Das Bayerische Landesverzeichnis des immateriellen Kulturerbes umfasst aktuell 34 „kulturelle Ausdrucksformen“. Manche von Ihnen werden bezirksübergreifend oder sogar bayernweit praktiziert, manche sind ortsgebunden. Zum bayernweit praktizierten immateriellen Kulturerbe zählen beispielsweise die bayerische Brautradition nach dem Reinheitsgebot, das Feldgeschworenenwesen und die Handwerkstechniken von Kirchenmalern. Der taktwechselnde Tanz, der Zwiefache, der auf Antrag des Kulturreferats des Bezirks Niederbayern zuerst ins bayerische und dann ins bundesweite Verzeichnis aufgenommen wurde, stammt ursprünglich aus bayerisch-böhmischem Gebiet. Er ist auch in anderen Gegenden bekannt und wird hier z. B. als „Schweinauer“ (Schwaben) oder „Heuberger“ (Schwarzwald) bezeichnet. Auch die Tradition, an Festtagen Goldhauben als Kopfbedeckung zu tragen, wird jenseits des Passauer Lands praktiziert und ist entlang von Donau und Inn auch in Österreich gängig. Im Vergleich dazu sind historische Dokumentarspiele wie die Agnes Bernauer Festspiele in Straubing und die Landshuter Hochzeit ortsgebunden und verweisen jeweils auf ein spezifisches Geschichtsereignis. So ist auch das Englmari-Suchen in Sankt Englmar ausgerichtet.

Seit 1850 urkundlich belegt, fand es bis 1906 an Fronleichnam statt. Seither wird das Spiel am Pfingstmontag begangen. Anlass ist die Ermordung des seligen Eremiten Englmar um das Jahr 1100. Der Legende zufolge hat ein Priester den unter Steinen und Reisig verscharrten Eremiten um Pfingsten herum gefunden und ordentlich beerdigt. Um das Grab herum errichtete man eine Kapelle, die in der Folge zum viel besuchten Wallfahrtsort wurde. Die später errichtete Kirche ist ein Vorgängerbau der heutigen Pfarrkirche von Sankt Englmar.

Bei dem Englmari-Suchen ziehen kostümierte Darsteller zu Pferd, zu Fuß sowie mit von Ochsen und Pferden gezogenen Wagen zusammen mit einheimischen und zugereisten Teilnehmern zum örtlichen Kapellenberg, wo Englmar vermutlich gelebt hat und tot aufgefunden wurde. Für das Schauspiel wird hier die Figur des Englmar versteckt, die anschließend traditionsgemäß gesucht und gefunden wird. Die wortlose Darstellung wird heutzutage von Erläuterungen zu Leben, Wirken und Tod Englmars sowie zu seiner Auffindung und anschließenden Verehrung begleitet. Diese werden am Ort, wo auch die Feldmesse abgehalten wird, während des Suchens und Bergens verlesen. Nach der anschließenden Feldmesse und Tier-Segnung wird die Figur nach Sankt Englmar verbracht, wo der Umzug mit einem Tedeum seinen feierlichen Abschluss findet.

Das Englmari-Suchen zeichnet sich durch eine Offenheit aus, die für Bräuche nicht selbstverständlich ist. Im Gegensatz zum Kötztinger Pfingstritt oder dem Memminger Fischertag, wo Frauen die Teilnahme partiell oder gänzlich verwehrt wird, dürfen sie am historischen Zug des Englmari-Suchens teilnehmen und sind dessen fester Bestandteil. Zudem dürfen auch Mitglieder der umliegenden Gemeinden Darsteller beim historischen Zug sein. Die Teilnahme am nachfolgenden Festzug steht jedem offen. Insofern der mindestens 170 Jahre alte Brauch gleichberechtigt ausgeübt wird, erweist er sich als gemeinschaftsfördernd.

Neuerdings wird die Aufnahme ins Bayerische Landesverzeichnis des immateriellen Kulturerbes angestrebt. Diese wäre ein Erfolg für die Ortsgemeinschaft und würde darüber hinaus die identitätsstiftende Wirkung des Brauchs unterstreichen.

 

LS