Neue Hecken in Niederbayern

Derzeit ist das Thema Agrarwende in aller Munde. Auch im Zusammenhang mit dem Klimawandel und dem dramatischen Insektensterben weisen alle neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse immer auf die Bedeutung von naturnahen Lebensräumen inmitten der sogenannten „Agrarwüsten“ hin.
Niederbayern ist gekennzeichnet durch seine fruchtbaren Böden, auf denen vermehrt Mais für Biogasanlagen und als Futtermittel für die Schweinemast produziert werden. Deshalb beseitigen die Landwirte immer mehr sogenannte Kleinstrukturen wie Hecken, Raine, brechen Wiesen um und verabschieden sich vom Grundsatz der Fruchtwechsel wie in der Dreifelderwirtschaft mit Ruhepausen für die geschundenen Böden. Reine Monokulturen sind auf dem Vormarsch.
Doch es gibt rühmliche Ausnahmen: Voll-und Nebenerwerbsbetriebe, die einsehen, dass der bayerische Grundsatz „leben und leben lassen“ zukunftsfähiger ist als die einseitige Optimierung von Erträgen. Bauern, die neue Hecken pflanzen und beidseitige Wiesenstreifen tolerieren – wie auf dem Luftbild aus dem Landkreis Landshut – und sich freuen, wenn der Wechsel der Jahreszeiten wieder an Blüten und Früchten am Wegesrand erkennbar ist; Vernetzungslinien schaffen, wo Bienen wieder die so notwendigen Futterpflanzen finden und unsere Vögel die lebenswichtige Insektennahrung.
Auch bei den inzwischen verfügbaren blütenreichen Alternativen zum Energielieferanten Mais finden Tiere bedeutend höhere Lebenschancen. Staatsregierung und EU fördern all diese Maßnahmen auch durch entsprechende Subventionen und Programme. Landwirtschaftsminister Brunner will den Anteil der ökologischen Landwirtschaft mittelfristig bis auf 20 % steigern. Das führt zwangsläufig wieder zu mehr Artenvielfalt, einer reicheren Biodiversität und zu der Postkartenschönheit, die die Tourismus- und Werbefachleute so gern verbreiten. Und als Nebeneffekt sinkt auch die Erosionsanfälligkeit, die jährlich zu gravierenden Verlusten am wertvollsten Kapital der niederbayerischen Landschaft führt: den fruchtbaren Böden.
Helmut Wartner
Martini zur Ehr…

Am Festtag des Heiligen Martin, dem 11. November, trafen früher kirchliche und weltliche Traditionen aufeinander. Der Martinstag stand am Beginn der 40-tägigen Fastenzeit vor Weihnachten. Zugleich beendete er das Wirtschaftsjahr der Bauern. Dann waren traditionell Steuern fällig. Diese wurden oft in Naturalien bezahlt, zum Beispiel mit Eiern, Getreide oder Gänsen.
In jedem Fall fanden an Martini üppige Festessen statt. Dabei kam die sogenannte Martinsgans auf den Tisch. Sie steht bis heute im Mittelpunkt eines festlichen Mahls mit Freunden und Familie.
Der Bezug zwischen dem Heiligen und der Gans ergibt sich auch aus der Legende: Martin sollte im Jahr 371 Bischof von Tours werden. Um der Wahl zu entgehen, versteckte sich der bescheidene Mann in einem Gänsestall, aber die laut schnatternden Tiere verrieten ihn.
Weil der Heilige Martin eigentlich ein römischer Soldat war, der seinen Mantel mit einem frierenden Bettler geteilt haben soll, wird er als Patron der Soldaten, der Bettler und Armen verehrt. Diese Geschichte wird alljährlich beim Martinsumzug der Kinder nachgespielt. Dabei werden auch Martinsgänse als süßes Gebäck verschenkt und miteinander geteilt.
Maximilian Seefelder und Christine Lorenz-Lossin
Illustration: Anja Just
Immaterielles Kulturerbe: Würdigung der Vielfalt!

Die UNESCO ist die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Zu ihren Hauptaufgaben gehören Schutz und Erhaltung des kulturellen Erbes, Bewahrung und Förderung der kulturellen Vielfalt und der Dialog zwischen den Kulturen. Im Oktober 2003 verabschiedete die UNESCO-Generalkonferenz das Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes. Nachdem 30 Staaten es ratifiziert hatten, trat es im April 2006 in Kraft. Das Übereinkommen ergänzt die Welterbekonvention der UNESCO von 1972, die das materielle Kultur- und Naturerbe zum Inhalt hat. Im Dezember 2012 beschloss auch das Deutsche Bundeskabinett den Beitritt zum Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes, im Juli 2013 wurde der Beitritt rechtswirksam. Seither wurden 68 deutsche Kulturformen ins Bundesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen, nachdem sie ein mehrstufiges Auswahlverfahren durchlaufen hatten und ein Expertenkomitee nach Evaluierung der Vorschläge seine Auswahlempfehlung an die Kultusministerkonferenz zur staatlichen Bestätigung geschickt hatte.
Was aber ist eigentlich immaterielles Kulturerbe? Das sind lebendige kulturelle Ausdrucksformen, die unmittelbar von menschlichem Wissen und Können getragen werden. Dazu zählen mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen wie z.B. die Geschichte des Rattenfängers von Hameln, darstellende Künste wie z.B. die Deutsche Theater- und Orchesterlandschaft, gesellschaftliche Bräuche wie z.B. das Kneippen, Rituale wie z.B. die Ostfriesische Teekultur, Feste wie z.B. die Lindenkirchweih Limmersdorf, Wissen und Bräuche in Bezug auf die Natur wie z.B. die Flößerei sowie traditionelle Handwerkstechniken wie etwa das Reetdachdecker-Handwerk.
Immaterielles Kulturerbe wird also sehr konkret benannt und betrifft weite Teile der Gesellschaft. Es vermittelt einer Gemeinschaft ein Gefühl der Identität und Kontinuität. Das Kulturerbe-Verzeichnis dokumentiert dabei kulturelle Vielfalt und schärft unser Bewusstsein für kulturelle Ausdrucksformen. Zugleich bedeutet eine Aufnahme ins Verzeichnis keineswegs die Konservierung eines bestimmten Zustands. Vielmehr werden die gelisteten Fertigkeiten, das Können und Wissen, immer wieder abgeändert, wenn Praktiken und Traditionen sich veränderten Umständen und Zeiten anpassen. Durch die starke Bindung an den einzelnen Menschen, der als Träger der Kulturform eine Schlüsselrolle spielt, werden die kulturellen Ausdrucksformen fortwährend neu gestaltet. Die Veränderung ist also ein Wesensmerkmal des immateriellen Kulturerbes!
So manchem, der das Zwiefachentanzen, das Brotbacken oder das Chorsingen – alles aufgenommen ins Bundesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes – praktiziert, wird die Bedeutung kultureller Errungenschaften erst durch deren Aufnahme ins bundesweite Verzeichnis und die damit einhergehende mediale Präsenz bewusst. Die Ausübung der Kulturform ist ganz selbstverständlicher Teil seiner Lebenswelt. Doch die Auflistung führt dazu, dass auch Außenstehende das Kulturgut wahrnehmen und es wertschätzen. Wir alle erkennen dabei die Vielfalt, in der Menschen sich kulturell entwickeln. Damit öffnen wir uns für regionale Besonderheiten und lernen, kulturelle Unterschiede zu respektieren.
Veronika Keglmaier
Perfektion ist nicht alles – selbstgemachte Musik

„Spiel mit“ heißt die Kinderbeilage der Zeitschrift „Familie & Co“. Basteltipps, Rätsel, Spiele und Erstlesetexte regen den Nachwuchs auf vielfältige Weise dazu an, selbst aktiv zu werden. Dass man Medien in dieser Weise bei der Kindererziehung einsetzen kann, ist längst ein alter Hut – die Vorgängerzeitschrift „Spielen und Lernen“ gab es seit 1968.
Wie ist das aber mit den Erwachsenen? Hat man nicht irgendwann einmal beigebracht bekommen, bestimmte Dinge besser den Profis zu überlassen? Zum Beispiel klassische Musik akademisch gebildeten Musikern? Wir haben gelernt, uns in die stille Rolle des Zuhörers zu begeben, während vor unseren Augen und Ohren eine professionelle Darbietung über die Bühne geht. Das ist natürlich (mal mehr, mal weniger) reizvoll. Aber bekommt man da nicht doch manchmal Lust, es selbst auszuprobieren?
Da trifft es sich gut, dass der Klassikbetrieb derzeit offenbar den Laienmusiker neu entdeckt. Schon seit vielen Jahren gehört es zum guten Ton, ein Festival nicht nur mit internationalen Größen zu bestücken, sondern auch Kräfte aus der Region zu berücksichtigen. Zudem lockt man gerne mit interaktiven Zusatzangeboten wie Workshops und Meisterkursen oder lädt zum Blick und Gespräch hinter die Kulissen.
Neuerdings aber wird der Otto-Normal-Bürger sogar als unmittelbar Mitwirkender angesprochen. So riefen die Passauer Festspiele „Europäische Wochen“ im Frühjahr 2017 dazu auf, bei einem Festspielchor mitzusingen. Der konstituierte sich schließlich aus vielen interessierten BürgerInnen, und gemeinsam mit dem Neuen Orchester aus Köln unter Dirigent Christoph Spering stemmte man den finalen Chorsatz der Neunten Symphonie von Beethoven – die „Ode an die Freude“.
Das erwies sich in mehrerlei Hinsicht als geschickter Schachzug: Denn nicht nur war das Ergebnis durchaus hörenswert und man genoss die Freude an der gemeinsamen Sache, sondern es wurde zugleich bei allen die Identifikation gestärkt: Die Mitwirkenden aus der Region fühlen sich „ihrem“ Festival verbunden.
So wirklich neu ist das ja übrigens auch nicht. In der Volksmusikszene pflegt man – gleichsam als Absetzbewegung zur medialen Kommerzialisierung – seit Jahrzehnten das gemeinsame Tanzen, Singen und Musizieren: auf Tanzbällen und Brauchfesten, in Singstunden und Seminaren, auf dem Dorfplatz, in der Kirche oder im Wirtshaus. Nicht von ungefähr titelt eine Veranstaltungsreihe beim Kulturreferat des Bezirks Niederbayern einladend: „Spiel mit!“
Philipp Ortmeier
Valentinstag, Wallfahrt und Halloween

Wer war nochmal der Heilige Valentin? Warum werden zu Ostern Brot und Eier geweiht und warum ist Halloween so beliebt? Antworten auf diese Fragen gibt der Familienkalender „Mit Bräuchen durchs Jahr“ des Bezirks Niederbayern. In fröhlichen Bildern und kurzen Texten stellt er zwölf Bräuche vor, die im Jahresslauf fest verankert sind und im Leben vieler Menschen eine Rolle spielen. Dies sind einerseits die Festtermine des Kirchenjahres wie zum Beispiel Weihnachten, Ostern und Kirchweih. Andererseits bieten auch weltliche Termine Anlass für Bräuche, zum Beispiel an Neujahr, am 1. Mai oder dem ersten Schultag. In gewachsenen Traditionen greifen christlicher Glaube und Alltag scheinbar selbstverständlich ineinander. Neue Bräuche sorgen hingegen nicht selten für Aufsehen und sind doch nur Ausdruck sich ständig verändernden Lebenswelten. Der Kalender nimmt beides in den Blick, um Traditionen wieder bewusster zu leben.
Idee, Konzept und Texte entstanden im Kulturreferat des Bezirks Niederbayern als Beitrag zur regionalen Heimatpflege. Die Bilder stammen von der Landshuter Illustratorin Anja Just. Veröffentlicht wurde der Kalender in Zusammenarbeit mit dem Verlag Attenkofer, Straubing.
Erhältlich zum Preis von 9,80 Euro unter Tel. 0871-97512 730, im Buchhandel (ISBN 978-3-947029-02-0) oder unter www.verlag-attenkofer.de
Christine Lorenz-Lossin
Illustration: Anja Just
Seelenwecken – ein süßes Gebäck zum Armeseelen-Tag

Der November wird im Volksmund als „Totenmonat“ bezeichnet. Seine Tage von Allerseelen bis zum Ewigkeits- oder Totensonntag sind dem Gedenken an die Verstorbenen gewidmet. Doch nicht erst bei den Christen führte der Glaube an die Lösbarkeit der Seele vom Körper zur Vorstellung von Unsterblichkeit. Gedächtnisfeiern und Feste zur Verehrung der Seelen der Verstorbenen sind in vielen Kulturen üblich.
In christlichen Klöstern wurde Allerseelen ab dem 10. Jahrhundert gefeiert. Innerhalb der vielfältigen, religiös geprägten Vorstellungen von einem Weiterleben im Jenseits entwickelte der Volksglaube seine eigenen Deutungen und Bräuche. Demnach würden die Seelen der Verstorbenen am Armeseelen-Tag für kurze Zeit zurückkehren, um sich von ihren Qualen im Fegfeuer zu erholen. Bevorzugt sollen sie sich in Kirchen, auf Friedhöfen, im Dunkel, ja sogar im Wind aufhalten. Mancher Brauch war von diesem Glauben getragen. So sollte man Arme Seelen keinesfalls kränken. Vielmehr war man darauf bedacht, sie freundlich, ja fürsorglich zu behandeln. Wer dieses Gebot missachtete, dem wurde übel mitgespielt, wie aus vielen überlieferten Sagen herauszulesen ist. Kein Messer durfte mit der Scheide nach oben, keine Pfanne leer über dem Feuer stehen, auf dass sich keine Seele je verletzte. Ihre Qualen im Fegefeuer wollte man mit kühler Milch gelindert wissen. Am geheizten Ofen durften sich jene Seelen wärmen, welche die „kalte Pein“ erleiden mussten. Mancherorts speiste man sie mit Brei, der im „hölzernen Seelennapf“ gereicht wurde.
Viele dieser rituellen Praktiken sind aus dem Gebrauch gekommen, insbesondere nachdem die Aufklärung allem sogenannten Aberglauben den Kampf angesagt hatte.
Noch mehr ließen die rasanten soziokulturellen Entwicklungen der Nachkriegsjahrzehnte viele volksreligiöse Traditionen hinter sich. Mittlerweile weiß die Mehrheit der Bevölkerung nicht einmal mehr, was Allerseelen überhaupt bedeutet. Dennoch findet in dieser Gemengelage zwischen Gleichgültigkeit, verschüttetem Wissen und kritischer Glaubenshaltung manche Jenseitsvorstellung bis heute ihren sichtbaren Ausdruck in Bräuchen und Symbolen.
In einigen Regionen des bayerisch-alpenländischen Raums kennt man noch immer den sogenannten Seelenwecken, Seelenzelten, Seelenspitz oder -zopf. Seine unterschiedlichen Bezeichnungen und Ausführungen, ob als Kuchen- oder Hefeteig, Wecken oder Zopf, mehr oder weniger süß, zeugen von der Verbreitung dieses Brauchgebäcks.
Ehemals schenkten Tauf- und Firmpaten ihren Patenkindern, Eltern ihren Kindern, Verehrer ihren Liebsten zu Allerseelen einen Seelenwecken. Die Beschenkten standen stellvertretend für die Armen Seelen. Deshalb wurden bevorzugt auch die Armen des Dorfs beschenkt. Jedes „Vergelt’s Gott“ der Bedachten führte dem Volksglauben nach zur Erlösung einer Armen Seele aus dem Fegfeuer. Auch auf den Gräbern legte man Seelenwecken nieder, die von den Ärmsten und Kindern nach dem Gräbergang eingesammelt werden durften. Im Bayerischen Wald war es bis ins 19. Jahrhundert hinein Brauch, dass die Dorfarmen und Kinder um Allerseelen von Haus zu Haus zogen, um bei den wohlhabenden Bauern Seelenwecken zu erheischen. Diese erhofften sich für ihre Mildtätigkeit reichen Ernteertrag im darauffolgenden Jahr. Ob die Gabe selbstgebacken oder gekauft war, spielte dabei keine Rolle. Lediglich auf den Akt des Verschenkens kam es an.
Ich war am Montag vor Allerheiligen und Allerseelen in Geisenhausen und fand in der Auslage der Bäckerei Rauchensteiner süße Seelenwecken vor. Auf meine Nachfrage hin erklärte mir die Juniorchefin, die Bäcker- und Konditormeisterin Julia Holzner, dass sie diese Tradition in der dritten Generation fortführe. Schon Großvater Maximilian Rauchensteiner fertigte süße Seelenwecken, nachdem er 1954 die Bäckerei übernommen hatte, die seit 1739 besteht. Das Biskuitgebäck bietet die Meisterin in zweierlei Ausführungen und dreierlei Größen an: mit Buttercremefüllung und Schokoüberzug, mit Aprikosenkonfitüre und Fondantüberzug, jeweils als 400-, 600-, oder 900-Gramm-Kuchen. Ca. 300 Seelenwecken werden um Allerseelen herum gebacken, und es scheint sich in den letzten Jahren ein leichter Aufwärtstrend für die Gebäckstücke abzuzeichnen. Sie werden gerne als Patengeschenke und aus Traditionsgründen gekauft, und wohl auch weil sie etwas Besonderes sind. Es gibt sie nur einmal im Jahr, um Allerseelen eben. Warum das Gebäck ellipsenförmig gestaltet ist, beantwortet die Juniorchefin mit einem charmanten Lächeln: „Weil eine ellipsenförmige Seele leichter ins Himmelreich eingeht.“
Maximilian Seefelder
Finde den Schmetterling!

Der Sommer war herrlich, sonnig, heiß und wie immer viel zu schnell vorbei. Mit Ferien, Badewetter und Eiskaffee hatten die vergangenen Monate viele Annehmlichkeiten zu bieten, aber irgendetwas hat gefehlt… Ein Blick in die Tageszeitung schafft das gewünschte Aha-Erlebnis: „Zu viel Mais lässt Schmetterlinge aussterben“ zitiert die Passauer Neue Presse den niederbayerischen Biologen Josef Reichholf, der seit 1969 an einer Langzeitstudie zum Thema arbeitet. Seine Untersuchungen zu nachtaktiven Faltern verzeichnen einen scheinbar nicht aufzuhaltenden Artenrückgang. Mais-Monokulturen und die Überdüngung der Felder sind als Hauptübel ausgemacht und in der Tat ist die „Vermaisung der Landschaft“ ein allerorten deutlich sichtbares Phänomen der letzten Jahre.
Aber! Die unzähligen bunten Schmetterlinge meiner Kindheit habe ich nicht auf den weiten landwirtschaftlichen Flächen der Umgebung, sondern am Straßenrand und in Gärten gesehen: Kleine Bläulinge und Große Ochsenaugen an der Böschung, Kohlweißlinge im Gemüsebeet, Zitronenfalter unterm Apfelbaum, Tagpfauenauge und Kleiner Fuchs in ganzen Trauben am Sommerflieder, dazwischen der majestätische Admiral und ab und an sogar ein Schwalbenschwanz.
Ein Zusammenhang zwischen dem Verschwinden der Schmetterlinge und den monotonen Ackerflächen ist sicher nicht von der Hand zu weisen. Der Wunsch nach einer naturnahen, umweltverträglichen und artgerechten Landwirtschaft ist recht – aber auch billig. Die anderen sollen’s mal wieder richten. Und selbst? Wer duldet Brennesseln, Wiesen-Bärenklau, Acker-Witwenblumen und -Kratzdisteln in seinem Garten? Wie sollen auf robotergetrimmtem Rasen Arznei-Thymian, Dost und Günsel wachsen? Warum Gabionen statt Liguster- und Fliederhecken? Vielleicht hilft ein kritischer Blick in den eigenen Vorgarten, damit der nächste Sommer wieder bunter wird…
Christine Lorenz-Lossin
Ideenschmiede Silicon Vilstal

Silicon Valley in Kalifornien – das klingt nach Zahn der Zeit, nach großen Köpfen, nach Technologiefortschritt. Silicon Vilstal in Niederbayern – da stutzt man erst einmal. Ist das nicht etwas hoch gegriffen?
Das Silicon Valley ist einer der bedeutendsten Standorte der IT- und High-Tech-Industrie weltweit. Seit den 1950er Jahren gründeten dort ehemalige Mitarbeiter von Elektronikfirmen sowie Universitätsabsolventen kleine Unternehmen und entwickelten neue Ideen und Produkte. Zunehmend siedelten sich Unternehmen der Hochtechnologie dort an – zu den bekanntesten gehören Apple, Intel, Google, eBay, Tesla oder Amazon.
2016 gründete sich in Niederbayern eine regionale Initiative rund um Innovation, Kreativität und Gründergeist: Silicon Vilstal. Sie zeigt auf, was das niederbayerische Vilstal schon heute zu bieten hat und was in „digitalen Zeiten“ daraus noch alles werden kann.
Zum Auftakt lud ein Mitmach-Festival zum kreativen Austausch zwischen der Region, internationalen Experten und Initiativen aus ganz Deutschland. Angeboten wurden Innovationen wie ein Gründerzirkeltraining und ein virtuelles Schafkopfturnier, Informationen über neue Mobilitätskonzepte für die Region und über selbstfahrende Fahrzeuge, Architekturworkshops, Kurse zu Designmethoden, ein Patentfrühstück mit einem Erfinder, Innovationskurse für Kinder wie ein 3D-Druckworkshop u.v.m.
Das ehrenamtliche Team rund um Initiator Helmut Ramsauer bietet mit der Initiative eine Plattform für kreative Köpfe, macht neugierig auf zukunftsweisende Konzepte und lädt junge Unternehmen mit dem Projekt „Bauer sucht Startup“ zum kreativen Arbeiten auf regionale Bauernhöfe ein – Startups aus Berlin, Köln, Dresden oder München nahmen dieses Angebot bereits wahr und wussten die Vorzüge der ruhigen ländlichen Atmosphäre gerade für die Phasen des konzentrierten Tüftelns und der intensiven Teamarbeit zu nutzen.
Kreativ tätig waren auch sechs Startups im Frühjahr 2017: Sie nahmen am Wettbewerb zum Thema „Innovative Mobilitätskonzepte für ländliche Regionen“ von Silicon Vilstal teil. Im Rahmen der zweiten Runde des Festivals wurde die Gewinner-Idee „Mitfahrbänke für die Region“ im Herbst 2017 in die Tat umgesetzt: Mithilfe strategisch platzierter Haltestellen können dabei u.a. ältere Menschen Fahrtwünsche signalisieren, um von einem registrierten Mitbürger im Auto mitgenommen zu werden. Das Projekt basiert auf Gemeinschaftsdenken – Ride-Sharing für den ländlichen Raum!
Die Ideen und Angebote von Silicon Vilstal sind zukunftsweisend und machen Lust auf Austausch, Information und Kreativität. Auch mit geringem Budget gelingt es, engagierte Menschen, Firmen, Institutionen und Medien aus der Region und weit darüber hinaus zusammenzuführen und gemeinsame Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Blickt man auf die Vielfalt an Kreativität, die die Initiative bereits hervorgebracht hat, scheint der Begriff Silicon Vilstal nicht zu hoch gegriffen. Ländliches Leben und Innovation, das funktioniert. Nicht nur in Kalifornien!
Veronika Keglmaier
Plädoyer für einen weiten Kulturbegriff

Kunst und Kultur werden häufig in einem Atemzug genannt, ja, die beiden Begriffe manchmal sogar deckungsgleich verwendet. Mal ehrlich: Wie oft ist von Kultur die Rede und Kunst gemeint?
Davon zeugen die vielerorts institutionell ausgelobten Kulturpreise, die eigentlich Kunstpreise darstellen, weil in der Regel Künstler damit bedacht werden. Hier wiederum fokussieren sich die Jurys nicht selten auf Bildende Künstler, traditionsgemäß auf Bildhauer und Maler. Sie gelten zuvorderst als Künstler, während Schauspieler, Schriftsteller oder Musiker, die spartenspezifisch nach ihrer Profession benannt werden, nicht selten leer ausgehen.
Gewiss, neben den Berufsverbänden Bildender Künstler/innen (BBK) gibt es auch den weitaus älteren Deutschen Tonkünstlerverband (DTKV), der zu Recht die Kunst im Namen führt. Der Bundesverband Schauspiel/Bühne/Film/Fernsehen/Sprache (BFFS) und der Verband Deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) verzichten darauf. Dennoch handelt es sich bei ihren Mitgliedern um Künstler/innen.
Sämtliche Kunstsparten bereichern unsere Kultur. Sie sind unverzichtbarer Bestandteil des Kulturlebens. Aber die Künste bilden eben nicht Kultur in ihrer Gesamtheit ab. Trotzdem ist der herrschende Kulturbegriff nach wie vor ein von den Künsten dominierter. Oder macht sich etwa ein kunstaffines Ausstellungs-, Theater-, Opern- und Sinfoniekonzert-Publikum, das während der Pausen bei einem Glas guten Weins über Dargebotenes fachsimpelt, Gedanken darüber, dass beispielsweise auch der Inhalt des Glases eine über Jahrtausende hochentwickelte Kulturleistung darstellt?
Die modernen Kulturwissenschaften haben einen „engen Kulturbegriff“ längst überwunden – einen der Kultur auf Hochkultur, Kunst und ästhetische Werte begrenzt. Kultur im umfassenden Sinne ist das vom Menschen Geschaffene und Gestaltete im Gegensatz zu dem, was von Natur aus vorhanden ist. Schließlich leitet sich das Wort „Kultur“ vom lateinischen colere (pflegen, urbar machen) und von cultura (Landbau, Veredelung von Ackerboden) ab. Die Rodung, die Kultivierung von Land zählt so gesehen zu den ursprünglichsten aller menschlichen Kulturleistungen. Andernfalls könnte von Kulturlandschaften gar keine Rede sein. Zu diesen zählen selbstverständlich die Kulturpflanzen sowie die Nutz- und Haustierrassen, die der Mensch im Lauf seiner Kulturgeschichte gezüchtet, die Produkte, die er daraus gewonnen und für sich verwertet hat.
Kultur äußert sich vielfältig. Denken wir an unsere (regionale) Ess- und Trinkkultur, Kleidungskultur, Bau- und Wohnkultur (Architektur), Sprachkultur, an Glaube und Brauch als Kult, der sich vom Alltagsleben abhebt wie die Künste. All dies ist uns mehr als nur vertraut. Die Summe dessen macht unsere Kultur- und Lebensweise aus; sie prägt unsere Identität.
Von dem niederländisch-französischen Kommunikationswissenschaftler Fons Trompenaars stammt die kluge Erkenntnis: „Kultur umgibt uns wie das Wasser den Fisch.“ Wunderbar. Denn im Gegensatz zum Fisch können wir uns dessen bewusst werden und den modernen „weiten Kulturbegriff“ überzeugend in Worte fassen: Kunst ist Kultur. Aber Kultur umfasst mehr als Kunst.
Maximilian Seefelder
Kulturlandschaft – Landschaftskultur?

Weiß-blauer Himmel über grasgrünen Wiesen, die sich durchbrochen von glitzernden Seen und Flüssen vor einer imposanten Bergkulisse erstrecken, dazwischen zwiebelturmbewehrte kleine Kirchlein inmitten holzverkleideten, weiß getünchter Bauernhäuser mit leuchtend roten Geranienkästen vor den Fenstern – so kennt man Bayern in der ganzen Welt. Niederbayern präsentiert sich ähnlich schmuck mit den goldgelben Weizenfeldern des Gäubodens vor dunkel bewaldeten Bayerwaldbergen.
Ob im Unterland, an der Elbmündung oder in der Toskana: Regionen definieren sich gerne über naturnahe Landschaften und darin eingebettete charakteristische Versatzstücke der Kulturgeschichte. Historische Bauwerke und Siedlungen sollen uns an die „gute alte Zeit“ erinnern und in Kombination mit ästhetischen Naturbildern positiv stimmen. Industriegebiete, Plattenbausiedlungen und Autobahnzubringer passen da nicht ins Bild.
Die Eigenart einer Kulturlandschaft und damit insbesondere das kulturelle Erbe ist eine entscheidende Grundlage für die Identifikation der Bevölkerung mit „ihrer“ Kulturlandschaft und damit für die Entwicklung und Bewahrung eines „Heimatgefühls“. Zum ideellen Wert kommt dabei vielfach indirekt auch eine ökonomische und politische Dimension hinzu. Die vermeintliche Unberührtheit der Natur dient in Werbeprospekten als Verkaufsargument, die dokumentierte Ursprünglichkeit der Landschaft steht auf Wahlplakaten als Garant für Lebensqualität.
Mit dem Wissen um den Lauf der Geschichte und die Wandelbarkeit von Kultur fällt es jedoch oft schwer, an die Authentizität solcher Bilder – gleichwohl ob sprachlich formuliert oder optisch vor Augen gehalten – zu glauben. Wo hört Natur auf, wo fängt Kulturlandschaft an? Erkennen wir kulturell geschaffene Strukturen in der mythisch verklärten Natur überhaupt noch? Können wir akzeptieren, dass auch industrielle Produktionsstätten Zeugnisse unserer kulturellen Identität, ja sogar Kultur-Landschaft sind?
Kulturlandschaften sind mehr als ein Mosaik aus touristisch verwertbaren Glanzstücken. Sie sind lebendiger Spiegel unseres menschlichen Gestaltungswillens. Wir allein entscheiden, ob wir uns mit umzäunten Landschaftsreservaten zufrieden geben oder auch hinter der Fototapetenidylle auf Vielfalt, Nachhaltigkeit und Lebensqualität setzen. Wenn aus immer mehr Feldwegen geteerte Harvester-Bahnen werden, dann ist auch dies Ausdruck einer sich wandelnden Kulturlandschaft – gefallen muss es nicht.
Christine Lorenz-Lossin