Der Osterhase und das Ei

Der eierlegende Osterhase erlebte um 1800 seinen Durchbruch, und zwar zunächst bei protestantischen Bürgerfamilien im städtischen Umfeld, bevor er in den 1930er-Jahren die Konfessionsgrenzen, auch ins bäuerlich geprägte Niederbayern überschritt. Seine unaufhaltsame Karriere verdankte er schließlich Kinderliteratur des frühen 20. Jahrhunderts und der boomenden Süßwarenindustrie. Dies weiß man hierzulande nur zu gut, denn nirgendwo werden mehr Schokohasen produziert als in Landshut.
Wie der Hase zu einem profanen Ostersymbol geworden ist, zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte: Er kommt zwar weder in der österlichen Liturgie noch im religiösen Brauch um das Osterfest vor, dennoch taucht Meister Lampe seit Jahrhunderten über Länder- und Religionsgrenzen hinweg als Symbolfigur auf. Schon in der Antike galt der Hase seiner Fruchtbarkeit wegen als Sinnbild für Lebenskraft und Wiedergeburt. Im Alten Ägypten stand er als Attribut des Mondgottes Thot für den Neuanfang. Daraus erschließt sich eine Verbindung zum Osterfest, denn in der byzantinischen Kirche steht der Hase als Symbol für die Auferstehung. Weil er als Fluchttier häufig mit offenen oder halbgeschlossenen Augen ruht, lieferte er das Bild dafür, dass Jesus durch seinen Tod am Kreuz nicht entschlafen, sondern im Leben geblieben ist. Es verwundert daher nicht, wenn sich Hasen als Zeichen ewigen Erwachens auf frühchristlichen Mosaiken und Gräbern finden. Ein Gemälde des venezianischen Renaissancemalers Tizian zeigt die Madonna mit dem Jesusknaben und einem weißen Hasen. Während ein Korb mit Brot und Wein im Bildvordergrund auf den Opfertod Christi verweist, deutet das Tier die Auferstehung an. Etwa zeitgleich entstand das berühmte Hasenfenster im Kreuzgang des Paderborner Doms: Es zeigt drei springende Hasen, in Kreisform angeordnet, sodass jedes Tier seine zwei Ohren hat, aber das Motiv mit nur drei Ohren auskommt. Daraus ergibt sich ein Dreieck, das die Dreifaltigkeit symbolisiert und zugleich ein Symbol für die Unendlichkeit ist.
Dieses populäre Dreihasenbild war ein beliebtes Ostereimotiv, das die ohnehin schon religiöse Symbolik der gefärbten Ostereier zusätzlich betonte. Nachdem es zu Ostern Eier mit Hasenmotiven gab, lag es umgekehrt nahe, dass der Hase an Ostern die Eier brächte. Einen ersten schriftlichen Hinweis auf „Haseneier“ lieferte der Heidelberger Arzt Johannes Richier in seiner Doktorarbeit von 1682. Er spricht darin über Erkrankungen nach unmäßigem Verzehr von Ostereiern, die allgemein „Haseneier“ genannt wurden. Ebenso erwähnt Richier den Osterhasen. Man würde nämlich Kindern und einfältigen Menschen einreden, dass dieser die Eier brächte.
„Im greana, greana Gras, da sitzt a scheena schneeweißa Has“, so lautet der Textanfang eines überlieferten Zwiefachen aus Niederbayern. Tatsächlich lebt der Feldhase im Gegensatz zum Wildkaninchen oberirdisch. In der Sasse, einer selbstgeschaffenen, nestähnlichen Mulde findet er seinen Unterschlupf und verharrt dort gut getarnt. Wüsste man es nicht besser, könnte man durchaus auf die Idee kommen, dass er hier auch Eier legt.
MS
Josef, lieber Josef mein…

Am 19. März ist Josefstag! An Josefi, wie das Hochfest des Hl. Josef in Bayern kurz genannt wird, feiern Josef, Sepp, Beppo, Jupp, José und Giuseppe, Joe, Josip, Jozsef und Jussuf gemeinsam Namenstag. Kaum ein anderer männlicher Vorname ist in so vielen Sprachen und Nationalitäten verbreitet. Biblischen Ursprungs hat sich der Name Josef, der im Hebräischen in etwa „Gott fügt hinzu, Gott vermehrt“ bedeutet, mit dem jüdischen und christlichen Glauben in die Welt verbreitet.
Die christliche Verehrung des heiligen Josef, Bräutigam der Gottesmutter und Ziehvater Jesu, entwickelte sich im Mittelalter. Nach seinem in der Bibel überlieferten Beruf als Zimmermann war er vor allem als Schutzpatron der Handwerker, insbesondere der Zimmerleute und Schreiner, angesehen. Aber auch als Patron der jungfräulich lebenden Menschen und Eheleute wurde er verehrt.
1870 erklärte Papst Pius IX. den Hl. Josef zum Schutzpatron der ganzen Kirche. Damit wurde der Heilige populär wie nie zuvor. Vor allem im 20. Jahrhundert wurden ihm allerorten katholische Kirchen geweiht. Dort ist er zumeist mit seinen Attributen, einem Winkelmaß für seinen Beruf als Zimmermann und der weißen Lilie, einem Symbol der Keuschheit und Reinheit, dargestellt.
In dieser Zeit war der Hl. Josef auch als Namensgeber überaus geschätzt. Generationen von Buben und Männern wurden nach dem in der Überlieferung so lebensnah inszenierten Heiligen benannt. Der Vers „Sepp, Sepp, sag’s am Sepp’n, dass da Sepp am Sepp’n sagt…“ spiegelt die Häufigkeit dieses Vornamens wieder, der bis heute vor allem im Südosten Bayerns beliebt geblieben ist.
Einen Einbruch erfuhr die Josefsverehrung in Bayern mit der Abschaffung des 19. März als gesetzlichen Feiertag im Jahr 1968. Den Älteren unter uns ist der Josefitag dennoch fest in Erinnerung – nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Bauern- und Wetterregeln, die im Ländlichen überliefert werden: „Wenn’s erst einmal Josefi is‘, so endet auch der Winter g’wiss!“ – man wird sehen…
CLL
Bild: Freilichtmuseum Finsterau
Wischen oder wissen?

Einfach übers Smartphone oder Tablet wischen – und die neue Nachricht erscheint am Touchscreen. Praktisch. Schnell. Mit einem Wisch. Und: Weg ist sie auch schon wieder. „Digitalisierung“, ein Schlagwort, das derzeit ständig in den Nachrichten auftaucht, lässt uns nicht mehr los. Die Digitalisierung verändert unser Leben wie kaum eine gesellschaftliche Entwicklung zuvor. Im Alltag schreiben immer weniger Menschen mit der Hand. Doch für besondere Anlässe greifen sie – anstatt E-Mails auf dem Laptop oder auf dem Handy tippen – zu Papier und Stift. Die eigene Schrift gehört zu unserer Identität, vermittelt Persönliches und Nachhaltigkeit.
Schreiben – diese Jahrtausende alte Kulturtechnik erschließen sich Schulanfänger in kleinen Schritten; in Bayern zuerst in Druckschrift, später in Schreibschrift. Am Ende der vierten Klasse sollen sie eine individuelle Handschrift gefunden haben, die sie flüssig und leserlich schreiben können. So steht es in den Bildungsstandards für die Grundschule.
Schreiben versetzt uns Menschen in die Lage, Wissen zu bewahren und Erfahrungen zu überliefern. Die Digitalisierung verändert jedoch auch das Lernen und das Schreibenlernen maßgeblich. In Finnland arbeiten beispielsweise bereits Grundschüler mit Tablet, erlernen das Schreiben auf der Tastatur. Ihr Abitur absolvieren finnische Schüler am Laptop. Der Einsatz digitaler Medien im Schulunterricht wird seit Jahren auch in Deutschland heftig diskutiert. Das Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien an der Technischen Universität München hat 2017 im Auftrag der Kultusministerkonferenz 79 Studien ausgewertet und kommt zu dem Ergebnis: Die Wirkung der digitale Materialien auf die Leistung davon ab, wie sie im Unterricht eingesetzt werden. Die erwünschte Wirkung digitaler Medien ist beispielsweise größer, wenn sie klassische Unterrichtsmaterialien nicht vollständig ersetzen. Erfolgversprechend sei, sie ergänzend zu analogen Methoden zu verwenden.
Ergebnisse mehrerer Studien bescheinigen zudem dem auf Papier Geschriebenen stärkere Nachhaltigkeit: Die US-Forscher Pam Mueller und Daniel Oppenheimer haben die Lernleistungen von Studierenden untersucht. Mit folgendem Resultat: Wenn sich die Probanden zum Inhalt verschiedener Lernvideos handschriftliche Notizen gemacht hatten, konnten sie das Gezeigte später deutlich besser wiedergeben als wenn sie ihre Aufzeichnungen mittels Laptop angefertigt hatten.
Alles, was wir mit einem Stift zu Papier bringen, behalten wir also stärker in Erinnerung. Darüber hinaus trainiert das Schreiben mit dem Stift zusätzlich zur Gedächtnisleistung auch Hände und Bewegungsabläufe. Aber dieses Training findet im Kindesalter immer weniger statt. Denn anstatt gemalt oder gebastelt wird immer mehr mit Laptop oder Smartphone gespielt. Dies zeigen auch jüngste Untersuchungsergebnisse aus den USA und Großbritannien: Sie besagen, dass immer mehr Kinder Schwierigkeiten hätten, Stifte richtig zu halten. Die dafür benötigte Fingermuskulatur würde teilweise ebenso fehlen wie die fürs Schreiben erforderliche Feinmotorik. Vielen Kindern falle es schwer, längere Texte zu verfassen, ohne dass ihnen der Arm oder die Hand wehtue.
Bei all den digitalen Nachrichten sollte also nicht weggewischt werden: Handschriftliche Aufzeichnungen legen den Grundstein, sie sind gut für Feinmotorik und Gedächtnis. Sie lassen Sachverhalte begreifen und nachhaltig Wissen festhalten. Sie vermitteln zudem Persönlichkeit, denn unsere Handschrift ist ein Ausdruck unserer Individualität, ein unverwechselbares Markenzeichen.
KSH
Bild: Freilichtmuseum Massing
Fastenzeit

Alle Jahre wieder beginnt am Aschermittwoch die Fastenzeit, in der sich Christen 40 Tage lang auf das Hochfest Ostern vorbereiten. Der Bibel nach fastete Jesus 40 Tage lang in der Wüste, bevor er seinen Leidensweg antrat. Ein symbolisches Nachahmen dieser „Durststrecke“ soll uns daran erinnern und in die österliche Festzeit einstimmen. Aber Fastenzeiten gibt es auch in anderen Religionen und Kulturen. Überall dienen sie dazu, Buße zu tun und sein Verhalten zu überdenken.
Früher waren die Fastenregeln streng. Entsprechend fröhlich und genussreich feierte man die Faschingstage vor dem Aschermittwoch. Das Wort „fasten“ bedeutet sinngemäß „festhalten“ oder „fest bleiben“. Somit geht es beim Fasten um mehr als Enthaltsamkeit von Fleisch, Süßigkeiten oder Alkohol. Wer fastet, übt Verzicht und konzentriert sich auf Wesentliches, sei es aus religiösen oder gesundheitlichen Gründen. Wer sich nicht (mehr) an religiöse Gebote und die Termine des Kirchenjahres halten mag, wählt seine ganz persönliche Fastenzeit. Das Prinzip bleibt gleich: Nur, wer auf Liebgewonnenes, Wertgeschätztes und alltäglich Gebrauchtes verzichtet, übt echte Enthaltsamkeit. Darum bringt die Moderne neue Formen des Fastens hervor: Kleider fasten, Handy fasten etc.
Im religiösen Kontext kennen Katholiken die Tradition der „Fastensuppe“. In den Pfarreien werden einfache Speisen zubereitet und gegessen. Der Erlös unterstützt Projekte in Entwicklungsländern. Manch einer mag sich daran stören, dass durch ein mehrgängiges gemeinschaftliches Mahl der Hunger in der Welt gelindert werden soll. Aber vielleicht heiligt hier tatsächlich der Zweck die Mittel?
MS/CLL
Illustration: Anja Just
Das Erbe eines Lumpensammlers

1914 erwarb der Kunstmaler und Heimatkundler Hugo von Preen aus Braunau am Inn zwei Liederhandschriften des späten 18. Jahrhunderts von unbekannter Hand. Sie wurden nach ihrem Auffindungsort als Stubenberger Handschriften bezeichnet. Von wem er sie bekam, ist nicht dokumentiert. Wir wissen lediglich, dass er sie 1930 für 700 Mark an die Bayerische Staatsbibliothek veräußerte, wo sie unter den Signaturen Cgm 7340 für das Gesänger Buch und Cgm 7341 für das Geistliche Zeitten Buch in der Handschriftenabteilung verwahrt werden. Um die Entstehungs- und Auffindungsgeschichte der gut 1000 Seiten und über 800 Liedtexte umfassenden, liebevoll mit Bildern verzierten Bände rankten sich seitdem Mythen.
Erst vor wenigen Jahren konnte schließlich der Verfasser beider Handschriften identifiziert werden: Es handelt sich um Phillipp Lenglachner (geb. 1769 in Weng im Innkreis, gest. 1823 in Stubenberg), einen Hadern- oder Lumpensammler. Gebrauchte Hadern aus Baumwolle, Leinen, Hanf oder Flachs wurden in jener Zeit zur Herstellung von Papier verwendet und waren daher in den Papiermühlen ein gefragter Rohstoff. Die Bezeichnung „Haderlump“ für die oft lauthals durch die Dörfer ziehenden Lumpensammler hat sich bis heute erhalten.
Vermutlich trug Lenglachner die Liedtexte auf den Streifzügen durch das Rottal und angrenzende Innviertel zusammen. Durch seinen Beruf kam er viel herum, und da er offenbar eine gewisse Bildung besaß, lesen und schreiben konnte, wusste er die zahlreichen Eindrücke schriftlich festzuhalten. Ein wissenschaftliches Interesse wird er dabei kaum verfolgt haben, wohl aber, die Texte zum eigenen Gebrauch zu bewahren. Neben geistlichen und weltlichen Liedtexten enthalten die Handschriften auch Gebete zu den Festzeiten des Kirchenjahres, Prosatexte, Verse, Rätsel und volksmedizinische Rezepte.
Zutage kam die Person Lenglachners durch Forschungen des Germanisten Thorsten Fromberg aus Kiel. Er befasste sich in seiner Dissertation mit dem so betitelten Schreÿbbuech, einer dritten, signierten Handschrift, mithilfe der die anderen beiden durch Schriftvergleich demselben Verfasser zugeordnet werden konnten.
Nun liegt nach vielen Jahren Arbeit die Übertragung der beiden Liederhandschriften aus Stubenberg vollständig als Edition in drei Bänden vor: Sie umfasst das Geistliche Zeitten Buch sowie das Gesänger Buch in zwei Teilbänden für die Geistlichen und die Weltlichen Gesänger. Erschienen ist sie in der Schriftenreihe des Instituts für Volkskunde der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München (Tel. 089 515561-3, post@volkskunde.badw.de).
Seit langem schon beschäftigt sich der Gangkofener Heimatforscher Willibald Ernst mit den kostbaren Handschriften. Er hat die Texte, die in heute nicht mehr gebräuchlicher und zudem wegen gewisser Eigenheiten schwer leserlicher Kurrentschrift verfasst sind, in mühevoller Kleinarbeit transkribiert. Dank ihm ist eine der größten und bedeutendsten Quellen dieser Art in Bayern nun allen zugänglich.
Wer einige der Texte heute noch dem ursprünglichen Zweck entsprechend nutzen möchte, dem sei eine praktische Singausgabe ans Herz gelegt. Die Publikation Geistliche Lieder aus den Stubenberger Handschriften, erschienen beim Kulturreferat des Bezirks Niederbayern (Tel. 0871 97512-730, kultur@bezirk-niederbayern.de), umfasst drei Bände und deckt thematisch den gesamten Kirchenjahreskreis ab.
PhO
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr?

Längst ist es kein Geheimnis mehr, wie sehr Musik die Entwicklung des Menschen fördert. Sie lässt die Verbindungen zwischen den Nervenzellen beider Gehirnhälften besser wachsen, fördert Konzentration und Kommunikation. Dabei, so das Ergebnis wissenschaftlicher Studien, ist es besonders wichtig, selbst aktiv zu werden, zu singen oder ein Musikinstrument zu spielen. Langzeitstudien an Grundschülern zeigen, dass die Kinder bei einer musikalischen Betätigung von wenigen Wochenstunden ihre Intelligenzleistungen, v.a. das räumliche Vorstellungsvermögen, verbessern, dass sie aufnahmefähiger, sozial kompetenter und selbstbewusster auftreten. Mancherlei Dinge, die musikalischer Betätigung zugeschrieben werden, erscheinen durchaus verwunderlich: Sie schütte Glückshormone aus, beruhige Babys und steigere sogar die Milchproduktion von Kühen.
Viele Menschen verspüren in der Lebensmitte oder im Rentenalter den verstärkten Wunsch nach musikalischer Aktivität. Ihre Beweggründe sind unterschiedlich: Da gibt es die langjährige Sehnsucht, ein Instrument zu spielen, wenn es in der Kindheit nicht erlaubt wurde. Auch die Muße spielt eine Rolle, die während eines Alltags gefüllt mit Arbeit und Kindererziehung zu kurz kam. Ebenso wird der Wunsch nach Gemeinschaft genannt, wenn man im Ensemble zum Gelingen eines Ganzen beitragen kann und miteinander ein Musikstück zum Klingen bringt. Den Spätbeginnenden kommt zudem die Gelassenheit zugute, die man im Alter entwickelt. Man lernt zur eigenen Freude, muss sich nicht mehr beweisen und es auch nicht zur Perfektion bringen.
Während gerade an Grund-, Haupt- und Mittelschulen der Ausfall zahlreicher Musikstunden zu beklagen ist, reagieren Musikschulen und Institutionen der Musikpflege auf die Nachfrage seitens der älteren Generation: Freizeitangebote mit Volksmusik- und Klassikseminaren richten sich an Laienmusiker. Geübte Referenten schaffen es dabei, jede Stufe des Könnens so in eine Gruppe zu integrieren, dass jeder seine musikalische Rolle findet. Ebenso werden freie Spielkurse angeboten, denen man sich ganz zwanglos anschließen kann. Durch die Ensembleangebote werden Hemmschwellen überwunden, denn in der Gruppe richtet sich der Fokus nicht auf den Einzelspieler. Im Vordergrund stehen vielmehr der Gesamtklang und das Gruppenerlebnis. Auch der Bezirk Niederbayern knüpft mit seinen Angeboten daran an: Die Musizierreihe „Spiel mit!“ lädt dazu ein, einen Abend lang jeweils eine volksmusikalische Gattung aus regionaler Überlieferung – z.B. Zwiefache, Ländler oder Arien – kennenzulernen. Jeder Instrumentalist kann daran teilnehmen, auch ohne volksmusikalische Vorkenntnisse. Ebenso plant die Volksmusikakademie in Bayern, die derzeit in Freyung entsteht, interessante Angebote, die auch Neueinsteiger am Instrument zum gemeinsamen Musizieren einladen.
Auch spätberufen kann man also getrost zur Steirischen oder Gitarre greifen. Mit musikalischer Aktivität lassen sich zwar keine besseren Menschen schaffen, sicher jedoch Eigenschaften und Begabungen vertiefen, die schon angelegt sind. Und Musizieren macht Spaß – die eingangs erwähnte These von den Glückshormonen wird jeder bestätigen, der sich musikalisch betätigt. Hans lernt zur eigenen Freude also sehr wohl, was Hänschen vielleicht versäumt hat!
VK
Rosen, Tulpen, Nelken…

Der heilige Valentin lebte um 270 als Priester und Mönch in Rom. Der Legende nach schenkte er Menschen, die bei ihm Rat und Hilfe suchten, Blumen aus seinem Garten. Er traute Liebespaare nach christlichem Zeremoniell, obwohl der römische Kaiser dies bei Todesstrafe verboten hatte. Deshalb wurde Valentin enthauptet und fortan als Märtyrer und Schutzheiliger der Liebenden verehrt.
Bereits im Mittelalter überbrachten heiratswillige Männer ihren Liebsten am 14. Februar, dem Valentinstag, Blumen oder kleine Geschenke. Im 19. Jahrhundert war es in England und Amerika üblich, Valentinspostkarten zu verschicken. Bei uns wurde der Valentinsbrauch nach dem Zweiten Weltkrieg populär. Soldaten, die auf dem europäischen Festland stationiert waren, brachten diese Tradition nach Deutschland. Seither ist der Valentinstag neben dem Muttertag und dem Allerheiligenfest zu einem der Hauptgeschäftstage für Gärtnereien und Blumenläden geworden. Der Heilige wurde 1970 aus dem offiziellen kirchlichen Kalender gestrichen, doch die weltlichen Traditionen werden weiterhin gepflegt.
MS/CLL
Illustration: Anja Just
Katholisch-närrisch und paramilitärisch

Der Fasching oder Karneval mit seinen fröhlichen Bräuchen stellt eine Ausnahmezeit dar. Faschingsumzüge, Prunksitzungen und Maskenbälle sind ausschließlich dieser sogenannten „Fünften Jahreszeit“ vorbehalten. Wer würde aber vermuten, dass hinter dem vordergründigen Unsinn viel Symbolik steckt? Und wer käme gar auf die Idee, der Fasching wäre ein von der katholischen Kirche gefördertes Vergnügen?
Doch warum entpuppen sich ausgerechnet Zentren der katholischen Welt wie Venedig, Mainz, Köln, München oder Rio de Janeiro als Karnevalshochburgen? Tatsächlich sind die Motive der Fastnachtsbräuche in christlicher Zeit zu finden. Die Kirche hatte nämlich erkannt: Ausgelassenheit, Tanz, Spiel und Maskerade, Ess- und Trinklust vor dem gesetzten Verzicht der Buß- und Fastenzeit waren berechtigte Verlangen, die befriedigt werden mussten. Benennungen wie „Fasching“ oder „Karneval“ weisen darauf hin: Das mittelhochdeutsche „vastschanc“ bezeichnet den Ausschank vor der Fastenzeit, das lateinischen „Carne vale“ heißt „Fleisch, lebe wohl!“
Aber warum herrscht in Fasching und Karneval kurzzeitig Narretei? Dafür lieferte die „Zwei-Welten-Lehre“ des Hl. Augustinus die Vorlage: Er unterschied zwischen der irdisch-vergänglichen Welt mit ihren Lastern, für das einfache Volk symbolisch dargestellt als närrische Zeit, und einer überirdisch-ewigen, erreichbar durch Bußfertigkeit und Abstinenz.
Daraus erschließt sich auch die Schlüsselfigur des Faschings, der Narr: Dieser hat das verheißene Paradies aus dem Blick verloren. In seiner Torheit sitzt er dem Vergänglichen, einem vorübergehenden närrischen Reich, auf.
Ganz wesentlich zum Fasching gehört die Maskerade. Hierin scheinen alte Glaubensvorstellungen auf. Teufel und Hexen versinnbildlichen die Verführer der Welt. Neben Narrenkönigen, -prinzen und Hofstaat als Herrscher treten die Bürger dieser verkehrten Welt in Narrenkostümen auf. Ihre „Fehler“ offenbaren sich in farblich zweigeteilten Kostümen. „Sünder“ treten als Befleckte in Fleckengewändern auf. Maskiert als Schwarze, Indianer, Türken oder Chinesen begegnen uns im Fasching jene Ethnien, die in der christlichen Geschichte abfällig als Heiden bezeichnet wurden.
Die Zehn Gebote, die im Christentum den verbindlichen Wertemaßstab vorgeben, sind in der flüchtigen Narrenwelt außer Kraft gesetzt. Die Zahl Elf ist infolgedessen zur Zahl der Narren geworden, weshalb der Beginn der närrischen Zeit am 11.11. um 11.11 Uhr ausgerufen wird.
Jüngeren Ursprungs als die schwäbisch-alemannische Fastnacht und der baierisch-österreichische Fasching ist der rheinische Karneval. Er etablierte sich im 19. Jahrhundert als Spott auf die napoleonische und preußische Besatzung der rheinischen Gebiete. Dies erklärt die Gardeuniformen als Faschingskostüme, Marschmusik, Prinzengarde wie überhaupt alles pseudomilitärische Zeremoniell. Der Elferrat als Karnevalsparlament spielt auf den Jakobinerrat der Französischen Revolution an. Höhepunkte des rheinischen Karnevals stellen neben den Prunksitzungen die großen Faschingsumzüge dar. Diese beziehen ihre Vorbilder wiederum aus der Zeit der Gegenreformation. Denn bereits die Jesuiten erlaubten ihren Studenten am Faschingssonntag den Umzug mit Schlitten, auf denen die Schwächen der Welt kritisch dargestellt werden durften. Helau, wer hätte das gedacht!?
MS
Alternative Buildings

Hört ihr Leut‘ und lasst euch sagen, eine Ritterburg soll im Zwieseler Land entstehen! Der Nachbau einer Burg aus dem 11. Jahrhundert ist die grandiose Idee eines Planers, der damit ein deutschlandweit einzigartiges Projekt in den Wald stellen möchte. Eine mittelalterliche Burg mit Schenke, Restaurant, Rittersaal und Gewölbekeller. Die „Burg Rothberg“ soll auf dem Kellerberg bei Lindberg thronen. Das wird grandios! Gigantisch! Vor unseren Augen entsteht die großartigste Burg, die je gebaut wurde! Die „neue mittelalterliche“ Burg soll mit Naturstein und Holz verblendet werden, damit sie „echt alt“ aussieht, ein „alternative castle“. Ein Handwerkerdorf und eine Eventarena werden mittelalterliches Lebensgefühl vermitteln. Der Natur- und Erlebnispark mit angelegten Wanderwegen auf einem Areal von rund 80 000 Quadratmetern – eine Größe von rund elf Fußballfeldern – soll Natur- und Entschleunigungstourismus vereinen. Hier werden „alternative facts“ in die Tat umgesetzt.
Im Zwieseler Land regt sich heftiger Widerstand. Die Bewohner der anliegenden Rotkotsiedlung fürchten Verkehrsbelästigung und Umweltzerstörung. Zudem gibt es auf dem Kellerberg ein Landschaftsschutzgebiet und ein ehemaliges Bergwerk, in dem seltene Fledermäuse hausen. Derart kleine Tiere haben schon ganz andere Planungen verhindert.
Architektur ist Ausdruck von Kultur, ist Heimat. Wo man nicht mehr unterscheidet zwischen „echt alt“ und „auf alt gemacht“, geht Identität verloren. Gebäude bestimmen den Ortscharakter, neue Gebäude verändern die Landschaft. Wer mit offenen Augen durch die Gegend wandert, findet alte Höfe und Häuser, Burgen und Dörfer mit mittelalterlicher Substanz. Der Bayerische Wald braucht keine Kulissenarchitektur, er hat – immer noch – Bauten vorzuweisen, die von der Heimat und ihrer Geschichte Zeugnis ablegen. Mit Vorstellungskraft, Mut und Phantasie lassen sich diese echten alten Häuser wieder bewohnbar machen und bieten ein unvergleichliches Wohngefühl. Ihre Patina ist unersetzlich, sie haben eine Seele und vermitteln Heimat. Mittlerweile gibt es Vorreiter. Einige coole Bauherren haben sich in das Abenteuer der Sanierung gestürzt und es nicht bereut. Diese gelungenen Beispiele sind beeindruckend und zur Nachahmung empfohlen.
Der „Waidler“ darf seinen eigenen Werten gerne mehr vertrauen. Der Nationalpark Bayerischer Wald mit echter Wildnis liegt vor der Haustür, sein Potential ist längst noch nicht ausgeschöpft. Natur, Tiere, Wildnis bieten Erholung und Entschleunigung pur. Wandern, Radeln, Reiten, Skifahren und eine gute Gastronomie, das ist sanfter Tourismus, der Entspannung schenkt. Hier gibt’s noch viel zu tun. Mittelalterfans treffen sich im Bayerischen Wald schon seit Jahren zu Gelagen, sie campen in Zelten, baden im Freien, tragen Kämpfe aus und kochen am offenen Feuer. Sie brauchen keine schicke Burg, sie wollen keine „alternative culture“, sie wollen Erlebnis hautnah, echt und ohne Komfort. Eine nachgebaute Ritterburg kann das nie bieten.
Ines Kohl
Kleider machen Leute

Dass Kleider Leute machen wissen wir nicht erst seit der Novelle des Schweizers Gottfried Keller von 1874. Denn kaum ein Phänomen spiegelt so sehr Individualität und Zeitgeist wider wie unsere Kleidung. Sie verlangt von jedem Einzelnen alltägliche Entscheidungen, kennzeichnet Zugehörigkeiten oder hebt heraus. Gesellschaftliche Konventionen prägen unser Kleidungsverhalten, weil wir glauben (wollen), dass auf den ersten Blick zu erkennen sei, wen wir vor uns haben.
In zügellosen Zeiten wie dem Fasching sind diese Konventionen seit jeher ausgesetzt. Jeder kann und darf beliebige Spielarten seiner Persönlichkeit zur Schau tragen oder in eine Rolle schlüpfen. Von uniform bis originell ist alles drin. Aus dem Nadelstreifenanzug wird ein schriller Aufzug, aus der grauen Masse ein buntes Durcheinander. Die Welt steht Kopf, der Bischof wird zum Bettelmann, der Handwerksbursch zum König, Frau Nachbarin zum Cowboy Jim.
Die spielerische Leichtigkeit im Umgang mit Rollenbildern, die wir uns einmal im Jahr leisten, ist in den Kinderzimmern der Welt alltägliche Wirklichkeit. Mit wenigen Kleidungsstücken und Requisiten, dafür mit umso mehr Phantasie verwandeln sich Kinder leidenschaftlich gern in wilde Tiere, Burgfräulein und Ritter, Monster und feine Damen, in Ninjas, Feen und Superhelden. Die Schleife im Haar macht zur Prinzessin, der Karton auf dem Kopf zum Astronauten und das laute Geschrei zum wilden Tiger.
Mit zunehmendem Alter schwächelt die Vorstellungskraft etwas. Die Flucht in andere Zeiten und Welten ist dennoch willkommene Abwechslung zum grauen Alltag. Aufwendige Schauspiel- und Musicalproduktionen erfreuen sich daher ungebrochener Beliebtheit und sind Highlight mancher Städtereise. Aber auch die zahlreichen Laienspiel- und Amateurtheaterbühnen – allein ca. 350 in Niederbayern – erfreuen sich eines treuen Publikums und bereichern die Kulturszene alljährlich mit einem abwechslungsreichen, sehenswerten Programm. Ohne Kostüme, Maske und Requisiten geht auch hier nichts. Der kindlichen Lust am Rollenspiel und Verkleiden darf auf der Bühne ganzjährig gefrönt werden.
Seit zwanzig Jahren unterstützt der Bezirk Niederbayern diese Kulturtradition tatkräftig: Im Kostüm- und Requisitenfundus des Laienspielzentrums auf dem Gelände des Bezirksklinikums Mainkofen stehen niederbayerischen Theatergruppen über 1000 Einzelteile kostenfrei zur Verfügung. Für leidenschaftliche Schauspieler und Verkleidungskünstler birgt der Fundus viele Schätze: Von Abendkleid bis Zauberstab, von Zepter bis Abakus. Mehr Informationen auf den Laienspiel-Seiten des Bezirks.
Christine Lorenz-Lossin