Nachhaltigkeit ist ein Zauberwort. Firmenchefs und Politiker schmücken sich damit. Wer nachhaltig lebt, wer nachhaltig wirtschaftet, der gehört zu den Guten.

Im Modegeschäft wollen alle zu den Guten gehören: vom Riesen bis zum Zwerg. Aber ist das so? 2,3 Milliarden Kleidungsstücke überschwemmen jedes Jahr unsere Modegeschäfte; von Stralsund bis Straubing. Rechnen wir mal ein bisschen. Jeder von uns müsste 25 neue Kleidungsstücke pro Jahr kaufen; und zwar jedes Jahr! Von diesen unglaublichen 2,3 Milliarden bleibt ziemlich viel übrig: 230 Millionen Kleidungsstücke. Jahr für Jahr. Einige dieser Millionen Kleider finden Abnehmer im Ausland, viele werden recycled, die meisten weggeworfen, geschreddert, verbrannt.

Wenn um uns herum der Markt nur so brummt, dann merkt man das nicht so. Jetzt aber sitzen die Händler auf einem riesigen Berg Winterkleider. 500 bis 800 Millionen sollen es sein. Kein Wunder, die Geschäfte waren ja auch lange genug zu. Aber wohin mit diesem Berg? Die Frühlingskollektion ist schon längst da. Einlagern? Das ist sehr teuer, auch für die, die Platz haben. Außerdem kommt ja nächstes Jahr wieder eine Winterkollektion. Spenden? Ein Verlustgeschäft. Wenn ein Händler 1000 Hosen spenden will und jede Hose 30€ wert ist, dann muss er am Ende fast 7€ Steuern zahlen, pro Hose. Für 1000 Hosen sind das 7.000€ Steuern. Am Ende bleibt nur übrig, die Ware an Outlets und Off-Price-Ketten zu verkaufen, die alles zum günstigsten Preis verramschen. Oder eben die Müllverbrennung.

Auch wenn jetzt geplant ist, dass die Steuer auf Kleiderspenden ausgesetzt wird, wo sollen wir denn hin mit den ganzen Kleidern? Wird nicht einfach viel zu viel produziert? Wird da nicht von Nachhaltigkeit nur geredet? In den letzten Jahren haben wir uns auf den Schultern ostasiatischer Näherinnen, die pro T-Shirt, das 4,99€ kostet, gerade mal 13 cent verdienen, zu einer Wegwerfgesellschaft im Nachhaltigkeitsmäntelchen entwickelt.

Auf der anderen Seite sind da die Geschäfte, die wieder aufsperren möchten, die Verkäuferinnen und Verkäufer, die wieder arbeiten wollen und ihre Familien ernähren müssen. Was kann man da tun? Was muss passieren, dass den Menschen Kleidung wieder etwas wert ist? Das ist nämlich das eigentliche Problem.

Es müsste sich wieder lohnen, Kleidung zu reparieren: eine Marktlücke für Händler. Es müsste in Modehäusern die Möglichkeit geben, Kleidung in Zahlung zu geben und sie anschließend wiederverkaufen zu können, so wie bei Autos, eine Art Vintage-Kollektion. Auch eine Marktlücke. Und man sollte die Menschen bei ihrer Eitelkeit packen. Heute will jeder einzigartig sein, sich von der Masse abheben. Einige Firmen machen sich genau das zu Nutze und denken Individualität und Nachhaltigkeit zusammen. Wie wäre es, am Smartphone seine maßgeschneiderten Sneakers zu entwerfen, Grafiken, Farbe und Schriftzüge selbst auszuwählen? Das wäre eine Möglichkeit, Nachfrage und Produktion zu verbinden. Das bedeutet: keine Überschüsse? Zukunftsmusik? Nein, überhaupt nicht! Das gibt es heute schon!

Christoph Goldstein
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