Denkmaltag – Denkmalpreis

Heuer sind es 30 Jahre, dass die Deutsche Stiftung Denkmalschutz den „Tag des offenen Denkmals“ ausruft. Der sogenannte „Denkmaltag“, der seit 1993 an jedem zweiten September-Sonntag begangen wird, ist das größte Kulturevent Deutschlands. Er ist Teil einer gemeinsamen europäischen Idee, des „European Heritage Day“, an dem jedes Jahr 50 europäische Länder teilnehmen. Allein in Deutschland fanden am „Tag des offenen Denkmals“ 2022 rund 8.000 Veranstaltungen statt; mehr als 5.000 Denkmale, viele davon in Privatbesitz und nicht öffentlich zugänglich, waren für die interessierte Bevölkerung geöffnet.

Ziel der großangelegten Aktion ist es, auf die Bedeutung des kulturellen Erbes in Gestalt von Denkmalen aufmerksam zu machen und Interesse für die „gebaute Kultur“ vergangener Epochen zu wecken. Schließlich sind diese historischen Bauwerke Teil der Geschichte, der Kultur und Identität nicht nur unseres Landes.

Dabei geht es übrigens nicht allein um sogenannte Sehenswürdigkeiten, wie wir sie in Tourismusprospekten so häufig abgedruckt finden, also um beeindruckende Kathedralen und kunstvoll ausgestattete Kirchen, mächtige Burgen und prunkvolle Schlösser. Zum Denkmalbestand zählen neben diesen Sakral- und Herrschaftsbauten auch einfache Bürger- und Bauernhäuser, ausrangierte Industriebauten, historische Gartenanlagen und vieles mehr. Die „Denkmallandschaft Deutschlands“, von der die Deutsche Stiftung Denkmalschutz spricht, ist umfassend und vielfältig.

Vor allem liegt diese „Landschaft“ nicht irgendwo in der Ferne, sondern sie beginnt bereits in nächster Nähe – in der Nachbarschaft, im eigenen Wohnviertel oder Ort. Denn wer kennt kein Baudenkmal in seinem unmittelbaren Umfeld? Das kann ein verlassenes Gebäude sein, das so lange dem Verfall preisgegeben ist, bis sich ein Interessent, Liebhaber oder Investor zur Instandsetzung findet.

Die Weinzierl-Häuser in Arnstorf vor der Instandsetzung

Das kann aber ebenso ein bereits vorbildlich saniertes Haus sein, vor dem Vorübergehende ob seiner historischen Qualität und Besonderheit bewundernd stehen bleiben, um es näher zu betrachten. In welchem möglicherweise erbärmlichen Zustand es sich wahrscheinlich zuvor zeigte, wie vielleicht darum gestritten und um seinen Erhalt gerungen werden musste, ist zu diesem Zeitpunkt vergessen.

Auch der Bezirk Niederbayern engagiert sich seit 1956 in der Denkmalpflege durch die finanzielle Förderung von Denkmalinstandsetzungen. Zusätzlich lobt er seit 2002 jedes Jahr am „Tag des offenen Denkmals“ einen eigenen Denkmalpreis aus. Damit werden Personen bedacht, die (ihre) Denkmale fachgerecht und vorbildlich hergerichtet haben. Der Denkmalpreis des Bezirks Niederbayern geht heuer ins Rottal, und zwar nach Arnstorf. In der dortigen Scheibengasse befinden sich zwei nebeneinanderstehende historische Blockbauten, die nach jahrzehntelanger baulicher Vernachlässigung in ihrem Bestand höchst gefährdet waren.

Die Weinzierl-Häuser während der Sanierungsphase

Die Weinzierl-Häuser während der Sanierungsphase

Warum sie als Denkmale eingestuft und für erhaltenswert befunden wurden, liegt nicht einfach nur kategorisch an ihrem Alter: Hausnummer 2 stammt aus dem Jahr 1550, Hausnummer 4 aus 1638. Zweifellos sieht man Blockbauten aus dieser Zeit nicht mehr alle Tage. In der Gesamtschau der denkmalpflegerischen Bewertung kommt aber hinzu, dass sie ebenso von ortsgeschichtlicher und volkskundlicher Bedeutung sind: Es handelt sich nämlich um sogenannte Handwerker-Häuser. Sie wurden von den ortsansässigen Grundherren für die Weinzierle, also für die Winzer, gebaut. Diese waren im 15. und 16. Jahrhundert als Arbeitskräfte der Hofmarksherren in den umliegenden Weinbergen tätig. Noch für das frühe 17. Jahrhundert sind in den Handwerkslisten des Arnstorfer Marktarchivs sieben solcher Weinzierle nachweisbar. Die Weinzierl-Häuser in der Scheibengasse sind also materielle Zeugnisse der einstigen Arnstorfer Weinbaukultur. Ihre architektonische Gestalt, die Holzbauweise, der Standort, der ortsgeschichtliche Bezug sowie der volkskundlich handwerkliche und landwirtschaftliche Hintergrund machen diese unscheinbaren und – wie könnte es anders sein – bescheidenen Häuser zu einmaligen Denkmalen. Wer bereit ist, solche Aspekte nachzuvollziehen, wird auch verstehen, worum es bei der Denkmalpflege geht: nicht nur um das Kunstvolle, sondern ebenso um das Einfache. Schließlich lebt/e der Großteil der Bevölkerung in eher einfacheren, in bescheidenen Verhältnissen. „Volkskultur“ ist und bleibt ein wesentlicher Teil unserer Kulturgeschichte, zur der selbstverständlich auch die in Schul- und Lehrbüchern vermittelte Herrschaftsgeschichte und Hochkultur zählen – aber eben nicht nur. Insofern ist es Eigentümern wie denen der Arnstorfer Weinzierl-Häuser hoch anzurechnen, dass sie sich um deren Instandsetzung und damit um deren Fortbestand kümmerten. Ohne diese Häuser wäre der Markt um zwei wichtige Zeugnisse seiner Kulturgeschichte ärmer. Auch deshalb geht der Kulturpreis 2023 des Bezirks Niederbayern nach Arnstorf.

Maximilian Seefelder
Fotos: Sabine Bäter, S. Zuber und Maximilian Seefelder

Ausgezeichnet! Bild-Werk Frauenau

Jeder Landstrich zeichnet sich durch etwas regionaltypisches aus. Seien es regionale Spezialitäten wie der Hopfen in der Hallertau oder die Spreewalder Gurke, oder regionaltypische Bauweisen. Dörfer und Städte wurden jahrtausendelang von den in der unmittelbaren Umgebung zur Verfügung stehenden Baustoffen geprägt. Man denke in Niederbayern an Granit, Lehm und Holz, aber auch an Materialien wie Glas. Allesamt waren und sind sie prägend. Als identitätsstiftend gilt die jahrhundertalte Glastradition für den Bayerischen Wald.

Mit dem Niedergang der Glasindustrie sowie dem Schließen von zwei der einstmals drei großen Glashütten in Frauenau ging ein dramataischer Verlust überlieferten Wissens einher. Als vor über 30 Jahren der Gründungsvater und Glaspionier Erwin Eisch zusammen mit Mitstreitern den Verein „Bild-Werk Frauenau“ gründete, hatten sie den Erhalt und die Weiterentwicklung des Kulturerbes Glas zum Ziel. Neben grenzüberschreitenden Projekten, Stipendienprogramme zur Nachwuchsförderung oder der Organisation von Kulturveranstaltungen, machte sich der Verein einen Namen durch seine jährlich stattfindende internationale Sommerakademie. Dabei fördert der Verein den Austausch zwischen weltweit anerkannten Künstlerinnen und Künstlern mit der regionalen Kunstszene, wie auch mit kunstinteressierten Laien. Der traditionelle Glasmacherort wird so zu einem lebendigen Brennpunkt der internationalen Studioglasszene mit regionaler und weltweiter Ausstrahlung.

Der am 18.09.1987 im ostbayerischen Glasmacherort Frauenau (Landkreis Regen) ins Leben gerufene Verein „Bild-Werk e.V.“ hat sich im Laufe der Zeit zu einer unverzichtbaren und überregional anerkannten Institution in Sachen Glaskunst, Musik- und Theaterkultur im Bayerischen Wald entwickelt. Als Ort der künstlerischen Begegnung, als grenzüberschreitendes Netzwerk und Forum für Innovation und Weiterbildung in Kunst und Glashandwerk ist das Bild-Werk Frauenau europaweit einzigartig. Gerade der aktive Beitrag des Vereins, das Wissen und Können der Glasmacher zu bewahren und es im regionalen und grenzüberschreitenden Austausch innovativ künstlerisch weiterzuentwickeln, macht ihn auszeichnungswürdig.

Nicht ohne Grund verleiht der Bezirk Niederbayern dieses Jahr seinen Kulturpreis an „Bild-Werk Frauenau e.V.“.

Cindy Drexl
Fotos: Michal Poustka

Die „Sanierung“ und das „Lausdenkmal“ in Plattling

Plattling hat sich in den 1860er und 1870er Jahren zu einem bedeutenden Eisenbahnknotenpunkt entwickelt und wurde aufgrund des damit einhergehenden Bevölkerungswachstums 1888 zur Stadt erhoben. Während des 1914 ausgebrochenen Ersten Weltkriegs kam es häufig zur Verlegung von Truppen von den östlichen oder südöstlichen Kriegsschauplätzen an die Westfront bzw. zu deren Transport nach Deutschland. Aus den oben genannten Gebieten schleppten deutsche Soldaten, aber auch Kriegsgefangene Seuchen wie Fleckfieber oder Typhus ein, die durch Kopf-, Filz- und Kleiderläuse übertragen wurden. Von der Westfront ging so gut wie keine entsprechende Gefährdung aus. Daher existierten nach dem ersten Kriegswinter hinter der Ostfront und in östlichen Regionen des Reiches Entlausungsanstalten („Sanierungen“). 1915 wurde beschlossen, auch in Bayern an den betreffenden Eisenbahnlinien nahe der Grenzstationen Salzburg und Passau bei Rosenheim und Plattling jeweils eine solche Anlage in Betrieb zu nehmen.

Von August bis Oktober 1915 entstand die Plattlinger Sanierung circa 1,2 km westlich des Bahnhofs – hauptsächlich auf dem Gebiet der Gemeinde Otzing – südlich der Strecke in Richtung München. Zahlreiche Soldaten (vor allem Pioniere), Kriegsgefangene, Zimmerer und Bauhilfsarbeiter errichteten 43 hölzerne Gebäude (unter anderem Mannschaftsbaracken, Kantinen, Toiletten, Stallungen, Ruheräume, eine Wäscherei, Magazine und einen Wasserturm). Außerdem wurden von Soldaten der Bayerischen Eisenbahntruppe ca. 15 km Gleisanlagen verlegt.

Das mittlerweile gewerblich genutzte Areal der Sanierung nach 1920: vorne links die Bahnlinie nach München, in der Mitte der einstigen Anlage der Wasserturm, im Hintergrund der Plattlinger Stadtrand und vorgelagerte Siedlungen (Bayerisches Kriegsarchiv)

Die von einem „Umladekommando“ und einem „Sanierungskommando“ verrichtete Arbeit ging folgendermaßen vor sich: Die „unreinen“ Züge fuhren von Nordosten in die Sanierung. Die Männer wurden durch Duschen bzw. Baden und Scheren der Haare von Kopf- und Filzläusen befreit, die Uniformen und andere Ausrüstungsgegenstände – auch die zu den Pferden gehörigen – mittels Desinfektion durch Hitze beziehungsweise chemische Substanzen von Kleiderläusen gereinigt. Außerdem erhielten die Behandelten frische Wäsche sowie eine Mahlzeit und nach dem Abschluss der Prozedur einen „Entlausungsschein“. Daraufhin erfolgte die Weiterfahrt in Richtung München in neu zusammengestellten „reinen“ Zügen.

In der Plattlinger Anlage waren zunächst circa 1.000 Soldaten im „Umladekommando“ sowie 200 im „Sanierungskommando“ stationiert. Pro Tag konnten maximal 6.000 Mann (in drei achtstündigen Schichten jeweils 2.000) behandelt werden. Bei dieser Auslastung wurden monatlich unter anderem 4000 kg grüne Seife, 2000 kg Soda, 25 hl Karbolseifenlösung, 875 kg Schwefelkohlenstoff und 7500 kg Chlorkalk verbraucht. Innerhalb der Entlausungsanstalt war die „unreine“ streng von der „reinen“ Zone getrennt. Die Gleisanlagen dienten auch zum Abstellen von Geschütz- und Munitionswagen, die nicht saniert werden mussten.

In der Sanierung stationierte Soldaten, links im Hintergrund der Wasserturm (Archiv Karl Kraus)

Die Rosenheimer Sanierung verfügte über eine Tagesleistung von 12.000 Mann. Da diese aufgrund ihrer geografischen Lage mehr frequentiert war, wurden in Plattling nach dem Frühjahr 1916 nur mehr je maximal 4.500 Mann behandelt, sodass man im Sommer dieses Jahres das dortige Stammpersonal reduzierte. Außerdem spielten die Materialsanierung und die Behandlung einzelner Personen anstatt ganzer Truppenteile in Plattling eine zunehmende Rolle. Im September 1917 waren in Plattling noch etwa 700 Soldaten und einige Hilfsdienstpflichtige stationiert. Das Personal war jedoch nicht ausgelastet und wurde daher zeitweise als Arbeitskräfte auf Bauernhöfen und in Betrieben der Umgebung eingesetzt.

Nach der im November 1918 ausgebrochenen Revolution und dem Kriegsende kam es zu Disziplinlosigkeit, Diebstahl von Heeresgut und Ausschreitungen, woraufhin man im Januar 1919 zuverlässige Truppen nach Plattling verlegte. Die Sanierung wurde zwar noch zur Behandlung heimkehrender Soldaten in Funktion gehalten, von Februar bis Mai erfolgte jedoch deren schrittweise Auflösung, das heißt die Demontage von bestimmten Baracken und Gleisanlagen. Bis September 1919 war ein Nachkommando vor Ort. Im Oktober zeigten unter anderem zahlreiche Behörden und Firmen Interesse an einem Erwerb des Areals, das schließlich die „Bayernwerk AG für Holzverwertung“ ankaufte. Im April 1920 wurden zahlreiche weitere Gebäude abgebrochen. Das markanteste der verbleibenden Bauten war der Wasserturm. Danach siedelten sich weitere Betriebe in der ehemaligen Sanierung an. Vor etwa 20 Jahren erfolgte der Abbruch des Wasserturms. Vor Ort erinnert heute nur noch eine von zwei Betonwänden eingefasste, parallel zum Bahngleis verlaufende Verladerampe (circa 17 m breit, 250 m lang und 1,1 m hoch) im Bereich des einstigen „Umladekommandos“ an die Entlausungsanstalt.

Ein skurriles Relikt der Sanierung ist das „Lausdenkmal“. Dabei handelt es sich um eine 3,20 m hohe Betonstele, die einst am östlichen Tor der Anlage aufgestellt war und später in einem angrenzenden Privatgrundstück in der Nähe eines Betonwerks ihren Platz fand. 2009 wurde das Denkmal von der Stadt Plattling übernommen, umfassend restauriert und 2010 am östlichen Rand des Bahnhofplatzes aufgestellt. Auf der Vorderseite befindet dich die Aufschrift „ERBAVT VON DER STV [Stellvertretenden] INTENDANTVR I A K [des I. bayerischen Armeekorps] VND DEM EISENBAHNBATAILLON MVNCHEN [München]“ sowie darüber eine stilisierte Laus. Auf der Rückseite ist unter zwei gekreuzten Werkzeugen die Erbauungszeit der „Sanierung“ angegeben: „AVGVST MIT SEPTEMBER MCMXV [1915]“

Literatur:

Stefan Nöth, Das Lausdenkmal. Zur Geschichte der Sanierungsanstalt Plattling 1915 – 1920, in: Der Storchenturm 44 (1988), S. 78-91.

Karl Schmotz, Vom „Herrenhof“ zur „Sanierung“ – eine lineare Baumaßnahme zwischen Otzing und Plattling, Lkr. Deggendorf, in: Vorträge des 27. Niederbayerischen Archäologentages 2008, Rahden/Westfalen 2009, S. 247-267.

Florian Jung
Fotos: Florian Jung, Bayerisches Kriegsarchiv, Archiv Karl Kraus

Niederbayerische Frauen I: Anna Caroline de Belleville-Oury (1806-1880) Eine vergessene Berühmtheit aus Landshut

Die kleine Anna war ein Wunderkind. Wunderkinder werden leider auch älter und das Wunder damit immer weniger. Deswegen machen sie ihre Eltern meistens einige Jahre jünger. So war das auch bei der kleinen Anna. Weil wir wissen, dass sie 1816 mit 10 Jahren nach Wien zu Carl Czerny (alle, die einmal wenigstens ein bisschen Klavier gelernt haben, kennen ihn ganz bestimmt wegen seiner vielen verschiedenen Etüden) kam, um bei ihm ihre Klavierstudien bis 1820 fortzusetzen, wissen wir auch, dass das Geburtsdatum 1808, das heute im Umlauf ist, höchstwahrscheinlich falsch ist. Czerny schreibt nämlich in seinen Memoiren:

„Im Jahr 1816 nahmen meine Eltern die kleine, damals zehnjährige Ninette Belleville in Kost und Wohnung und ich zur musikalischen Ausbildung. Es war eines der seltensten musikalischen Talente, und da sie sich nach dem Willen ihres Vaters der Musik widmen sollte, so hatte ich nun eine Schülerin, welche auch durch zahlreiches öffentliches Produzieren meinen schon ohnehin bedeutenden Lehrerruf vermehrte.“ (Carl Czerny: Erinnerungen aus meinem Leben, Wien [1860], Reprint Baden-Baden,1968.)

Annas Vater Carl de Belleville (ca. 1779–1851) stammt aus Rouen in Frankreich, kam 1800 mit dem napoleonischen Heere nach Bayern und war von 1801-1806 Sprachlehrer an der Universität in Landshut. Danach war er als Sekretär, Übersetzer und Lehrer in Augsburg tätig. Also kann Anna gar nicht 1808 geboren sein, denn 1808 war die Familie längst in Augsburg und der Geburtsort ist ja Landshut, denn im Kirchenbuch der Pfarrei St. Martin steht, dass sie am 24. Januar 1806 geboren ist. Ihre Mutter Amalia geborene Eck (1779–1846) war eine Tochter des Mannheimer Hofmusikers und Hornisten Georg Eck.

Schon während ihrer Zeit in Wien, und auch davor, z. B. 1816 in München und Augsburg, konzertiert Anna und die Berichterstatter loben ihr „ausgezeichnetes Talent“ (Allgemeine musikalische Zeitung“ vom März 1819). Ebenfalls 1819 hat sie, wenn wir William Gardiner, ein englischer Komponist und Bewunderer Beethovens, der zur selben Zeit in Wien weilt, Glauben schenken wollen, Beethoven dessen Klaviersonate As-Dur op. 26 vorgespielt:

„Mademoiselle de Belleville was the favourite of Beethoven. In her eleventh year she was a welcome visitor to the deaf musician, who sat by the hour, with his long trum- pet in his ear, listening to her inimitable touch of his divine adagios.by the hour, with his long trumpet to his ears, listening to her inimitable touch of his divine adagios.” (William Gardiner: Music and Friends, London [1853]).

Bevor sie mit dem Vater eine große Konzertreise unternimmt (ein Wunderkind muss natürlich auch Geld abwerfen), gibt sie im November 1820 ein Abschiedskonzert. Sie spielt das Klavierkonzert cis-Moll op. 55 von Ferdinand Ries, Schüler und Bewunderer Beethovens, und eigene Variationen:

„Am 1sten im k. k. Redoutensaale: Abschiedskonzert der geschickten Klavierspielerin, Fräulein Belleville, welche das Cis moll Concert von Ries, und selbst gesetzte Variationen mit außergewöhnlichem Beyfall vortrug, der auch ihrem seltenen Talente mit vollem Rechte gebührte.“ (Allgemeine Musikalische Zeitung, Wien 1821, Sp. 9).

Die erste Station der großen Tournee durch Europa ist im Dezember Prag. Auch hier ist der Berichterstatter begeistert:

„[W]ir waren recht sehr erfreut, in einem so jugendlichen Alter von einem Frauenzimmer einen so präcisen, kraftvollen und gerundeten Vortrag zu hören. Wenn wir sagen, dass sie das Concert in Es dur von Ries nach allen Kunstforderungen mit dem einstimmigsten Beyfall ausgeführt hat, so lassen wir ihr nur strenge Gerechtigkeit widerfahren. In Variationen von ihrer eigenen Erfindung, welche in bescheidenem modernen Geschmack verfasst sind, und besonders auf ihre Individualität berechnet zu seyn scheinen, zeigte sie hoffnungsvolle Anlagen zur Composition, welche unter einer guten Leitung ganz sicher zur Entwicklung und Ausbildung gedeihen werden, und so dürfte wohl die Meinung aufs neue bekräftigt werden, dass das weibliche Geschlecht eben sowohl zur schaffenden als zur ausübenden Tonkunst geeignet sey.“ (Allgemeine Musikalische Zeitung, Wien 1821, Sp. 73 f.).

Dass Pianistinnen und Pianisten komponieren, ist heute eine Ausnahme. Damals war es ganz normal, dass sie in ihren Programmen auch eigene Werke spielten und auch improvisierten: Beethoven z. B. hat Wien als genialer Improvisator erobert und selbst Franz Liszt hat in seinen Konzerten noch wie damals Beethoven auf Zuruf aus dem Publikum improvisiert.

Die große Tournee durch Europa führt Vater und Tochter bis nach Paris. Aber der Vater scheint mit den Einnahmen, die die Konzerte einbringen nicht besonders gut umgegangen zu sein. Die Schulden wachsen ihm über den Kopf und er hat kein Geld für die Rückreise nach München. Mit Konzerten in Tours und Orléans können sie gerade einmal die Schulden zurückzahlen. Die Auftritte in Lille und Gent bringen nichts ein, gerade einmal die Unkosten. Konzerte in Brüssel müssen wieder abgesagt werden, weil Anna krank ist. Zu einem Konzert in Antwerpen können sie nur reisen, weil sie all ihre Wertsachen als Garantie in Brüssel zurücklassen. Dort bricht Anna, die die Krankheit noch nicht völlig überwunden hat, aber während eines Konzerts zusammen. Erst nach einem Monat kann sie Konzerte geben, die die Rückreise möglich machen. 1829 kehrt Anna nach Wien zurück. Sie gibt zwei Konzerte, lässt ein begeistertes Publikum zurück. Egal wo sie nun in den kommenden Jahren spielt, Wien, Warschau, Leipzig, Paris, überall sind die Kritiker begeistert.  Robert Schumann schreibt z. B. 1834 über ein Konzert in Leipzig:

„Ihr Clavierspiel ist, was es sein soll, ein Spielen mit dem Instrument. Die Masse versteht dies Geheimnis nicht. Je krasser die Noten, je heitrer das Gesicht: je toller die Sprünge, je sicherer der Anschlag. Im Ausgearbeiteten, Abgeründeten, vom einfachen Ton an bis zu gegen einander rollenden, blitzesschnellen Doppelgriffen, steht sie anderen Meistern gleich. An Sicherheit der Volubilität übertrifft sie vielleicht alle.“ (Neue Leipziger Zeitschrift für Musik“ vom 10. April 1834, S. 11).

Schumann spielt Anna aber gegen das damals gefeierte Wunderkind Clara Wieck (ab 1840 Clara Schumann) aus. Im Kern geht es um das Klischee französische Brillanz (Anna) vs. deutsche Tiefgründigkeit (Clara):

„Der Ton der Belleville schmeichelt dem Ohre, ohne mehr in Anspruch zu nehmen, der der Klara senkt sich ins Herz und spricht zum Gemüt. Jene ist dichtend, diese das Gedicht.“ (Robert Schumann: Gesammelte Schriften Bd. 2, Leipzig, 51914, S. 350).

1831 konzertiert Anna in England. In London lernt sie den englischen Geiger Antonio James Oury (1800-1883) kennen. Die beiden heiraten. Von nun an konzertiert Anna unter dem Namen Anna Caroline de Belleville-Oury. In den kommenden Jahrzehnten unternimmt sie mit ihrem Mann ausgedehnte Konzertreisen, z. B. auch nach Russland. In den Jahren 1836 und 1837 leben die beiden hauptsächlich in Paris. Dort lernen sie Chopin kennen. Der ist entzückt und komponiert für Anna den Walzer op. 70 Nr. 2 und schreibt ihr einen Brief:

„Was die kleine Valse angeht, die für Sie zu schreiben ich das Vergnügen hatte, behalten Sie sie, ich flehe Sie an, für sich. Ich möchte nicht, dass sie an die Öffentlichkeit gelangt. Aber was ich gerne wollte, das ist zuzuhören, wenn Sie sie spielen, Madame, und einer Ihrer eleganten Versammlungen beizuwohnen, in denen Sie unserer aller Meister so wunderbar interpretieren, die großen Komponisten wie Mozart, Beethoven und Hummel. Das Adagio von Hummel, das ich Sie vor einigen Jahren in Paris bei M. Erard spielen hörte, klingt mir immer noch in den Ohren und ich versichere Ihnen, dass es nur wenige Pianisten gibt, trotz der hiesigen großen Konzerte, die mich die Freude vergessen lassen könnten, dass ich Sie an jenem Abend hörte.“ (Brief vom 10. Dezember 1842)

1839 lässt sie sich in London nieder, konzertiert hauptsächlich in England, komponiert und unterrichtet als Professorin an der Royal Academy of Music. 1846 und 1847 unternimmt sie eine große Konzertreise nach Italien, wo sie sogar vom Papst empfangen und zum Ehrenmitglied der Accademia di Santa Caecilia ernannt wird. In den kommenden Jahren spielt sie fast nur in England und ab und zu in Paris. 1865 gibt sie ihr letztes Konzert in London, ausschließlich mit eigenen Werken.

Anna Caroline de Belleville-Oury hat über 200 Stücke komponiert. Die meisten ihrer Werke hat sie nach 1840 komponiert, die dann auch hauptsächlich in England erschienen sind, denn vorher war sie fast andauernd auf Reisen und hatte deswegen sehr wenig Zeit. Sie hat für den eigenen Konzertgebrauch komponiert und für den Salon bzw. das häusliche Klavierspiel. Das sind hauptsächlich für ihre Zeit typische Stücke: Fantasien und Variationen über bekannte Opernohrwürmer, Impromptus, Nocturnes, Mazurkas, Walzer, Sérénades, Souvenirs, Rêveries. So wie heute Stars unter ihrem Namen Merchandise verkaufen, hat Anna Caroline de Belleville-Oury Kompositionen verkauft. 1877 schreibt ein Rezensent über ihre Komposition „Consolation. Rêverie mélodieuse“ in der Zeitung The Musical Times:

„Obgleich sich Madame Oury nicht an Ausführende mit eher durchschnittlichen Fähigkeiten wendet, dabei schreibt sie stets anmutig, wird sich ihre ,Consolation‘ bald als eines ihrer beliebtesten Stücke erweisen. Die Themen sind anmutig und die Passage mit denen sie sie verziert sind gewählt und geschmackvoll.“ (The Musical Times, 01.09. 1877, S. 439).

Obwohl viele ihrer Kompositionen gedruckt wurden, müssen die allermeisten als verschollen gelten. Oft lassen sich nicht einmal ihre Titel herausfinden. Anna Caroline de Belleville-Oury geht es wie vielen Interpreten ihrer Zeit, die hauptsächlich Genrestücke komponiert haben. Sie und ihre Werke sind verschwunden im unendlich tiefen Abgrund der Geschichte. Sie lebt in Chopins Widmung als eine der größten Pianistinnen des 19. Jahrhunderts weiter. 1880 ist Anna Caroline de Belleville-Oury in München gestorben, wohin sie erst kurz vor ihrem Tod zurückgekehrt ist. Ihr Grab befindet im alten Südfriedhof in München.

Musik zum Artikel:

Ferdinand Ries: Klavierkonzert op. 55: https://www.youtube.com/watch?v=WlBZR9S2IrY

Ludwig van Beethoven: Klaviersonate op. 26: https://www.youtube.com/watch?v=PaBl6lhaFWY

Frédéric Chopin: Walzer op. 70/2: https://www.youtube.com/watch?v=8xGESptitIM

Noten von Kompositionen von Anna Caroline de Belleville-Oury: https://imslp.org/wiki/Category:Oury,_Anna_Caroline

Christoph Goldstein
Foto: https://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Caroline_de_Belleville#/media/Datei:A_Kneisel_-_Anna_Caroline_Oury_(Lithographie).jpg

Garten findet Stadt

Dem Garten und dem Gärtnern können wir auf vielfältigste Weise begegnen. Einmal aktiv, wenn wir selbst Harke und Spaten in die Hand nehmen und in den Garten gehen. Und zweitens passiv, also als Konsumenten, etwa beim Spazierengehen durch öffentliche Parks oder beim Besuch von Gartenschauen. In den letzten Jahrzehnten sind viele Parks im Rahmen von Gartenschauen neu entstanden oder umgestaltet worden. Bereits im 19. Jahrhundert fanden die ersten Gartenbauausstellungen statt. Nach 1945 standen die Gartenbauausstellungen im Zeichen des städtebaulichen Wiederaufbaus.

Seit 1951 werden die Bundesgartenschauen (BuGa) im zweijährigen Turnus veranstaltet, die Internationalen Gartenbauausstellungen im zehnjährigen. Als erstes Bundesland organisierte Bayern eine Landesgartenschau. Das war 1980. Seither finden parallel zu den Bundes-, auch Landesgartenschauen statt. Neben Mannheim (BuGa) stehen 2023 fünf Landesgartenschauen zur Auswahl: in Höxter, Fulda, Bad Gandersheim, Freyung und Balingen. Die Gartenschauen haben sich im Laufe der Jahrzehnte zu Großveranstaltungen und zu Motoren der Stadtentwicklung entwickelt. Indem Gartenschauen Grün ins Grau bringen, fördern sie die Lebensqualität und sind zugleich Standortfaktor. Private Gärten und öffentliche Parks sind Sehnsuchts- und Rückzugsorte zugleich.

Häufig haben Gartenschauen innovative Gestaltungsideen und Bauten mit sich gebracht. Für Unmut sorgen manchmal die hohen Kosten für die Vorbereitung und Durchführung der Leistungsschauen, oder wenn Naturräume im Vorfeld solcher Schauen, etwa durch Trockenlegung von Feuchtwiesen, zerstört werden. Nachhaltig werden Gartenschauen durch ihren Effekt auf die Städtebauentwicklung sowie der Möglichkeit der Nachnutzung, etwa als Ort für Freizeit und Naherholung im Grünen. Der Landschaftsarchitekt und Gestalter des Münchner Olympiaparks, Günther Grzimek spricht von der „Besitzergreifung des Rasens“. Erst durch die aktive (Raum-) Nutzung werden öffentliche Parks und Gärten mit vielfältigem urbanem Leben verknüpft. Wie genau das aussieht, obliegt ein jedem von uns.

Cindy Drexl
Foto: Veronika Keglmaier

Belebung im Stadtviertel dank kreativer Planung

Stadtplanungsämter versuchen in der Regel am sogenannten „grünen Tisch“ Ordnung in das menschliche Chaos von bebauten Siedlungen und Stadtteilen zu bringen. Deshalb erstellen sie Bebauungspläne. Doch die Nagelprobe ist immer erst dann gegeben, wenn ein Investor versucht, seine Vorstellungen mit den aktuell geltenden Baunormen in Einklang zu bringen.

Ein Paradebeispiel ist das Projekt Jägerwirt im ehemaligen Gewerbe- und Arbeiterviertel Nikola in Landshut. Die Planung aus dem Jahr 2009 sah zwei drei- und zweistöckige Neubauten, fünf Großbäume und einen reizlosen Parkplatz für 12 (!) PKWs südlich des Bestandsgebäudes vor, das unter Denkmalschutz steht. Vor kurzem hat ein Münchner Architekt nach der viel gelobten Sanierung eines mittelalterlichen Holzblockbauses in der Pfettrachgasse das schräg gegenüberliegende Grundstück mit dem ehemaligen Jägerwirt erworben. Sein Ziel ist, eine Kombination aus Wohnen, Arbeiten und Genießen inmitten von denkmalgerecht sanierten Gemäuern. Dies wurde möglich durch eine Modifizierung der Ursprungsplanung: Der Innenhof hat jetzt mit drei Linden und einem Apfelbaum, einer kleinen Gartenfläche mit Gemüsehochbeet und nur sparsam gepflasterten Randzonen eine hohe Aufenthaltsqualität. Die Halbierung der Stellplätze und dafür ausreichend Stellfläche für Fahrrad- und Lastenräder dokumentieren den Bewusstseinswandel: Nicht das Auto dominiert den Freiraum, sondern die innerstädtische Lebensqualität für Natur und Mensch! Die komplette vorhandene Bausubstanz wird erhalten und umgebaut. Dafür gibt es keinen Abriss und Neubauten – wie noch 2009 geplant. Im Kontrast dazu steht die südlich angrenzend Neubebauung: eine Durchschnittsinvestoren-Architektur mit PKW-Wüste – ohne Baum, ohne bespielbare Freiflächen; trotzdem genehmigt und abgesegnet.

Das Beispiel zeigt: Baukultur ist zuvorderst vom jeweiligen Bauherrn oder von der Bauherrin abhängig. Geht es um maximalen Profit oder um einen Beitrag zur Baukultur, um einen Impuls, der ausstrahlen kann auf seine Umgebung? Die wiederbelebte Wirtschaft im Jägerwirt mit dem Namen „Il piccolo Cacciatore“, die vor kurzem samt geschmackvoll möbliertem Innenhof eröffnet hat oder das kleine kulturelle Zentrum in dem schräg gegenüberliegenden, mittelalterlichen Holzblockbau mit vielen verschiedenen Veranstaltungen („Zur Gastgeb“) verdeutlichen: Ein geglücktes Zusammenspiel von städtischen Behörden, Architekt samt Fachplanern und versierten Handwerkern ist möglich. So kann ein polyfunktionales kleines Zentrum inmitten eines reinen Wohngebietes entstehen, das fußläufig von der Nachbarschaft nutzbar ist.

Helmut Wartner
Foto: Peter Litvai

Drei kulturelle Ferientipps für den Sommer

Auf ins Museum!

Im frisch eröffneten „Nawareum“ in Straubing dreht sich alles um das Thema Nachhaltigkeit. Vor allem für Kinder sind die vielen Spiele und Exponate zum Anfassen und ganz besonders die große Rutsche, die vom dritten Stock bis ins Erdgeschoss führt, ein großer Spaß. Und dabei lernt man noch allerhand über die Erde, was der Mensch mit ihr macht und die Folgen davon.

Kanufahren auf dem Regen

schon seit dem Mittelalter sind Flößer auf dem Regen unterwegs. Das Holz aus dem Bayerischen Wald wurde sogar bis in die Niederlande exportiert. Früher gab es eben keine Autobahnen und Bundesstraßen und die Flüsse, mochten sie noch so reißend sein, waren die schnellste Möglichkeit etwas zu transportieren. Ab 1847 war der Regen für Flößer bis Zwiesel befahrbar. Im besonders heiklen Bärenloch, noch heute eine Wildwasserstrecke, haben sich immer besonders viele Holzstämme verklemmt und verhakt. Dieses Knäul mussten die Flößer mühsam entwirren.

Heute gibt es keine Flößer mehr, dafür ist der Regen zu großen Teilen ein geschütztes Gebiet. Trotzdem kann man dort im Sommer einige schöne, leichte Kanutouren unternehmen: Zum Beispiel von Viechtach bis zum Höllentalsee (9 km, ca. 2,5-3 Stunden), von Zwiesel bis Regen (7 km ca. 2-3 Stunden) oder von Regen nach Oberaukiel (7 km, ca. 2 Stunden). Diese Touren sind auch für Kinder und Familien geeignet.

Radfahren in der Hallertau

Bei der Hallertauer Hopfentour, die in Pfeffenhausen startet und nach Rottenegg führt, radelt man 25 Kilometer durch eine einzigartige vom Menschen genutzte Landschaft. Dier Hopfenfelder geben dieser Gegend ihr charakteristisches Aussehen. Hopfenzupfen war lange, bis in die 1960er Jahre reine Handarbeit. Viele tausend Saisonarbeiter aus dem Bayerischen Wald, der Oberpfalz und aus Tschechien haben jahrhundertlang bei der Ernte geholfen. Heute erledigen die Arbeit Maschinen. Bei den vielen Hopfenfesten kann man wie früher beim Zupfen mitmachen und als Andenken z. B. einen Hopfenkranz flechten.

Christoph Goldstein
Foto: Franziska Schrödinger

 

„Glück auf dann liebes Baiern!“ – zum 200. Todestag des Geologen und Mineralogen Mathias von Flurl

Folgt man den Lebensspuren des Mathias von Flurl, dann wird deutlich: Selten trifft eine Grabinschrift den Charakter und das Wirken eines Menschen so authentisch.

„Weihe dem theilnehmenden Menschenfreunde,
Dem sanften Jugend-Lehrer,
Dem vom In- und Auslande geachteten Schriftsteller,
Dem thätigen und gewandten Geschäftsmanne,
Dem rein anhänglichen Staatsdiener an König und Vaterland,
Dem gütigen Vater seiner Verwandten,
Dem im geselligen wie im öffentlichen Wirken Wohlthun eigen war,
Dem geliebten und besten Gatten.“

Diesen Grabspruch widmete Caroline Flurl 1823 ihrem Ehemann Mathias. Mit ihm war einer der bedeutendsten bayerischen Wissenschaftler gestorben – der Begründer der Mineralogie und Geologie in Bayern.

Talent zur Naturwissenschaft

Mathias Flurl wurde am 5. Februar 1756 in Straubing als Sohn des Webers Matthäus Flurl und seiner Frau Anna Maria geboren. Bereits in seiner Schulzeit am Straubinger Gymnasium und Lyceum bekam er die sich anbahnenden tiefgreifenden Entwicklungen in Staat und Gesellschaft hautnah mit: Nach dem Verbot des Jesuitenordens übernahmen Weltpriester wie Joseph Danzer den Unterricht, die im Sinne der Aufklärung ihre Schüler für die „Naturlehre“, die „Wissenschaft, welche die Kräfte und Eigenschaften der Körper durchforschet, und die hinlänglichen Gründe ihrer Wirkungen angiebt“ begeisterten. 1777 nahm Danzer seinen besten Schüler Flurl als Hilfslehrer nach München mit. Flurls pädagogische Begabung schlug sich rasch nicht nur in der Ernennung zum Professor für Physik und Naturgeschichte, sondern auch in der Herausgabe von Lehrbüchern nieder. Er trug damit maßgeblich zur ersten Blütezeit naturwissenschaftlichen Unterrichts an bayerischen Schulen bei.

Flurl war häufig im Kurfürstentum unterwegs, beobachtete, untersuchte und notierte die Verbreitung von Gesteinen, Minerallagerstätten und deren Abbauorte. 1787 wurde er aufgrund seiner Entdeckung von Porzellanerde bei Mitterteich in der Oberpfalz zum Berg- und Münzrat und kurz darauf zum Kommissär der handwerklich veralteten und wirtschaftlich angeschlagenen Porzellanmanufaktur Nymphenburg berufen. Von einem Studienaufenthalt im sächsischen Bergbauort Freiberg schrieb er an seinen Vorgesetzten Graf von Haimhausen: „Sie wissen, Freund, welch ein Liebhaber ich von Mineralien bin […] Fast alle Länder haben nun mineralogische Beschreibungen und wir noch kaum einen Schatten! Freund, wie gerne würde ich das Vaterland durchreisen, alles aufsuchen, was merkwürdig wäre […“ Flurl konnte seinen Traum verwirklichen: 1792 erschien sein wissenschaftliches Hauptwerk „Beschreibung der Gebirge von Baiern und der oberen Pfalz“, das auch die erste geologische Karte Bayerns enthielt und den Anfang der systematischen geologisch-mineralogischen Erforschung Bayerns bildete.

Erfolgreicher Praktiker

Nach Flurl sollten naturwissenschaftliche Erkenntnisse praktisch nutzbar sein, „der allgemeinen Wohlfahrt eines Staates und der Glückseligkeit seiner Einwohner“ dienen: „Glück auf dann liebes Baiern!“ So sanierte er unter anderem die Porzellanmanufaktur in Nymphenburg, reformierte die oberbayerische Salzgewinnung, verbesserte die Ausbildung der Mitarbeiter im Berg- und Hüttenwesen, gab Anstöße zum Abbau von Kohle und Erz, zur Gewinnung von Mineralwasser und Verwendung von Naturgesteinen. Die von ihm angelegten und angekauften Mineraliensammlungen bildeten den Grundstock zur Mineralogischen Staatssammlung München und zur Geowissenschaftlichen Sammlung des Landesamts für Umwelt. Für seine Verdienste erfuhr er zahlreiche Ehrungen wie die Aufnahme in die Bayerische Akademie der Wissenschaften oder die Verleihung des Zivilverdienstordens der Bayerischen Krone und die damit verbundene Erhebung in den Adelsstand. 1820 erreichte Flurl den Höhepunkt seiner beruflichen Karriere: Er wurde zum Vorstand der königlichen General-Bergwerks-Salinen- und Münzadministration berufen.

Tod in der Saline

Am 27. Juli 1823 erlag Flurl während der Inspektion einer Saline in Bad Kissingen einem Herzinfarkt oder Schlaganfall. „Von tiefem Schmerz durchdrungen bringt der unterthänigste Unterzeichnete zur Kenntniß der höchsten vorgesetzten Stelle, daß der höchstverehrte Herr Geheimrath und Vorstand der königlichen General-Bergwerkh-, Salinen- und Münzadministration Mathias von Flurl unter dem heutigen Morgen zwischen acht und neun Uhr an einem eingetretenen Brustkrampfe dahier an der Saline mit Tod abgegangen ist.“ So berichtete der Oberbergrat Carl Kleinschrod am 27. Juli 1823 per Eilstafette aus Kissingen nach München. Flurl wurde noch am gleichen Tag auf dem Kapellenfriedhof in Kissingen beerdigt.
Flurls Witwe Carolina ließ ihm ein „pyramidales Grabmal“ setzen, das Ausdruck seines fortschrittlichen Geistes und seines steten Einsatzes für die praktische Anwendung bayerischer Bodenschätze war: Oberpfälzische Arbeiter gossen es im Bodenwöhrer Hüttenwerk aus Eisen, das sie aus Amberger Erz erschmolzen hatten. Das Grabmal ist zwar nicht mehr erhalten. Aber am 15. Juli 2017 wurde in einer Gemeinschaftsaktion der Städte Kissingen und Straubing, des Straubinger Flurl-Kreises und anderer Förderer auf dem Friedhof ein Denkmal für Flurl eingeweiht.

2017 eingeweihtes Denkmal für Flurl auf dem Kapellenfriedhof in Bad Kissingen (Foto Florian Menschik)

Flurl und Straubing

Mit seiner Geburtsstadt Straubing war Flurl immer verbunden geblieben, hatte sich hier um die Familie seines früh verstorbenen Bruders gekümmert. Die Stadtväter ehrten ihn bereits 1828 mit der Umbenennung der Salzgasse in Flurlgasse und ließen 1840 am Geburtshaus Rosengasse 24 eine bis heute sichtbare Gedenktafel anbringen. Seit 1997 trägt die Kaufmännische Berufsschule den Namen „Mathias-von-Flurl-Berufsschule“. Und anlässlich der Feierlichkeiten zum 250. Geburtstag Flurls im Jahr 2006 stellte man in der Grünanlage am Kinseher Berg ein Denkmal in Form einer Basaltsäule für den großen Sohn Straubings auf.
Für Flurl als Wissenschaftler bot seine heimatliche Gegend, der flache Gäuboden, freilich nichts Besonderes: „Daß die Gegend um Straubing den mineralogischen Beobachtungen nicht günstig ist, darf ich Ihnen wohl nicht erst sagen, indem sie wissen, daß die hier herum fast unübersehliche Ebene dem forschenden Auge keinen Anblick gewährt als Felder, Kirchen und Dörfer […]“ Dafür bot die Heimat etwas Anderes, das Flurl schätzte. Laut einem Tagebucheintrag während seines Aufenthalts in Freiberg erinnerte ihn der sächsische Ort zwar an Straubing, doch zu seiner Enttäuschung wusste man im dortigen „gemeinen Brauhaus“ nichts „von einem weißen Weitzenbier“!

 

Im Gäubodenmuseum Straubing ist bis 10. September 2023 das „Museums-Schaufenster“ Mathias von Flurl gewidmet.

Dorit-Maria Krenn

 

Literaturhinweise:

Dorit-Maria Krenn/Gerhard Lehrberger, „Glückauf dann liebes Baiern!“ Mathias von Flurl und sein Lebenswerk (1756-1823), Augsburg 2006 (Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur Nr. 34)

 

 

„Das ist keine Leere, das ist Stille!“ – die Kirche Sankt Michael in Plattling

Der Historismus, der von einer Nachahmung verschiedener Kunst- und Architekturstile geprägt war, endete mit dem Kaiserreich 1918. Nun begann eine Übergangszeit: Der moderne Kirchenbau zeichnete sich einerseits durch eine schlichte Gestaltung aus, andererseits orientierte man sich vielfach noch immer – wenngleich in vereinfachter Form – an bestimmten vergangenen Epochen. So entstanden beispielsweise Sakralbauten, die barocke Stilelemente wie einen Zwiebelturm aufweisen, womit eine konservative Grundhaltung zum Ausdruck gebracht wurde (neubarocker Reduktionsstil: St. Josef in Mietraching/Deggendorf, 1926 bis 1931, Turm 1939). Ähnliches gilt für die Heimatschutzarchitektur, bei der die Bewahrung der regionalen Bautradition einschließlich der Verwendung entsprechender Materialien im Vordergrund stand. Ein Beispiel ist die mit Granitbruchsteinfassaden versehene, 1928 bis 1938 entstandene Kirche St. Heinrich und Gunther in Schönbrunn am Lusen (Hohenau). In der Nachkriegszeit setzte sich die Tendenz zur Vereinfachung fort, wobei die handwerkliche Verarbeitung traditioneller Baustoffe wie Ziegel, Wandputz und Holz sowie das Festhalten an überlieferten Bauformen und Elementen (Satteldächer, sichtbare Dachstuhlkonstruktionen, Rundbögen, Pfeiler) nach wie vor eine große Rolle spielten (St. Martin in Deggendorf, 1951 bis 1954). Üblich waren im katholischen Kirchenbau außerdem noch immer ein längsrechteckiger Grundriss, die klare Trennung zwischen Langhaus und Chor sowie ein Hochaltar und eine Kanzel.

In den 1960er Jahren kam es in der Bundesrepublik zu einer Trendwende, die vor allem das Erscheinungsbild von öffentlichen Gebäuden, unter anderem von Sakralbauten, prägte. Die Orientierung an der Bauhaus-Architektur der Weimarer Republik im Sinne des „demokratischen Bauens“ ging mit der Zielsetzung einher, sich von einer Architekturtradition zu lösen, bei der die Repräsentation beziehungsweise der Ausdruck von Macht eine Rolle gespielt hatte. Die schmucklose Geradlinigkeit vieler Objekte ist nicht zuletzt auf die Verwendung von Stahlbeton zurückzuführen. Dessen Oberfläche blieb in der Regel unbehandelt, worauf der Stilbegriff des „Brutalismus“ (französisch „béton brut“, wörtlich „roher Beton“, das heißt Sichtbeton) verweist. Entsprechende Innovationen ermöglichten außerdem den Einsatz von großformatigem Mehrscheiben-Isolierglas.

In der katholischen Kirche führte das Zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965) zu tiefgreifenden Reformen. Ein gewisser Zusammenhang mit den oben angesprochenen demokratischen Idealen ist darin zu sehen, dass die Rolle der Laien unter anderem durch die Wahl von Pfarrgemeinderäten gestärkt wurde. Die Liturgiereform, bei der Vorstellungen der liturgischen Bewegung (Gottesdienst als Versammlung der Gemeinde) umgesetzt wurden, hatte entscheidenden Einfluss auf die Planung von Gotteshäusern. In der „Konstitution über die heilige Liturgie“ (1963) heißt es dazu: „Beim Bau von Kirchen ist sorgfältig darauf zu achten, daß sie für die liturgischen Feiern und für die tätige Teilnahme der Gläubigen geeignet sind.“ Die Distanz zwischen Priester und Gottesdienstbesuchern sollte möglichst aufgehoben werden. Im Idealfall stand der seitdem als Hauptaltar anzusehende Volksaltar im Mittelpunkt eines Zentralraums.

In Plattling war in den späten 1960er Jahren aufgrund des Bevölkerungszuwachses und der damit verbundenen Wohnbebauung nördlich des historischen Ortes die Gründung einer zweiten Pfarrei notwendig. Daher entstand zwischen 1969 bis 1971 dank einer großzügigen Stiftung des Plattlinger Orgelbaumeisters Michael Weise die Kirche St. Michael nach Plänen des Münchener Architekten Friedrich Ferdinand Haindl (1910 bis 2002). Dieser hatte auch die Landshuter Gotteshäuser St. Konrad (1950/51) und St. Wolfgang (1956/57) entworfen. Wenngleich St. Michael keinen so spektakulären Eindruck hinterlässt wie beispielsweise Christkönig in Ruhstorf a. d. Rott (1960 bis 1962) oder St. Peter in Passau (1963 bis 1965), handelt es sich dennoch um ein gutes Beispiel für den Kirchenbau im Zusammenhang mit dem II. Vatikanum. Was die Materialwahl betrifft, setzte man im Sinne des Brutalismus Beton ein, wobei die betreffenden Partien in den 1980er Jahren einen verfälschenden Farbanstrich erhielten. Auch der freistehende Turm besteht aus diesem Baustoff. An der Kirchenfassade sind horizontale sowie flächige Betonelemente angebracht. Hauptsächlich aber wird das Äußere von Sankt Michael durch ein schmuckloses Klinker-Sichtmauerwerk geprägt. Auch beim Bau des Pfarrzentrums fanden die eben genannten Materialien Verwendung. Das flachgeneigte Pultdach der Kirche wird durch den erhöhten oberen Wandabschluss verdeckt.

Die Wände des Innenraums sind durch horizontal und vertikal angeordnete Betonelemente gegliedert, das verschlämmte Ziegelmauerwerk zeichnet sich bei genauerer Betrachtung durch eine lebendige Struktur aus. Holz wurde für die Decke, das Laiengestühl, die Beichtstühle und das Orgelgehäuse verwendet, wobei man – dem schlichten Charakter des Raumes entsprechend – auf Ornamente verzichtete. Auch Glas kam gezielt zum Einsatz: Die Belichtung erfolgt vor allem durch zwei große Fensterfronten im Bereich der seitlichen Zugänge, in die kleine farbige Scheiben integriert sind. Die freie Sicht auf sämtliche Bereiche des aufgrund seiner Höhe beeindruckenden Raumes ruft eine offene Atmosphäre hervor. Der Grundriss würde sich zwar für einen Zentralraum eignen, dieses Ideal hat man jedoch nicht konsequent umgesetzt, da die Form eines Achtecks mit jeweils vier langen und vier kurzen Seiten durch den eingezogenen Chor durchbrochen wird. Außerdem ist sein Bodenniveau um vier Stufen angehoben und auch sein oberer Abschluss ist erhöht. Die drei Abschnitte der Holzdecke sind jeweils fünffach abgestuft und verjüngen sich – wie auch die vier Blöcke des Laiengestühls – zum Chor hin. So ist der Blick der Kirchenbesucher auf diesen ausgerichtet.

Die oben zitierte „Konstitution über die heilige Liturgie“ enthält auch Aussagen über die Ausstattung von Kirchen im Sinne des II. Vatikanums: „Die Kunst unserer Zeit und aller Völker und Länder soll in der Kirche Freiheit der Ausübung haben, sofern sie nur den Gotteshäusern und den heiligen Riten mit der gebührenden Ehrfurcht und Ehrerbietung dient.“ Die künstlerische Gestaltung von St. Michael lag in den Händen des Münchener Bildhauers Josef Henselmann (1898 bis 1987). Zu dessen bekanntesten Werken zählt der Hochaltar des Passauer Doms St. Stephan (1952). Das am Glockenturm angebrachte Betonrelief zeigt den dynamisch wirkenden heiligen Michael, der den Kopf des Drachens (Symbol für den Teufel) durchbohrt. Die Ausstattung (Volksaltar, Ambo, Tabernakel-Stele, Taufstein, Kreuzwegstationen, Apostelleuchter, Halbreliefs der 12 Jünger, Skulptur der Mutter Gottes) besteht aus verschiedenen Materialien. Das prägende Kunstwerk ist das Chorkreuz mit dem aus Pappelholz geschnitzten Christus. Der verkrümmte Körper sowie dessen teilweise raue Oberfläche bringen das Leiden Jesu drastisch zum Ausdruck. Dieses beklemmende Bild wird durch zwei Kunstgriffe relativiert: Dass das Kreuz nicht mit der Wand verbunden ist, sondern – nur an zwei Talseilen fixiert – frei im Raum hängt, vermittelt einen schwebenden, von Leichtigkeit geprägten Eindruck. Auch die Lichtführung ist bewusst gewählt: Die Ausleuchtung erfolgt über die Nordseite des oberen Abschlusses des Chors auf die Vorderseite des Kruzifixes, wodurch dieses aufgehellt wird. Der ebenfalls im Altarraum angebrachte Wandteppich wurde von der Franziskanerin Schwester Animata Probst (Dillingen, geboren 1931) geschaffen.

Einerseits beurteilt man die Architekturmoderne seit den späten 1970er Jahren oftmals negativ. Beliebte Schlagworte lauten Bausünde, Kälte, Monotonie und Leblosigkeit. Andererseits hat man in den letzten Jahren die Zeitlosigkeit vieler betreffender Objekte neu entdeckt. Und wenn man sich auf die theologischen Vorstellungen einlässt, die der Gestaltung entsprechender katholischer Gotteshäuser zu Grunde lagen, kann dies nicht nur Verständnis für ihre Schlichtheit, sondern sogar eine ausgeprägte Faszination hervorrufen. Der Priester Romano Guardini (1885 bis 1968), ein bedeutender Vertreter der liturgischen Erneuerung, wies die Kritik an Kirchenräumen, die bei oberflächlicher Betrachtung zu nüchtern wirken, mit folgenden Worten zurück: „Das ist keine Leere, das ist Stille! Und in der Stille wohnt Gott.“ (https://www.monumente-online.de/de/ausgaben/2014/6/liturgie-formt-raeume.php; Aufruf am 12.07.2023)

Florian Jung

Niederbayerische Kuriositäten IV – Der wachsende Felsen von Usterling

Der wachsende Felsen in Usterling kommt einem riesig vor. Er wächst und wächst, jedes Jahr einige Millimeter. Aber wie kann es sein, dass der Felsen immer weiterwächst? Das Wasser in dieser Gegend ist besonders kalkhaltig. Und dieser Kalk lagert sich ab, ähnlich wie sich in einem Wasserkocher oder einem Kochtopf Kalk bildet. Bei einem wachsenden Felsen ist der chemische Prozess aber etwas komplizierter: Moose und Algen entziehen dem Wasser Kohlendioxid, das sie zum Atmen brauchen. So lagert sich noch mehr Kalk ab und allmählich bildet sich Kalktuff, ein poröses Gestein. Das Moos aber strebt zum Licht, das es zum Leben braucht und wächst mit dem Kalktuff mit, sodass über Jahrtausende der Felsen immer größer wird.

Wie alt der Felsen genau ist, kann man nicht sagen. Der Hang, an dem der Felsen liegt, ist ca. 20 Millionen Jahre alt. Der Felsen selbstist  vergleichsweise jung, gerade etwa einige tausend Jahre. In der Kirche St. Johannes in Usterling ist auf einem Altarbild von 1520 die Taufe Christi dargestellt; im Hintergrund der wachsende Felsen, die Quelle des Taufwassers. Aus diesem Grund heißt der Felsen auch „Johannisfelsen“ und, so sagt man, dasWasser soll bei Augenleiden helfen, weswegen Usterling über viele Jahrhunderte ein Wallfahrtsort war. Und noch heute waschen viele Menschen am 24. Juni (Johanni) ihre Augen mit dem Wasser des wachsenden Felsens. Jahrhunderte lang haben die Mesner der Kirche sich um den Felsen gekümmert und die Rinne von Laub und Erde befreit, denn hätten sie es nicht getan, wäre die Rinne schnell verstopft worden und der Felsen verwildert. Noch heute kümmern sich Naturschutzwärter darum. Im Winter leiten sie das Wasser um, damit der Felsen keine Frostschäden erleidet. Schon seit 1937 steht er unter Naturschutz.

Wer den wachsenden Felsen besuchen will, der verbindet das am besten mit einer Fahrradtour, obwohl man natürlich auch mit dem Auto kommen kann: Von Dingolfing aus geht es zuerst gemütlich rechts der Isar auf dem Isarradweg entlang bis Usterling am Mamminger Stausee. Vom Parkplatz sind es nur noch 100 Meter bis zum Felsen; danach geht es, wieder an der Isar, ca. sechs Kilometer, weiter nach Landau, wo man einkehren und dann am Bahnhof wieder den Zug besteigen kann.

Christoph Goldstein
Fotos:
https://pixabay.com/de/photos/wachsender-felsen-landau-an-der-isar-6497790/
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Felsen-altar.jpg