1914 erwarb der Kunstmaler und Heimatkundler Hugo von Preen aus Braunau am Inn zwei Liederhandschriften des späten 18. Jahrhunderts von unbekannter Hand. Sie wurden nach ihrem Auffindungsort als Stubenberger Handschriften bezeichnet. Von wem er sie bekam, ist nicht dokumentiert. Wir wissen lediglich, dass er sie 1930 für 700 Mark an die Bayerische Staatsbibliothek veräußerte, wo sie unter den Signaturen Cgm 7340 für das Gesänger Buch und Cgm 7341 für das Geistliche Zeitten Buch in der Handschriftenabteilung verwahrt werden. Um die Entstehungs- und Auffindungsgeschichte der gut 1000 Seiten und über 800 Liedtexte umfassenden, liebevoll mit Bildern verzierten Bände rankten sich seitdem Mythen.

Erst vor wenigen Jahren konnte schließlich der Verfasser beider Handschriften identifiziert werden: Es handelt sich um Phillipp Lenglachner (geb. 1769 in Weng im Innkreis, gest. 1823 in Stubenberg), einen Hadern- oder Lumpensammler. Gebrauchte Hadern aus Baumwolle, Leinen, Hanf oder Flachs wurden in jener Zeit zur Herstellung von Papier verwendet und waren daher in den Papiermühlen ein gefragter Rohstoff. Die Bezeichnung „Haderlump“ für die oft lauthals durch die Dörfer ziehenden Lumpensammler hat sich bis heute erhalten.

Vermutlich trug Lenglachner die Liedtexte auf den Streifzügen durch das Rottal und angrenzende Innviertel zusammen. Durch seinen Beruf kam er viel herum, und da er offenbar eine gewisse Bildung besaß, lesen und schreiben konnte, wusste er die zahlreichen Eindrücke schriftlich festzuhalten. Ein wissenschaftliches Interesse wird er dabei kaum verfolgt haben, wohl aber, die Texte zum eigenen Gebrauch zu bewahren. Neben geistlichen und weltlichen Liedtexten enthalten die Handschriften auch Gebete zu den Festzeiten des Kirchenjahres, Prosatexte, Verse, Rätsel und volksmedizinische Rezepte.

Zutage kam die Person Lenglachners durch Forschungen des Germanisten Thorsten Fromberg aus Kiel. Er befasste sich in seiner Dissertation mit dem so betitelten Schreÿbbuech, einer dritten, signierten Handschrift, mithilfe der die anderen beiden durch Schriftvergleich demselben Verfasser zugeordnet werden konnten.

Nun liegt nach vielen Jahren Arbeit die Übertragung der beiden Liederhandschriften aus Stubenberg vollständig als Edition in drei Bänden vor: Sie umfasst das Geistliche Zeitten Buch sowie das Gesänger Buch in zwei Teilbänden für die Geistlichen und die Weltlichen Gesänger. Erschienen ist sie in der Schriftenreihe des Instituts für Volkskunde der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München (Tel. 089 515561-3, post@volkskunde.badw.de).

Seit langem schon beschäftigt sich der Gangkofener Heimatforscher Willibald Ernst mit den kostbaren Handschriften. Er hat die Texte, die in heute nicht mehr gebräuchlicher und zudem wegen gewisser Eigenheiten schwer leserlicher Kurrentschrift verfasst sind, in mühevoller Kleinarbeit transkribiert. Dank ihm ist eine der größten und bedeutendsten Quellen dieser Art in Bayern nun allen zugänglich.

Wer einige der Texte heute noch dem ursprünglichen Zweck entsprechend nutzen möchte, dem sei eine praktische Singausgabe ans Herz gelegt. Die Publikation Geistliche Lieder aus den Stubenberger Handschriften, erschienen beim Kulturreferat des Bezirks Niederbayern (Tel. 0871 97512-730, kultur@bezirk-niederbayern.de), umfasst drei Bände und deckt thematisch den gesamten Kirchenjahreskreis ab.

PhO