Der Nachlass Erhard Kutschenreuters (Dokumente, Theaterzettel, Kompositionen (bis auf die Kirchenmusik, die verloren zu sein scheint), und eine Sammlung von Zeitungskritiken) befindet sich im Waldmuseum Zwiesel.

Buchtipps:

Karl-Heinz Reimeier: Erhard Kutschenreuter, der „Niederbayerische Marschkönig“ das Leben eines niederbayerischen Komponisten, Grafenau 1989.

Hans Proft: „Immer froh und heiter bleibt der Kutschenreuter“. Leben und Werk des niederbayerischen Komponisten Erhard Kutschenreuter, Passau 2004.

Hörtipp:

https://www.youtube.com/watch?v=3Pi6fhatnZk

Christoph Goldstein
Foto: https://de.wikipedia.org/wiki/Erhard_Kutschenreuter#/media/Datei:Erhard_Kutschenreuter.jpg