Die junge Generation kennt ihn nicht mehr: den „normannischen Schrank“, wie ihn die französische Schauspielerin Brigitte Bardot einst wegen seiner mächtigen Statur, seiner blonden Haare und blauen Augen nannte, den Schauspieler Curd Jürgens, der den Sprung auf die Weltbühne geschafft hatte. Wer ihn aber noch kennt, weiß meist nicht, dass ein Stück seiner Schauspielerkarriere auch in Niederbayern verlief.

Geboren am 13. Dezember 1915 in München als Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns und einer französischen Mutter, wuchs Jürgens vor allem in Berlin auf. Er arbeitete zunächst als Journalist, nahm Schauspielunterricht, hatte Engagements an Berliner und Wiener Theatern, wirkte mit bei Produktionen der Filmgesellschaft UFA, der „Drückeberger-Traumfabrik“, wie sich Jürgens später einmal zu seinen Engagements in nationalsozialistischer Zeit äußerte. Nach Kriegsende versuchte er in München einen Neustart. Er erhielt von der amerikanischen Militärregierung eine Theaterlizenz und tourte mit seiner „Münchner Gastspielbühne“ durch die bayerische Provinz. Denn hier belohnten die Leute die Schauspieler schon mal mit kostbaren Naturalien, während es in München an allem Lebensnotwendigen mangelte, wie Curd Jürgens in seinen Memoiren festhielt:

„Die ‚Münchner Gastspielbühne Curd Jürgens’ hat einen alten Opel mit Anhänger erworben. Im Anhänger sind die Dekorationen verstaut, im Auto das Ensemble. Ich sitze, in Kostüm und Maske, an der Kasse, bis der Vorhang aufgeht. Das Publikum rast. Zum Abschied am nächsten Morgen findet sich ein Teil der Bevölkerung vor dem Gasthaus ein, um uns zu bitten, wiederzukommen; es liefert Speckseiten, Landbrot und frische Eier ab, die wir im Anhänger unter Kostümen und Requisiten verstauen. Weiter geht’s nach Ingolstadt, Landshut, Deggendorf, Geiselhöring und Straubing.“

Theaterdirektor in Straubing

In Straubing bemühten sich die Stadtväter sehr, dem großen Hunger nach Kultur und Bildung, nach Unterhaltung und Ablenkung, der in der Nachkriegszeit herrschte, unter anderem mit der Gründung einer Volkshochschule und mit der Bespielung des Theaters entgegenzukommen. Das schöne Stadttheater am Theresienplatz mit seinen 420 Sitzplätzen war zwar von der Militärregierung beschlagnahmt, aber im Herbst 1945 für drei Tage in der Woche für die Zivilbevölkerung freigegeben worden. Als die „Münchner Gastspielbühne“ in Straubing auftrat, bot Oberbürgermeister Max Gerhaher Jürgens die Theaterdirektion an. Und dieser sagte zu: Am 26. November 1945 unterschrieb er den Pachtvertrag für das Straubinger Theater. In seinen Erinnerungen schrieb Jürgens hierzu:

„In Straubing ist das Theater gasbeheizt. Das bedeutet warme Garderoben. Ursula Herking kann endlich mit echtem Dekolleté auftreten, ohne die zwei Paar dicken wollenen Schlüpfer. Denn der Herbst 1945 ist saukalt. Der Bürgermeister beglückwünscht uns, bittet uns zu bleiben. Die Bevölkerung brauche geistige Nahrung, zu essen gäbe es im reichsten Gebiet Bayerns genug. Stars erhalten zur Gage ein Spanferkel, ein halbes Schwein, ein paar Gänse, je nach Rang und Namen. Denn es stellt sich heraus, das neue Zeitalter ist verdammt verfressen und geldgierig. Die Aufführungen gehen, in Straubing abgespielt, auf Tournee durch Bayern bis nach München, wo wir eine Wohnung und ein Büro einrichten. Fahren tun wir nachts nach den Vorstellungen. Wir kaufen Lastwagen, verpflichten Fernfahrer. Tagsüber Probe in Straubing oder München.“

Für die Annehmlichkeiten in Straubing saß Jürgens gerne auch selbst an der Kasse oder opferte die Luftschutzvorhänge seiner Münchner Wohnung für die Straubinger Bühne. Neben klassischen Theaterstücken wie „Iphigenie auf Tauris“ von Johann Wolfgang von Goethe oder Friedrich Schillers „Kabale und Liebe“, die der Stadtrat ausdrücklich wünschte, widmete man sich vor allem der „leichten Muse“; beispielsweise wurde das von Jürgens verfasste Stück „Geliebter Michael“ aufgeführt. Zu Jürgens Ensemble zählten so bekannte Namen wie Karl Schönbeck, Axel von Ambesser, Ursula Herking, Theo Lingen oder die Wienerin Judith Holzmeister, die er dann 1947 heiratete.

Theaterprogramm für eine Aufführung des Stückes von Curd Jürgens „Geliebter Michael“ im Straubinger Stadttheater, 1946 (Stadtarchiv Straubing Sammlung Varia 462)

Theaterprogramm für eine Aufführung des Stückes von Curd Jürgens „Geliebter Michael“ im Straubinger Stadttheater, 1946 (Stadtarchiv Straubing Sammlung Varia 462)

Ein Jahr lang pendelte Jürgens zwischen München und Straubing, wo er stets im „Hotel Wittelsbach“ wohnte und sich gerne im Gasthaus Seethaler oder in der Weinstube Klarl aufhielt. Sein Versuch, die Türmerstube im Stadtturm zu mieten, die es ihm offenbar angetan hatte, lehnte das Wohnungsamt wegen „Baufälligkeit der Treppen“ ab. Im Oktober 1946 überschrieb er seinen Pachtvertrag an den Schauspielerkollegen Viktor Becker und beendete damit seine „herrliche erste Nachkriegs-Schmierenzeit“. Curd Jürgens ging nach Wien und schließlich nach Hollywood und machte dort Weltkarriere – den internationalen Durchbruch schaffte er mit dem Film „Des Teufels General“ nach dem Drama von Carl Zuckmayr; unvergessen ist er als Karl Stromberg, Gegenspieler von James Bond, in „Der Spion, der mich liebte“. Das Straubinger Theaterleben unter dem neuen Leiter Becker hingegen mündete im „betrügerischen Konkurs“.

„ … und kein bißchen weise“

Curd Jürgens, der seit 1946 die österreichische Staatsbürgerschaft hatte, war Theater-, Film- und Fernsehschauspieler gleichermaßen, wobei er einmal äußerte: „Den Film mag ich, er bringt Geld und Popularität, doch ein wahrer Schauspieler muss sich immer wieder auf der Bühne beweisen.“ Er stand von 1935 bis 1980 auf der Bühne, u.a. am Berliner Theater am Kurfürstendamm, am Bayerischen Staatsschauspiel in München, am Wiener Burgtheater. In etwa 160 Filmen spielte er mit, wobei er zu den wenigen deutschsprachigen Schauspielern gehörte, die weltweite Anerkennung erfuhren. Daneben betätigte er sich als Rezitator literarischer Werke und sogar als Sänger – am bekanntesten ist wohl sein 1975 aufgenommenes Chanson „60 Jahre – und kein bißchen weise“.

Jürgens, der fünfmal verheiratet war, liebte einen luxuriösen Lebensstil, ähnelte hier Hugo von Hofmannsthals reichem „Jedermann“, den er von 1973 bis 1977 bei den Salzburger Festspielen eindrucksvoll verkörperte, mit Senta Berger als Buhlschaft an seiner Seite. Auf üppiges Essen, Trinken und Rauchen verzichtete der „geistreiche Lebemann“ trotz zunehmender Herzprobleme nicht. Curd Jürgens starb am 16. Juni 1982 in Wien. Er wurde in einem Ehrengrab der Stadt Wien auf dem Zentralfriedhof bestattet – so wie es ihm entsprach, in einer extravaganten, bis heute einzigartigen Nachtzeremonie, im Beisein von 3000 Bewunderern.

Dorit-Maria Krenn

Quellenhinweis:
Stadtarchiv Straubing EAPl 3-1/2, 804-3, Sammlung Varia 462; Curd Jürgens, … und kein bißchen weise, Locarno 1976.