Plattling hat sich in den 1860er und 1870er Jahren zu einem bedeutenden Eisenbahnknotenpunkt entwickelt und wurde aufgrund des damit einhergehenden Bevölkerungswachstums 1888 zur Stadt erhoben. Während des 1914 ausgebrochenen Ersten Weltkriegs kam es häufig zur Verlegung von Truppen von den östlichen oder südöstlichen Kriegsschauplätzen an die Westfront bzw. zu deren Transport nach Deutschland. Aus den oben genannten Gebieten schleppten deutsche Soldaten, aber auch Kriegsgefangene Seuchen wie Fleckfieber oder Typhus ein, die durch Kopf-, Filz- und Kleiderläuse übertragen wurden. Von der Westfront ging so gut wie keine entsprechende Gefährdung aus. Daher existierten nach dem ersten Kriegswinter hinter der Ostfront und in östlichen Regionen des Reiches Entlausungsanstalten („Sanierungen“). 1915 wurde beschlossen, auch in Bayern an den betreffenden Eisenbahnlinien nahe der Grenzstationen Salzburg und Passau bei Rosenheim und Plattling jeweils eine solche Anlage in Betrieb zu nehmen.

Von August bis Oktober 1915 entstand die Plattlinger Sanierung circa 1,2 km westlich des Bahnhofs – hauptsächlich auf dem Gebiet der Gemeinde Otzing – südlich der Strecke in Richtung München. Zahlreiche Soldaten (vor allem Pioniere), Kriegsgefangene, Zimmerer und Bauhilfsarbeiter errichteten 43 hölzerne Gebäude (unter anderem Mannschaftsbaracken, Kantinen, Toiletten, Stallungen, Ruheräume, eine Wäscherei, Magazine und einen Wasserturm). Außerdem wurden von Soldaten der Bayerischen Eisenbahntruppe ca. 15 km Gleisanlagen verlegt.

Das mittlerweile gewerblich genutzte Areal der Sanierung nach 1920: vorne links die Bahnlinie nach München, in der Mitte der einstigen Anlage der Wasserturm, im Hintergrund der Plattlinger Stadtrand und vorgelagerte Siedlungen (Bayerisches Kriegsarchiv)

Die von einem „Umladekommando“ und einem „Sanierungskommando“ verrichtete Arbeit ging folgendermaßen vor sich: Die „unreinen“ Züge fuhren von Nordosten in die Sanierung. Die Männer wurden durch Duschen bzw. Baden und Scheren der Haare von Kopf- und Filzläusen befreit, die Uniformen und andere Ausrüstungsgegenstände – auch die zu den Pferden gehörigen – mittels Desinfektion durch Hitze beziehungsweise chemische Substanzen von Kleiderläusen gereinigt. Außerdem erhielten die Behandelten frische Wäsche sowie eine Mahlzeit und nach dem Abschluss der Prozedur einen „Entlausungsschein“. Daraufhin erfolgte die Weiterfahrt in Richtung München in neu zusammengestellten „reinen“ Zügen.

In der Plattlinger Anlage waren zunächst circa 1.000 Soldaten im „Umladekommando“ sowie 200 im „Sanierungskommando“ stationiert. Pro Tag konnten maximal 6.000 Mann (in drei achtstündigen Schichten jeweils 2.000) behandelt werden. Bei dieser Auslastung wurden monatlich unter anderem 4000 kg grüne Seife, 2000 kg Soda, 25 hl Karbolseifenlösung, 875 kg Schwefelkohlenstoff und 7500 kg Chlorkalk verbraucht. Innerhalb der Entlausungsanstalt war die „unreine“ streng von der „reinen“ Zone getrennt. Die Gleisanlagen dienten auch zum Abstellen von Geschütz- und Munitionswagen, die nicht saniert werden mussten.

In der Sanierung stationierte Soldaten, links im Hintergrund der Wasserturm (Archiv Karl Kraus)

Die Rosenheimer Sanierung verfügte über eine Tagesleistung von 12.000 Mann. Da diese aufgrund ihrer geografischen Lage mehr frequentiert war, wurden in Plattling nach dem Frühjahr 1916 nur mehr je maximal 4.500 Mann behandelt, sodass man im Sommer dieses Jahres das dortige Stammpersonal reduzierte. Außerdem spielten die Materialsanierung und die Behandlung einzelner Personen anstatt ganzer Truppenteile in Plattling eine zunehmende Rolle. Im September 1917 waren in Plattling noch etwa 700 Soldaten und einige Hilfsdienstpflichtige stationiert. Das Personal war jedoch nicht ausgelastet und wurde daher zeitweise als Arbeitskräfte auf Bauernhöfen und in Betrieben der Umgebung eingesetzt.

Nach der im November 1918 ausgebrochenen Revolution und dem Kriegsende kam es zu Disziplinlosigkeit, Diebstahl von Heeresgut und Ausschreitungen, woraufhin man im Januar 1919 zuverlässige Truppen nach Plattling verlegte. Die Sanierung wurde zwar noch zur Behandlung heimkehrender Soldaten in Funktion gehalten, von Februar bis Mai erfolgte jedoch deren schrittweise Auflösung, das heißt die Demontage von bestimmten Baracken und Gleisanlagen. Bis September 1919 war ein Nachkommando vor Ort. Im Oktober zeigten unter anderem zahlreiche Behörden und Firmen Interesse an einem Erwerb des Areals, das schließlich die „Bayernwerk AG für Holzverwertung“ ankaufte. Im April 1920 wurden zahlreiche weitere Gebäude abgebrochen. Das markanteste der verbleibenden Bauten war der Wasserturm. Danach siedelten sich weitere Betriebe in der ehemaligen Sanierung an. Vor etwa 20 Jahren erfolgte der Abbruch des Wasserturms. Vor Ort erinnert heute nur noch eine von zwei Betonwänden eingefasste, parallel zum Bahngleis verlaufende Verladerampe (circa 17 m breit, 250 m lang und 1,1 m hoch) im Bereich des einstigen „Umladekommandos“ an die Entlausungsanstalt.

Ein skurriles Relikt der Sanierung ist das „Lausdenkmal“. Dabei handelt es sich um eine 3,20 m hohe Betonstele, die einst am östlichen Tor der Anlage aufgestellt war und später in einem angrenzenden Privatgrundstück in der Nähe eines Betonwerks ihren Platz fand. 2009 wurde das Denkmal von der Stadt Plattling übernommen, umfassend restauriert und 2010 am östlichen Rand des Bahnhofplatzes aufgestellt. Auf der Vorderseite befindet dich die Aufschrift „ERBAVT VON DER STV [Stellvertretenden] INTENDANTVR I A K [des I. bayerischen Armeekorps] VND DEM EISENBAHNBATAILLON MVNCHEN [München]“ sowie darüber eine stilisierte Laus. Auf der Rückseite ist unter zwei gekreuzten Werkzeugen die Erbauungszeit der „Sanierung“ angegeben: „AVGVST MIT SEPTEMBER MCMXV [1915]“

Literatur:

Stefan Nöth, Das Lausdenkmal. Zur Geschichte der Sanierungsanstalt Plattling 1915 – 1920, in: Der Storchenturm 44 (1988), S. 78-91.

Karl Schmotz, Vom „Herrenhof“ zur „Sanierung“ – eine lineare Baumaßnahme zwischen Otzing und Plattling, Lkr. Deggendorf, in: Vorträge des 27. Niederbayerischen Archäologentages 2008, Rahden/Westfalen 2009, S. 247-267.

Florian Jung
Fotos: Florian Jung, Bayerisches Kriegsarchiv, Archiv Karl Kraus