Drei Weise aus dem Morgenland

Als Jesus Christus geboren wurde, leuchtete ein besonderer Stern am Himmel. Ihm folgten drei Weise aus dem Morgenland. Im Stall zu Bethlehem fanden sie den Neugeborenen, den sie als Sohn Gottes erkannten. Sie beschenkten ihn mit Kostbarkeiten: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Die Menschen glaubten, nur Könige könnten sich solche Geschenke leisten. Deshalb spricht man von den Heiligen Drei Königen.

Das Fest der Heiligen Drei Könige am 6. Januar ist eines der ältesten Kirchenfeste. Es heißt auch Epiphanie oder Erscheinung des Herrn. Schon 300 n. Chr. wurde es als Fest der Geburt und Taufe Jesu begangen. Die orthodoxen Christen feiern an diesem Tag noch heute ihr Weihnachtsfest.

Als Weise aus dem Morgenland zogen früher Schüler und Handwerksgesellen von Haus zu Haus. Mit einem Dreikönigslied baten sie um milde Gaben. Seit etwa 1950 werden Ministranten als Sternsinger ausgesandt. Sie sammeln Spenden für wohltätige Zwecke. Zum Dank schreiben sie ihren Segensspruch an die Haustüren: Die Jahreszahl und C + M + B. Was aussieht wie die Initialen der Heiligen Drei Könige – Caspar, Melchior und Balthasar – bedeutet eigentlich „Christus Mansionem Benedicat“ (Christus segne dieses Haus).

Maximilian Seefelder und Christine Lorenz-Lossin
Illustration: Anja Just

Magische (literarische) Orte

Noahs Barthaare, Fischgräten von der Speisung der 5000, Tränen Christi oder Milch der Gottesmutter in handlichen kleinen Fläschchen – jahrhundertelang glaubten Christen an die Wundertätigkeit dieser Dinge und ihre Verweiskraft auf weit entfernte heilige Stätten. Der aufgeklärte Mensch belächelt solch skurrile Auswüchse mittelalterlicher Reliquienkulte, die mit rationalem Denken nicht nachvollziehbar sind. Die Moderne hingegen hat ihre eigenen, säkularen Gnaden- und Wallfahrtsorte geschaffen. Hier sind Generationen von Fans zu nennen, die ans Grab von Elvis Presley, Lady Di oder Michael Jackson pilgern. Aber auch (hoch)kulturaffine Menschen, die sich gefeit vor solchem Starkult wähnen, erliegen oft der Strahlkraft historischer Persönlichkeiten. Dies gilt im ‚Land der Dichter und Denker‘ vor allem für eine Vielzahl von Autoren und Schriftstellerinnen, die deutsche Literaturgeschichte geschrieben haben. Wer Weimar besucht, kommt an Goethes Gartenhaus und Schillers Arbeitszimmer nicht vorbei. Tabakdose, Schreibfeder und Tintenfass werden hier ebenso sorgsam gehütet, wie andernorts Kirchenschätze.

Die europaweit einzigartige „Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten e.V.“ vertritt über 215 Mitglieder mit dem erklärten Ziel, die literarische Vielfalt Deutschlands zu erhalten und ihr weiterhin die nötige Anerkennung und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Zum Dachverband gehören zahlreiche Literaturmuseen und Dichterstätten im In- und Ausland. Obwohl öffentliche wie private Träger mit immer knapperen Etats zu kämpfen haben, ist der Boom musealer Einrichtungen, gerade auch im Bereich Literatur, ungebrochen.

Zu den niederbayerischen Glanzstücken gehört die Ausstellung „Born in Schiefweg“, die seit 2010 im Geburtshaus der Heimatdichterin Emerenz Meier (1874-1928) nicht nur dieser starken Frau ein Denkmal setzt, sondern auch die Geschichte der Auswanderung aus dem Bayer- und Böhmerwald „ins Amerika“ erzählt. Im Rosenberger Gut bei Lackenhäuser erinnert ein Museum an Adalbert Stifters (1805-1868) dortige Aufenthalte. Auch hier darf der originale blitzsaubere Schreibtisch mit Tintenfass und Feder nicht fehlen.

Ein neues Kapitel ist Paul Friedl (1902-1989) gewidmet: Sein Geburtshaus in Pronfelden bei Spiegelau wird in den kommenden Jahren ins Freilichtmuseum Finsterau transloziert, um das denkmalgeschützte Gebäude vor dem Verfall zu retten und darin eine Begegnungs- und Pflegestätte für die Literatur des Bayerischen Waldes einzurichten. Auch, wenn der „Baumsteftenlenz“ nur die ersten drei Jahre seines Lebens in dem Haus verbracht hat – es wird Fans und Besucher finden, die sich von diesem Ort magisch angezogen fühlen.

Christine Lorenz-Lossin

 

Stille Nacht, Heilige Nacht – ein weltumspannender Friedensgruß

Notenblatt "Stille Nacht"

Wir singen es alle Jahre wieder am Heiligen Abend, und mit uns etwa 2,5 Milliarden Menschen weltweit in mehr als 300 Sprachen und Dialekten: Stille Nacht, Heilige Nacht – das berühmteste aller weihnachtlichen Volkslieder.
Text und Musik entstanden etwas zeitversetzt und an verschiedenen Orten im benachbarten Österreich. 1816 verfasste der Hilfspfarrer und Dichter Joseph Mohr in Mariapfarr im Lungau im Südosten des Salzburger Landes die sechs Strophen der Originalversion. Die Melodie dazu ersann zwei Jahre später der Komponist und Lehrer Franz Xaver Gruber in Arnsdorf im Flachgau im nördlichsten Teil des Landstrichs. In Oberndorf an der Salzach, an der Grenze zum bayerischen Laufen, erklangen Text und Komposition erstmals gemeinsam. Am 24.12.1818 erlebte „Stille Nacht, Heilige Nacht“ bei der Christmette in der Kirche St. Nikolaus seine Uraufführung. 2018 wird man also das Zweihundertjährige einer zunächst „einfachen Composition“ feiern, deren heutige Popularität ihre Schöpfer wohl in Erstaunen versetzen würde.

Die Verbreitung des Weihnachtslieds setzte schon unmittelbar nach seiner Entstehung ein. Es waren Zillertaler Händler, die zwischen Advent und Lichtmess weit umherreisten, um auf städtischen Märkten ihre Waren feilzubieten. An den Ständen lenkten sie mit bunten Trachten und anrührenden Volksliedern aus der Heimat so viel Aufmerksamkeit auf sich, dass sich Letztere bald als die eigentlichen Verkaufsschlager erwiesen. Auf diese Weise entstanden im frühen 19. Jahrhundert die berühmten Zillertaler Sängerdynastien Rainer und Strasser. Mit „Stille Nacht“ im Reisegepäck gelangten sie nach Leipzig, Berlin, Paris, London, Sankt Petersburg und trugen das Lied schließlich bis nach Amerika und in die Welt hinaus. Ein erster Faltblattdruck erschien 1833 in Dresden. Damit war die internationale Verbreitung eingeleitet. Im 20. Jahrhundert sorgte Bing Crosby für seine Popularität. 1937 nahm er „Silent Night“ erstmals auf und verkaufte es in ständig neuen Versionen über 30 Millionen Mal. Weit über tausend Tonträger dürften es mittlerweile sein, auf denen das Stille-Nacht-Lied eingesungen wurde, u. a. von Berühmtheiten wie Plácido Domingo oder den Wiener Sängerknaben. Nicht zu vergessen sind die Filme der Jahre 1910, 1934, 1968, 1988, 1997 und 2012, die von der Stille-Nacht-Geschichte handeln. Der heutige Bekanntheitsgrad von „Stille Nacht“ liegt bei 80 bis 100 Prozent – nicht nur in Europa, auch in Amerika, Afrika, Russland, Australien und China.

Die geschickte Vermarktung des Lieds und seiner Geschichte ist die eine Sache. Aber was spricht für seine Bedeutung und Beliebtheit? Nun, im Zuge der Aufklärung wurde auch die Kirchenmusik reformiert. Damit war eine wesentliche Voraussetzung für deutschsprachiges Liedgut im Gottesdienst geschaffen worden. Auch historisch-politisch betrachtet hätte es keinen passenderen Zeitpunkt gegeben: Das Stille-Nacht-Lied entstand wenige Jahre nach den Napoleonischen Kriegen, die über Europa hinwegfegten, ganze Landstriche verwüsteten und die Bevölkerung in Not und Elend stürzten. Dementsprechend groß war die Sehnsucht nach Frieden. Eben diese Sehnsucht bringt die schlichte Pastorale von der Stillen Heiligen Nacht zum Ausdruck. Hinzu kommen musikalische Aspekte: Die eingängige Melodie mit der Wiederholung von Tonfolgen, die gut singbare Tonlage, der gefällige Wiegenlied-Rhythmus sowie die einfache Zweistimmigkeit, die dem kollektiven Musikverständnis des bayerisch-alpenländischen Raums traditionsgemäß entgegenkommt. Nicht zu vergessen ist das beglückende Erlebnis gemeinsamen Singens. In hochemotionalen Momenten wie etwa am Ende der Christmette bewegt es die Herzen – nicht zuletzt weil wir uns in der Gemeinschaft friedfertiger Menschen geborgen fühlen dürfen. „Stille Nacht“ macht’s möglich.
In diesem Sinne friedliche, frohe Weihnachten!

Maximilian Seefelder

Heimat kulinarisch

Zeichnung von Blunzengröstl aus Blutwurts und Kartoffeln

Der Gaumen hat ein langes Gedächtnis. Gerüche und Geschmäcker bleiben lebenslänglich erhalten, die guten wie die weniger angenehmen. Nach Leibspeisen befragt, fallen einem wohl meist nicht ungewöhnliche exotische Gerichte ein, sondern schlichte Speisen aus der Kindheit, vielleicht ein Erpfezwirl, Maultaschen oder Zwetschgenknödel. Und trotz ernsthafter Bemühungen, weniger Fleisch zu essen, kann mich hie und da nichts von Leber- und Blutwurst mit Kraut und Kartoffeln abhalten.

Die traditionelle regionale bayrische Küche ist nicht fleischlastig, wie das manchen Schweinshaxenfans in ihren Träumen erscheinen mag. Sie richtet sich nach Kulturlandschaften, Bräuchen und Jahreszeiten. Nach dem Krieg brachten die Zuwanderer aus dem Osten ihre Kochtraditionen mit, später dann kamen Einflüsse aus Italien und Jugoslawien, aus Griechenland und der Türkei und auch aus der asiatischen Küche hinzu und haben dazu beigetragen, dass der Spagat zwischen traditioneller und moderner, leichter Küche gelingen konnte.

Das Bewusstsein für regionale und saisonale Produkte ist gewachsen, immer mehr Köche entdecken vergessene Genüsse neu. Sie besinnen sich wieder auf ihr Handwerk, machen sich die Mühe, Innereien aufzutischen, wenn auch dazu manchmal außer dem Aufwand in der Küche zusätzlich Überzeugungsarbeit beim Gast geleistet werden muss. Dafür verschwinden zuagroaste Zutaten langsam wieder aus den Töpfen und den Köpfen der bayerischen Köche, die Gemüse und Obst, Milch und Käse aus der Region bevorzugen. Und wenn endlich unsere niederbayerischen Bauern und Metzger stolz sind auf ihre Produkte und sehen, dass sich ihr Käse nicht verstecken muss hinter einem Pecorino, ihr Gselchtes es aufnehmen kann mit einem Pastrami, dann wird alles gut.
Küche und Kochen hat viel mit Identität zu tun. Das Essen ist ein Gradmesser für Kultur. Dass sich unsere Küche durch vielerlei Einflüsse verändert und dazugewonnen hat, ist ein Indikator für die Vielfalt der Gesellschaft. Die hat dazu beigetragen, dass Rezepte keine Dogmen mehr sind. Am Herd herrscht nicht die Vorschrift, sondern die Freiheit. Der Kochlöffel ist der Dirigierstab, Nase und Gaumen, Hände, Augen und selbst die Ohren sind beteiligt an dem, was im Kochtopf passiert. Der Duft der Gewürze, die Textur eines Teigs, die Farben der Gemüse und das Knistern von heißem Fett – hier sind alle Sinne beteiligt und vereinen sich zum guten Ende am Gaumen des Genießers. Essen macht glücklich, ist Gemeinsamkeit und Heimat!

Ines Kohl
Illustration: Claudia Weigert-Trinkler

Die Illustration ist entnommen dem „Koch-Kunst-Sammelsurium“ – Kulinarrisches (!) und Kurioses.
Rezepte und Texte: Ines Kohl / Bilder: Claudia Weigert-Trinkler / Druck: Verlag Ebner, Deggendorf  ISBN:978-3-934726-83-3

Dirndl an? Dirndl aus?

Ausschnitt Dirndl

Ein Septemberabend an der Tankstelle mitten in Niederbayern: Ich stehe im Dirndl an der Kasse und bezahle. Die junge Kassiererin meint fröhlich: „Na, geht’s zum Oktoberfest?“. Ich verneine und erkläre, dass ich zu einer Veranstaltung vor Ort unterwegs bin. Darauf folgt ihre erstaunte Antwort: „Ach was, da trägt man sowas auch?“

Tracht wird anscheinend mehr und mehr als Verkleidung für die Bierzeltparty wahrgenommen. In den Kleiderschränken der Jugend finden sich das Dirndl respektive die Lederhose als Pflicht-Accessoire. Man will ja zünftig ausgerüstet sein für die diversen Volksfeste im Jahreslauf. Dieses Kleidungsverhalten wird gern als bewusster Ausdruck der Verbundenheit mit der Region interpretiert und hochgelobt. Bayern ist gerade in – wir sahen es, nebenbei bemerkt, im Sommer auch an den aufblasbaren Weißwürsten und Brezen in Übergröße, die in großer Zahl in den bayerischen Badeseen umherschwammen.

Grundsätzlich ist es durchaus erfreulich, dass man sich gern in Tracht oder was man dafür hält zeigt. Auch Touristen bekunden ihre Sympathie mit der Region durch bayerisch angehauchte Kleidung. Dennoch zwingt sich eine Frage auf: Ist regionale Zugehörigkeit etwas, das man nur zu bestimmten Gelegenheiten zeigen soll? Im Dirndl ins Bierzelt – klar, das erwartet jeder. Im Dirndl auf den Wochenmarkt oder ins Klassikkonzert? Da treffen einen schon leicht irritierte Blicke. Ganz so weit her ist es mit der regionalen Verbundenheit, die sich im Kleidungsverhalten ausdrückt, dann doch nicht. Samstagabend ist Bayern quasi in, Mittwochmittag eher nicht. Schade eigentlich. Ganz Mutige sollen ihre Lederhose übrigens schon dann angezogen haben, wenn ihnen grad danach ist. Beim Gassi Gehen mit dem Hund zum Beispiel. Und danach sind sie in der gebleichten Jeans auf’s Oktoberfest gefahren.

Veronika Keglmaier

 

 

Mehr Heimat durch das neue Landesentwicklungsprogramm?

Luftbild vom Gewerbegebiet in Vilsbiburg

Die bayerische Staatsregierung hat gegen den Widerstand der Fachwelt – einer Allianz von Landesplanern, Natur- und Umweltschützern, Heimatpflegern und (Landschafts-)Architekten – ein neues Landesentwicklungsprogramm (LEP) verabschiedet, das künftig die Ansiedlung von Gewerbe im sogenannten Außenbereich ohne Anbindung an die vorhandene Bebauung deutlich erleichtert. Es droht die Versiegelung ganzer Landstriche, wenn es nicht gelingt, den hektarweisen Verlust wertvoller Äcker und unbebauter Kulturlandschaft deutlich zu drosseln und bestenfalls künftig zu vermeiden.

Aber noch immer bevorzugen es viele Gemeinden, einfach am Ortsrand neue Flächen auszuweisen, wieder eine Umgehungsstraße zur Entlastung der Ortskerne zu planen und zu bauen, wo sich weitere Betriebe, Einkaufs- und Logistikzentren ansiedeln. Gleichzeitig beklagt man die Verödung der Ortskerne und den Verlust wohnortnaher Einkaufsmöglichkeiten.

Helfen könnte eine gezielte Förderpolitik der Regierung, ein Führen am „goldenen Zügel“: Kein Geld für edle Ortskernsanierungen, wenn gleichzeitig am Ortsrand der globalisierte Einzelhandel angesiedelt wird und so die gewünschte Revitalisierung ab absurdum geführt ist.

Das gelänge durch eine intelligente Nutzung des vorhandenen Bestandes auch mit Hilfe der allgegenwärtigen Digitalisierung. Auch für das Gewerbe wäre mit etwas mehr Kreativität eine Innenentwicklung möglich, wenn Kommunen innerörtliche Brachen und nicht mehr benötigte Gewerbeflächen an den Ortsrändern gezielt aktivieren würden. Selbst die Konsumenten können einen aktiven Beitrag gegen den Flächenfraß leisten, indem sie vermehrt regionale und lokale Anbieter und Handwerker fördern: Wenn sie wohnungsnah einkaufen statt über das Internet Waren zu bestellen. Dann wäre auch der Frachtverkehr von und zu den Logistikzentren hinfällig, für dessen Infrastruktur wiederum Boden versiegelt wird.

Einseitiges Schielen auf sprudelnde Gewerbesteuereinnahmen verhindert intelligente interkommunale Lösungen und damit eine mögliche Reduzierung des Flächenfraßes. Durch das neue LEP – von manchen auch als „Landeszerrüttungsplan“ bezeichnet – wird die Zersiedelung unserer Heimat eher angeheizt als eingedämmt. Dass dies ausgerechnet der bayerische Heimatminister zu verantworten hat, ist die besondere Pointe der Geschichte.

Helmut Wartner

Äpfel, Nüss‘ und Mandelkern

Alljährlich am Vorabend des 6. Dezembers bekommen Kinder Besuch vom Heiligen Nikolaus. Ihnen wird erzählt, dass er gute wie böse Taten in einem goldenen Buch verzeichnet. Meist tritt er als Bischof mit Mitra und Bischofsstab auf, der gute Taten mit Geschenken belohnt.

Nikolaus war im 4. Jahrhundert Bischof von Myra in der heutigen Türkei. Er ist der bekannteste und beliebteste Heilige der Ost- und Westkirche. Viele Legenden beschreiben ihn als großen Menschenfreund: Armen Familien soll er ebenso geholfen haben, wie in Seenot geratenen Pilgern oder zu Unrecht Verurteilten. Daher wird er als Patron der Kinder, der Reisenden und Gefangenen verehrt.

Die Legenden rufen in Erinnerung, Gutes zu tun und Freude zu schenken. So gilt Nikolaus seit Jahrhunderten als gutes Vorbild und ist in Kindergärten und Schulen gerne gesehen. Sankt Nikolaus als großer Kinderfreund hat auf der ganzen Welt „Verwandte“: Als Weihnachtsmann im roten Mantel und mit weißem Bart beschert Père Noël, Father Christmas, Sinterklas, Santa Claus oder Noel Baba Kinder in anderen Ländern.

Maximilian Seefelder und Christine Lorenz-Lossin
Illustration: Anja Just

Kultiviertes Rindvieh

Mutterkuh mit Kalb im Stall

Die stattliche Pinzgauerin, die schwarze Tuxer, die zierliche Hinterwäldlerin oder die schlanke Chianina… Man fühlt sich beinahe an die Schönheitsgalerie König Ludwigs I. erinnert, der die schönsten Frauen seiner Zeit von Hofmaler Joseph Karl Stieler portraitieren ließ. Aber hier ist nicht von weiblicher Anmut des 19. Jahrhunderts die Rede, sondern von Rindern. Genauer gesagt, von alten Rinderrassen, also von Haus- und Nutztieren, die der Mensch in wenigen Jahrtausenden aus ihren Wildformen herausgezüchtet hat.

Seit knapp 7000 Jahren lebt das Rind in der Obhut des Menschen. Nach aktuellen Schätzungen gibt es auf der Welt etwa 1,5 Milliarden Rinder. Sie verteilen sich auf ca. 1200 Rassen, die im Lauf ihrer Geschichte durch selektive Zucht an Standorte und klimatische Bedingungen, vor allem aber den Zielen ihrer Halter angepasst wurden. Spektakulär ist die Erkenntnis, welche die Wissenschaft dank modernster DNA-Technik gewonnen hat: Der gesamte Hausrindbestand geht auf gerade einmal 80 Tiere aus dem Vorderen Orient zurück. Nicht weniger beeindruckend ist, dass auf diesen wenigen Individuen bis heute das Überleben und der Wohlstand ganzer Völker beruhen, wie Annette Hackbarth in ihrem 2014 erschienenen „Kuhbuch“ berichtet.

Mit der Domestizierung des Auerochsen vor beinahe 11000 Jahren nahm eine unschätzbare Kulturleistung der Menschheit ihren Anfang. Die Haltung von Wildtieren, ihre genetische Isolierung und permanente Zuchtauswahl zeitigte ihre Auswirkung auch auf die Kulturgeschichte selbst: Aus den ehemaligen Jägern und Sammlern waren sesshafte Ackerbauern und Viehzüchter geworden. Ihnen dienten die domestizierten Tiere als Zug- und Arbeitstiere. Aus der Haustierhaltung gewonnene Produkte wusste man nutzbringend einzusetzen: Sehnen als Nähmaterial, Hörner für Gefäße, Dung zur Ertragssteigerung des kultivierten Ackerbodens sowie als Brenn- und Baumaterial. Fleisch als Eiweißlieferant war eine überlebenswichtige Energiequelle. Als Qualitätsprodukt ist es bis heute ein begehrtes Lebensmittel geblieben. Aus Milch werden Käse, Joghurt, Quark und Butter gewonnen. Hochwertige Produkte aus Rindsleder wissen Kenner zu schätzen.

Allerdings muss man seit langem um die Vielfalt der alten, robusten Landrassen bangen. Die Gründe liegen auf der Hand: Das Bevölkerungswachstum erforderte größeren Nahrungsmittelbedarf. Damit begann die Zucht von Hochleistungstieren. Neben den Rindern waren auch andere Haustiergruppen betroffen: Schafe, Ziegen, Schweine, Enten, Gänse, Hühner und Kaninchen. Die Gewinnung von mehr Fleisch, Milch, Eiern, Wolle und Leder war erklärtes Ziel. Wachsende Städte bedurften der Versorgung. Die Industrialisierung der Landwirtschaft, Massentierhaltung und Hochleistungstierzucht schritten damit einher. Doch mit Letzterer setzte auch der Rückgang der alten robusten, an ihre Standorte angepassten Haustier- und Landrassen ein. Sie stellen nicht nur eine wertvolle Genreserve dar, sondern sind ebenso wie Kunstwerke und Denkmale von Menschen geschaffenes, lebendiges Kulturgut. Dafür engagiert sich die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e. V. (GEH) seit 1981.

Maximilian Seefelder

Die Angst vorm Wolf…

Einsamer Wolf im Wald

Mitte November, traditionsgemäß in der Nacht auf Martini, ziehen im Bayerischen Wald die Wolferer durch Städte und Märkte. Weithin ist dann der ohrenbetäubende Lärm der Schellen zu hören, mit denen eine Gruppe vorwiegend junger Männer (der „Wolf“) ihren Anführer (den Hirten) begleitet. In den Zeiten, als das Jungvieh noch viele Wochen auf Schachten und Waldweiden verbrachte, erbat sich der Dorfhirte alljährlich zum Ende des Weidesommers seinen Hüterlohn von den Bauern. Wo ihm ursprünglich eine kleine Kinderschar von Haus zu Haus folgte, um Äpfel oder Naschwerk zu erheischen, lockt das medial verbreitete Spektakel inzwischen Tausende von Besuchern in den Bayerwald.
Im sogenannten Wolfauslassen spiegele sich noch heute die früher allgegenwärtige Angst vor dem räuberischen Wolf, der die Existenz der Bauern im Bayerwald jahrhundertelang bedrohte, wider – wird vor allem von auswärtigen Medien gerne kolportiert. Ob der Lärm die Wölfe oder gar Dämonen und heidnische Geister abschrecken sollte, darüber gibt es vielfältige Meinungen. Allein die Waldler wissen, dass „der Wolf“ per se eine Fetzengaudi war und ist, mögen andere hinein interpretieren was sie wollen…

Kaum haben die Wolferer ihre rußigen Gesichter abgewaschen und die Schellen fürs nächste Jahr verstaut, rückt der echte Wolf, Canis lupus, das größte Raubtier aus der Familie der Hunde, wieder in den Fokus – und mit ihm die viel zitierte „Angst vorm bösen Wolf“, die bei aller Aufgeklärtheit und Rationalität unserer Zeit nicht aus den Köpfen der Menschen weg zu diskutieren scheint. Seit Wochen halten uns die aus dem Tierfreigelände des Nationalparks bei Ludwigsthal entlaufenen Wölfe auf Trab. Wird ein gerissenes Schaf oder Reh gefunden, geht ein Aufschrei durch Medien und Bevölkerung – auch, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass wildernde Hunde die ‚Täter‘ waren.
Die Wolfsrudel galten lange Zeit als Aushängeschild des Nationalparks Bayerischer Wald und sorgten bei zahlreichen Besuchern für Entzücken und Begeisterung, aber eben nur solange eine mannshohe Umzäunung Tier und Mensch zuverlässig trennte. Einmal in freier Wildbahn gesichtet, werden die großen Beutegreifer zum Reizthema. Kritische Stimmen können sich dabei oft nur auf wenige konkrete Erfahrungen stützen, vielmehr spiegeln sie große emotionale Befangenheit wider. Die Furcht vorm Wolf, in Märchen und Mythen kulturell verfestigt, prägt bis heute wirksam irrationelle Ängste und Bedrohungsszenarien.
Im Sinne eines konfliktarmen Nebeneinanders von Mensch und Natur wär ein rituelles „Wolfauslassen“ wünschenswert, damit sich Mensch und Tier wieder mit Respekt begegnen können.

Christine Lorenz-Lossin

Karriere nach 5300 Jahren

Plastische Rekonstruktion des Ötzi

Am 19. September 1991 gegen 13.30 Uhr machte das Nürnberger Ehepaar Erika und Helmut Simon am Tisenjoch in den Ötztaler Alpen einen schaurigen Fund. Aus einer mit Schmelzwasser gefüllten Felsmulde ragten Hinterkopf, Schultern und Rücken eines Toten. Mit dieser Entdeckung nahm die größte archäologische Sensation des 20. Jahrhunderts ihren Anfang. Denn die Untersuchungen, die unmittelbar nach der Bergung aufgenommen wurden, lieferten die schier unglaubliche, aber eindeutige Erkenntnis: Der Mann aus dem Eis lebte vor über 5000 Jahren, zwischen 3350 und 3100 vor Christus.
Was nicht weniger aufsehenerregend war: Weil dieser Mensch, wie seine Verletzungen zeigen, vermutlich ermordet und demzufolge mitten aus dem Leben gerissen wurde, ist er mitsamt seiner Kleidung und Ausrüstung erhalten geblieben. So konnten erstmals in der Geschichte der Medizin anatomische Untersuchungen an einem quasi 5000 Jahre alten Menschen vorgenommen werden. Erstmals in der Geschichte der Archäologie war man in der Lage, steinzeitliche Bekleidungssitten und Ausrüstungen im Detail zu studieren. Die Forschungen sind noch nicht abgeschlossen, aber die vorliegenden Ergebnisse liefern mittlerweile ein facettenreiches Bild vom „Mann aus dem Eis“, der, geradezu liebevoll als „Ötzi“ bezeichnet, in die Kulturgeschichte eingegangen ist.

Heute weiß man nicht nur, wie Ötzi bekleidet war und was er bei sich trug, man weiß auch, wie er aussah und hat Einblick in seinen Gesundheitszustand gewonnen. Einen Serienrippenbruch, einen Nasenbeinbruch, abgenutzte Gelenke, verkalkte Blutgefäße und Zahnkaries werden dem circa 46 Jahre alten Mann noch nach Jahrtausenden bescheinigt. Seine Zähne nutzte er wohl wie Werkzeuge zur Bearbeitung von Sehnen, Knochen oder Leder. Ötzis Körper weist 61 Tätowierungen auf, die vermutlich zur Schmerztherapie dienten, weil sie mit den Hauptakupunkturlinien übereinstimmen. In seiner „Reiseapotheke“ befanden sich zwei Birkenporlinge, also Baumschwämme mit blutstillender und antibiotischer Wirkung. Ihre toxischen Öle dürfte der geplagte Steinzeitmann gegen seine Darmparasiten angewendet haben. Laut Untersuchungen muss Ötzi etwa zwölf Stunden vor seinem Tod einen Brei aus Einkorn, Fleisch und Gemüse verspeist haben. Seine Mahlzeit kochte er sich auf offenem Feuer. Darauf weisen Holzkohlestücke und Mineralien in den Nahrungsresten hin. Sein Reiseproviant bestand aus geräuchertem oder getrocknetem Steinbockfleisch und Früchten.
Sechs Jahre lang wurde die Gletscher-Mumie am Institut für Anatomie der Universität Innsbruck untersucht, bevor man sie samt ihrer Beifunde 1998 in das neueröffnete Südtiroler Archäologiemuseum nach Bozen brachte. Ötzi selbst, seine Bekleidung, Bewaffnung, sein Werkzeug und andere Ausrüstungsgegenstände sind die Attraktionen der Ausstellung. Sie erzählen gut dokumentiert von einer uns fernen archaischen Lebenswelt.

Ötzi, der dort im Museum in einer Kühlzelle bei – 6 °C und 99 Prozent Luftfeuchtigkeit konserviert und unseren neugierig-staunenden Blicken preisgegeben wird, erlebt demnächst seine Geburt als Filmstar. Dargestellt von Jürgen Vogel kommt „Der Mann aus dem Eis“ am 30. November in die Kinos. Man darf gespannt sein, auf welche Weise sich wissenschaftliche Erkenntnis und künstlerische Darstellung begegnen werden.

Maximilian Seefelder