Totensuppe für ein Waldlerhaus

Der Bayerische Wald war immer eine arme Gegend. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Begriff „Waldlerhaus“ von den wohlhabenden Bewohnern der fruchtbaren Donauebene geprägt wurde und einen etwas abschätzigen Beigeschmack hat. Später wurde die Bezeichnung vom Tourismus in Dienst genommen und von romantischen Stadtbewohnern zur Idylle stilisiert, die der Inbegriff geworden ist für das Landleben und die gar nicht immer so gute alte Zeit. Feststellen lässt sich aber: in gleichem Maße, wie die Waldlerhäuser aus der Landschaft verschwanden und durch gesichtslose Neubauten ersetzt wurden, stieg die Begeisterung, ja Verklärung für das Leben auf dem Land.
Das Waldlerhaus als Sehnsuchtsort
Es waren die „Stadterer“, die schon in den 1960er Jahren für die Waldlerhäuser schwärmten und begannen, sie zu kaufen und zu restaurieren, um sie als Ferienwohnhaus zu nutzen. Künstler und Architekten interessierten sich für die alten Gebäude mit ihrem ländlichen Charme. Nun setzt langsam ein Umdenken ein, weg von der Kuschelfolklore und hin zu der Erkenntnis, dass in der Kombination von Tradition und zeitgemäßem Denken Potential für die Zukunft liegt.
Das Imannhaus am Dreisessel und ein Fotoprojekt
Als Gertraud Platschek und ihr Mann Hansjörg 2007 das verfallende Waldlerhaus am Dreisessel entdeckten, war es Liebe auf den ersten Blick. Die gelernte Architektin erfüllte sich mit dem Wiederaufbau des Imannhauses in Schimmelbach einen Lebenstraum: ein organisch in die Landschaft eingefügtes Haus wieder zum Leben zu erwecken, seine Geschichte sichtbar werden zu lassen und die alten Räume aus Granit und Holz zu einem Haus für die ganze Familie zu machen. 2010 wurde ihr Engagement mit dem Denkmalpreis des Bezirks Niederbayern belohnt.
Im Zuge ihrer Erforschung der Waldlerhäuser im Dreiländereck begann Gertraud Platschek, die Häuser systematisch zu fotografieren und engagierte sich für diese „Erinnerungsorte des bäuerlichen Lebens im Bayerischen Wald“. Dabei stieß sie nicht immer auf Wohlwollen; so mancher Besitzer war misstrauisch gegenüber der Künstlerin aus München und als wir im vergangenen Sommer gemeinsam unterwegs waren, um einige der Häuser anzusehen, wurden wir schon mal vom Hof gejagt. Die Skepsis gegenüber Fremden ist groß, ebenso wie die Angst vor dem Denkmalschutz.
Die Installation Unholdenberg – ein Kreuzweg in vierzehn Stationen
Auf ihren Erkundungsfahrten im Bayerischen Wald stieß Gertraud Platschek auf das seit Jahrzehnten verlassene Waldlerhaus in Unholdenberg bei Waldkirchen. Das einst stattliche zweistöckige Bauernhaus aus dem Jahr 1876 in der Dorfmitte war am Verfallen. Kein Liebhaber fand sich für den zweistöckigen Granitbau mit verschindelter Holz-Giebelwand, für die Stube mit der Tramdecke und den Eckfenstern, für die gewendelte Treppe aus Granitblöcken, die mit großen, ausgetretenen Granitplatten ausgelegte Fletz und den Stadl. Schließlich wurde das Anwesen abgerissen. Doch die Geschichte beschäftigte Gertraud Platschek nachhaltig. Gemeinsam mit ihrer Künstlerfreundin Carola Ludwig wollte sie dem Haus eine letzte Ehre erweisen. Auf dem ehrwürdigen Dachboden des sanierten Imannhauses bauten die beiden mit Relikten aus dem Abrisshaus die Installation „Unholdenberg“, die sie allen untergehenden Waldlerhäusern widmeten. Damit wird die Erinnerung an das Leben der Bewohner und ihre vergangene Welt aufrechterhalten.
IK
Kunst für mündige Bürger

130.000 bildende Künstler gibt es in Deutschland. Ihren Traum, von ihrer Kunst angemessen und würdevoll leben zu können, können nur wenige verwirklichen. Notgedrungen sind sie also auch Lebenskünstler oder verdienen ihr Geld mit einem Zweitberuf, um ihr Grundeinkommen zu sichern. In einer Statistik von 2016 gibt die Künstlersozialkasse KSK das durchschnittliche Jahreseinkommen von männlichen Künstlern mit 18.121 EUR an, Künstlerinnen sind mit 13.268 EUR noch schlechter gestellt. Zum Leben reicht es kaum. Berufsverbände schaffen etwas Abhilfe und bemühen sich um Wettbewerbsausschreibungen, Kunst am Bau, Zugang zu sozialer Sicherung, Ausstellungsmöglichkeiten und -vergütungen. Kommunen setzen auf öffentliche Ankäufe, Kunstvereine, Museen und Galerien bieten Ausstellungsmöglichkeiten.
Der Bezirk Niederbayern bringt mit dem Aktionstag „Ateliers in Niederbayern“ regelmäßig Künstler und Bevölkerung zusammen: Das Projekt lädt zum Tag der offenen Tür in zahlreichen Künstlerwerkstätten ein. Zwischen 160 und 180 Ateliers aus der Region sind jeweils geöffnet – eine Zahl, die für eine ansehnliche Künstlerdichte in Niederbayern spricht. Spannend ist es, dabei ganz unterschiedliche Werkräume zu besuchen: Ein ausgebauter Stadel, ein ehemaliger Supermarkt, der heimische Küchentisch oder die Kellerwerkstatt – sie alle können Atelier sein. Darin eröffnen sich neue Welten: Neben auch dem Laien bekannten Arbeitsbereichen wie Malerei, Bildhauerei oder Zeichnung präsentieren sich auch digitale Kunst, Glasobjekte, Installationen, Textilobjekte, Video- und Recyclingkunst. Wer genau wissen möchte, wie eigentlich eine Bronzeskulptur entsteht oder Gold- und Silberobjekte geformt werden, kann seinen Fragen im persönlichen Gespräch mit den Künstlern nachgehen. Sie erklären Ideen, Werkstoffe und Arbeitsgerätschaften und veranschaulichen den Entstehungsprozess ihrer Werke mithilfe von Skizzen und Entwürfen.
Wer nun unter dem Sinn und Zweck eines solchen Tags der offenen Tür lediglich ein unterhaltsames Programm mit bunten Bildern versteht, irrt gewaltig. Denn Bildende Kunst erfüllt einen äußerst sinnvollen gesellschaftlichen Zweck: Sie bildet mündige Bürger aus. Kunst muss nämlich nicht schön sein. Sie lädt vielmehr zur Meinungsbildung ein. Da zeitgenössische Kunst nicht der Allgemeingültigkeit verpflichtet ist, sondern sich gerne eine subjektive Perspektive erlaubt, die irritierend oder provokant sein kann, lädt sie den Betrachter dazu ein, sich selbst zu positionieren – ethisch wie ästhetisch, inhaltlich wie politisch.
Darauf darf man sich getrost einlassen und das eigene Kunstverständnis erweitern. Vielleicht fesselt einen dabei ein Werk so sehr, dass man sich für einen Kauf entscheidet – der Künstler wird danken, und das Werk kann lange nachwirken. Eine gute Gelegenheit bietet sich bei „Ateliers in Niederbayern“ am Sonntag, 14. Oktober 2018, von 13 bis 18 Uhr in 179 niederbayerischen Künstlerwerkstatten.
VK
Dem Wasser auf den Grund gehen – Bauernmalerei aus Niederbayern

Immer mehr Biogasanlagen, immer mehr Schweineställe mit Massentierhaltung, immer größere Mengen Gülle, üppiger Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Kunstdünger zwingen die örtlichen Wasserversorger, Trinkwasser-Brunnen zu schließen: Sie erfüllen nicht mehr die strengen Auflagen für unser wichtigstes Lebensmittel.
Fast 40 % der deutschen und bayerischen Grundwasservorkommen sind bereits belastet. Weil höher gelegene Stockwerke bereits stark verunreinigt sind, nehmen die Bohrtiefen bedenklich zu. Sie speichern die Sünden der Vergangenheit, denn Wasser hat ein sehr langes Gedächtnis.
Gerade in Niederbayern mit dem Schweinegürtel rund um Hohenthann im Landkreis Landshut besteht höchster Handlungsbedarf. Dort scheiden Tausende von Vierbeinern mehr Gülle aus als der Boden aufnehmen kann. Die Erosion auf den Maisfutterflächen vernichtet wertvollste Böden. Ohne Agrarwende, die vor allem ohne ein Umdenken der VerbraucherInnen beim Fleischkonsum nicht erfolgreich sein kann, hinterlassen wir den nachfolgenden Generationen ein wahrlich vergiftetes Erbe.
Um die Wasser- und Bodenqualität wieder zu heben, braucht es einen langen Atem. Doch erste Erfolge zeigen, wie sich die überdüngte Kulturlandschaft sanieren lässt: durch konsequenten ökologischen Landbau, Flächenstilllegungen im Einzugsbereich der Brunnen und finanzielle Unterstützung der Landwirte, die pfleglich mit dem Rohstoff Boden umgehen. Und durch die Abkehr von der bisherigen Landwirtschaftspolitik des immer mehr, immer größer und immer billiger hin zu nachhaltiger Qualität.
Darauf weist auch ein eindrucksvoller Film des Journalisten Lorenz Knauer hin, der rund um Landshut gedreht wurde und in der Mediathek des BR- Reihe „Unter unserm Himmel“ verfügbar ist. Der Autor geht dem Thema Wasser so auf den Grund, dass wir als Zuschauer sehen und verstehen, was auf dem Spiel steht. Und die sehr eindrucksvollen Luftbilder von Klaus Leidorf zeigen, was es mit dem eigentlich so harmlos-sympathischen Wort „Bauernmalerei“ auf sich hat…
HW
Das Oktoberfest und seine regionalen Ableger

„Volksfeste freuen mich besonders. Sie sprechen den Nationalcharakter aus, der sich auf Kinder und Kindeskinder vererbt […].“ Dies ließ einst Prinz Ludwig von Bayern, der spätere König Ludwig I., verlauten. Um die Loyalität der Landeskinder zu Krone und Reich zu fördern, machten sich die Wittelsbacher und ihre Ministerialen viele Gedanken. Sie gipfelten schließlich in einem erfolgreichen Konzept, im ersten Oktoberfest, als gelungene Mischung aus gelebtem Patriotismus, vergnüglichem Volksfest und landwirtschaftlicher Leistungsschau.
Anlässlich der Vermählung des Kronprinzen Ludwig mit Therese von Sachsen-Hildburghausen am 12. Oktober 1810, dem Namenstag von Max I. Joseph, richtete die königliche Nationalgarde fünf Tage später ein Volksfest mit Pferderennen und Kinder-Trachtenpaaren aus. Letztere stammten aus den damals neun bayerischen Kreisen; sie sollten das junge zusammenwachsende Königreich mit seinen neuen Territorien repräsentieren. Dieses aus handfesten politischen wie ökonomischen Motiven geborene und zum Nationalfest hochstilisierte Oktoberfest wurde ab 1811 vom Landwirtschaftlichen Verein organisiert. Ab 1815 gab es Preise zur „Aufmunterung der Viehzucht“, „Beförderung des Anbaues“ sowie zur „Auszeichnung ländlicher Dienstboten“. Ein weiteres Jahr später kam ein landwirtschaftlicher Leistungswettbewerb mit Geräte- und Maschinenausstellung hinzu. Es ging also nicht um eine einmalige Huldigung zur Kronprinzenhochzeit. Das aufklärerische Festkonzept sollte seine regelmäßige Wiederholung und Nachahmung im gesamten Königreich finden. Deshalb wurden in den bayerischen Kreisen, den heutigen Regierungsbezirken, Volksfeste bzw. Landwirtschaftsfeste mit Viehausstellungen, Prämierungen, Pferderennen, Volksbelustigung und Festumzügen mit Trachtenpaaren aus der Taufe gehoben. Das erste Landwirtschaftsfest nach diesem Muster wurde im Unterdonaukreis, dem heutigen Regierungsbezirk Niederbayern, von König Max I. Joseph 1812 in Straubing per Dekret ins Leben gerufen. 1814 machten die Passauer ihren Anspruch geltend. Ab 1819 wechselte das Fest jährlich zwischen den beiden Städten, bis 1839 als dritte Stadt Landshut hinzukam.
Seit langem halten selbstverständlich nicht nur die niederbayerischen Städte regelmäßig ihre Volksfeste, Frühjahrs- und Herbstdulten ab. Dem Oktoberfest-Konzept am nächsten kommt hierzulande das Straubinger Gäubodenfest. Dort trifft man im Gegensatz zum international gefeierten Vorbild eher auf einheimisches Publikum. Doch die parallel stattfindende Ostbayernschau zählt mit einer halben Million Besuchern immerhin zu den erfolgreichsten Verbraucherausstellungen in Bayern.
Auf Volksfesten begegnen sich Bevölkerung, Politik und Gewerbe. Es wird gefeiert und lautstark politisiert. Bei Bier und Blasmusik vergewissert man sich seiner Identität und Wirtschaftskraft. So war es seit der Aufklärung und Industrialisierung gedacht. So ist es trotz aller Veränderungen bis heute geblieben.
MS
20 Jahre Kostüm- und Requisitenfundus in Mainkofen

Der stilistische Abstand eines Theaterkostüms zur Alltagskleidung des Großteils der Bevölkerung unterlag die Jahrhunderte hindurch dem Wandel. Eine relativ große Nähe zur Alltagskleidung wiesen die Kostüme in der Antike auf. Die Komödien des Barock orientierten sich ebenfalls an der zeitgenössischen Kleidung. In den Barock-Tragödien wurden dagegen vorwiegend alltagsferne, üppig ausgestattete Kostüme eingesetzt. Das umgekehrte Bild lässt sich im Theater des späten 19. Jahrhunderts ausmachen. In naturalistischen Dramen wurde mit täuschend echten Kopien der alltäglichen Kleidung gearbeitet. Dafür wurde hier nun im komischen Unterhaltungstheater auf aufwendige Kostümierungen gesetzt. Im Theater der Gegenwart herrscht die absolute Pluralität der Möglichkeiten: Kostüme müssen keinen Trends folgen und „lediglich“ der Spezifik von Stück und Inszenierung gerecht werden.
Unabhängig von Ihrer Nähe oder Distanz zur Alltagskleidung leisten Kostüme für das Theater schon immer eine doppelte Funktion der Überzeugung. Den Schauspielern helfen Sie dabei, sich in Ihre Rolle hinein zu versetzen. Dem Publikum erleichtern sie das Eintauchen in die zeitweilig auf der Bühne geschaffene Welt. Weil Kleider Leute machen, bieten sich Kostüme dafür an, den sozialen Status, aber auch den Charakter einer Figur, dem Publikum gegenüber zu kommunizieren, ohne ihn offen aussprechen zu müssen.
Da sie also wichtig sind, ihre Anschaffung aber gerade Laienspielgruppen finanziell belastet, hat das Kulturreferat des Bezirks Niederbayern bereits 1998 auf dem Gelände des Mainkofener Bezirksklinikums einen Kostüm- und Requisitenfundus eingerichtet, der Theatergruppen das kostenlose Entleihen ermöglicht. Anlässlich des zwanzigjährigen Bestehens wird es am Samstag den 22.9 von 10 bis 16 Uhr einen Tag der offenen Tür geben. Dieser wird bei schlechtem Wetter ausschließlich im Haus D 3 und bei gutem Wetter auch im Freien vor Haus D 3 stattfinden. Die Leiterin, Elisabeth Weickmann, wird an diesem Tag durch den Fundus führen, aus dessen Beständen Einzelteile preiswert erworben werden können. Zudem wird der Laienspielberater des Bezirks Niederbayern, Peter Glotz, die anwesenden Kinder spielerisch an die Theaterarbeit heranführen, indem er mit ihnen zusammen kleinere Szenen einstudiert. Damit das Schlüpfen in eine andere Rolle auch gut funktioniert, können sich die Kinder schminken lassen und sich selbst Kostüme und Requisiten für die Szenen aussuchen.
Das Kulturreferat Niederbayern freut sich auf Ihren Besuch!
Anfahrt: http://www.mainkofen.de/172.html
LS
Überreiche Obsternte 2018

Wer derzeit mit wachen Augen durch die Städte und Dörfer geht oder fährt, sieht, wie sich viele Obstbäume biegen unter der überreichen Last ihrer Früchte. Ja, manchmal sind die Zwetschen-, Birnen- oder Apfeläste sogar an- und abgebrochen , weil sie das Gewicht ihrer Produkte nicht mehr tragen können. Oder sie nicht von stützenden Holzpfählen gerettet werden. Dieses Bild regt zu mancherlei Gedanken an, denn es kann offensichtlich ein Zuviel geben, das schädliche Folgen hat.
Unser auf ständiges Wachstum programmiertes Denken, das gerne in jedem Minus einen Rückschritt sieht, wird mit den Gesetzen der Natur konfrontiert. Diese sind nicht linear angelegt, sondern zyklisch im ständigen Wechsel von Werden und Vergehen, nicht hierarchisch, sondern eher komplex-vernetzt. Auf Rekordernten folgen oft Ruhejahre mit sehr mäßiger Ausbeute. Oder wie der bairische Volksmund sagt: „Es hängt net oiwei auf oa Seitn.“ Es gibt kein „ewiges“ Wachstum, nur ein exponentielles bei Krebszellen.
Die hitzige Diskussion um das Bienen- und Insektensterben mit Monokulturen in der modern-hochtechnisierten Landwirtschaft, den artgerechten Umgang mit der Tierwelt in Zeiten der Massenproduktion, zunehmende Wetterextreme mit Hitzeperioden, Starkregen-Ereignissen und die unaufhaltsame Flächenversiegelung unserer heimatlichen Kulturlandschaft zeigt, das wir uns dringend fragen müssen, ob wir in Zukunft einfach unseren rohstoff- und energieintensiven Lebensstil ungerührt weiterpflegen wollen. Oder uns besinnen auf ein bescheideneres Maß mit langfristiger Über-Lebensperspektive.
Die überreiche Obsternte 2018 könnte uns auch wieder einmal anregen, die kulturelle Vielfalt der gemeinschafts- und sinnstiftenden Verarbeitungsformen zu schätzen: vom Obstpressen über´s Einmachen, Einwecken bis zum Dörren. Gerade die niederbayerische Kulturlandschaft mit ihren fruchtbaren Böden, dem ausgeglichenen Klima mit ausreichenden Niederschlägen hat im deutschland- und europaweiten Vergleich eine erfolgsversprechende Zukunft vor sich. Wenn das immer mehr VerbraucherInnen wertschätzen, werden sie vielleicht künftig auch wieder mehr regional bewährte Obstbäume und heimische Wildblumen pflanzen, vorhandene Streuobstwiesen schützen und pflegen. Oder sich freuen, wenn sie ganz neue Geschmackserlebnisse erleben, wenn sie in lokal typische Sorten beißen.
Das bevorstehende Erntedankfest ist wie jedes Jahr ein guter Anlass, sehr dankbar zu sein für die besonderen Schätze der Obstkultur, die wir heuer in so großer Fülle geschenkt bekommen haben.
HW
„Heiliges“ Vergnügen

Die Auer Dult aus der Vogelperspektive (Foto: Klaus Leidorf)
Viele Volksfeste finden ihren Ursprung in Kirchweihen und Gedenktagen an Heilige. Diese wurden stets liturgisch gefeiert, aber auch weltlich begangen. Als Jahrmärkte oder Dulten entfalteten sie im Lauf der Jahrhunderte ihr profanes Eigenleben und erfreuen sich bis heute großen Zulaufs.
„Dult“ ist eine in Bayern gebräuchliche Bezeichnung für Messe oder Jahrmarkt. Einst fanden diese im Jahreskalender besonderen Ereignisse nach der Messfeier auf und um den Kirchplatz herum statt. In Zeiten ohne Warenhäuser und Onlinehandel erfüllten die Dulten einen wichtigen Zweck. Wie bei den Weihnachts- oder Christkindlmärkten deckte die Bevölkerung an solchen Markttagen nach dem Kirchgang ihren Warenbedarf: Stoffe aus Baumwolle und Seide, modische Kleidung, Schuhwerk, Porzellan, seltene Gewürze, Spezereien und Sonstiges, was man selbst nicht herstellen konnte.
Mit ihrem Warenangebot halten die Fieranten die alte „Standl-Tradition“ auch auf den modernen Volksfestplätzen hoch, während neben Bierzelten, Schießständen und Losbuden immer waghalsigere Fahrgeschäfte die Besucher anzulocken versuchen. Dennoch erliegen viele von uns dem Charme der zünftigen Dult-Händler, welche ihre Produkte ebenso lauthals wie gekonnt anpreisen.
Die wohl populärste Dult in Bayern findet dreimal jährlich im Münchner Stadtviertel Au am Mariahilfplatz statt. Es ist die „Auer Dult“, die im Frühjahr als Maidult, im Sommer als „Jakobidult“ (St. Jakob, 25. Juli) und im Herbst als Kirchweihdult abgehalten wird. Die „Jakobidult“ lässt sich auf dem heutigen Sankt-Jakobs-Platz bis in das Jahr 1310 zurückverfolgen, ehe sie Kurfürst Karl Theodor 1796 in den Vorort Au verlegen ließ. Der „Auer Dult“ ist mittlerweile ein großer Kunst- und Antiquitätenmarkt angegliedert; ferner gilt sie als größter Geschirrmarkt Europas.
Auch anderen Städten sind neben ihren Oster- und Pfingstdulten ihre Herbstdulten und Kirchweihfeste sprichwörtlich „heilig“, z. B. den Augsburgern seit 1276 die Michaelidult (St. Michael, 29. September), den Landshutern seit 1339 die „Barthlmädult“ (St. Batholomäus, 24. August) oder den Salzburgern der ebenfalls seit dem Mittelalter gefeierte „Rupertikirtag“ (St. Rupert, 24. September). Genauso halten viele kleinere Städte und Orte regelmäßig im Jahr ihre Frühjahrs- und Herbstvolksfeste ab: die Abensberger feiern ihren auf der Wallfahrt zu St. Gilgen (Hl. Ägidius, 1. September) begründeten Gillamoos seit 1583 vor den Toren der historischen Altstadt. Die Mainburger berufen sich mit ihrem Gallimarkt auf St. Gallus (16. Oktober) und eine gut sechshundertjährige Tradition.
Volksfeste, Kir(ch)messen, Dulten und Märkte zählen zu den beliebtesten Freizeitangeboten in Deutschland. Knapp 10.000 solcher Feste mit weit über 170 Millionen Besuchern werden jährlich bundesweit abgehalten. Bemerkenswert ist, wie viele davon aus alten Warenmärkten an christlichen Heiligengedenktagen hervorgegangen sind.
MS
Heimatkrimiblues

Sind Heimatkrimis blöd? Sind sie wirklich, wie der Literaturkritiker Denis Scheck es einmal gesagt hat, „die Pest in der Literatur unserer Tage“? Vom Standpunkt des literarischen Kunstwerks aus betrachtet, vielleicht. Aber in Literatur, egal welcher, steckt auch immer ein gesellschaftlich-soziales Moment. Und das macht den Heimatkrimi zu einem überaus interessanten Phänomen.
Nehmen wir als Beispiel die Eberhofer-Krimis von Rita Falk. Der Protagonist Franz Eberhofer, Dorfpolizist mitten in Niederbayern, ist ein Durchschnittstyp, der den Finger schnell am Abzug seiner Pistole hat. Meistens schießt er nur in die Luft. Und der alles recht unkompliziert regelt: Wenn gerade das Klo besetzt ist, benutzt er einfach schnell das Waschbecken. Kurzum: Es ist ein ganz normaler Mensch, der über uns wacht und die Dinge einfach anpackt. Die Heimat, über die er wacht, ist ein „Früher-war-alles-besser-heile-Welt“-Heimatidyll, in dem das größte Problem darin besteht, nachts vom Wirtshaus nach Hause zu finden. Die Personen sind wandelnde Klischees: Die wahnsinnig neugierige Dorfratschn, die liebe, aber auch furchtbar nervige Oma. Wenn sie nicht gerade Rahmschwammerl mit Knödeln kocht, ist sie auf Schnäppchenjagd. Der brummige Vater, der etwas dämliche Metzger, der faule Bürgermeister … All diese Personen sind so überzogen dargestellt, dass es sie in Wirklichkeit gar nicht geben kann. Oder doch? Ein ganz kleines bisschen vielleicht? Ja, denn Klischees haben einen kleinen, aber unbedingten Bezug zur Wahrheit.
Man könnte natürlich jetzt sagen: „Da verkauft jemand die Niederbayern für blöd.“ Stimmt! Aber mit einem Augenzwinkern, was das Ganze doch wieder recht amüsant macht – und auf keinen Fall boshaft.
Was macht Heimatkrimis so erfolgreich? Viele Menschen würden liebend gern die Realität mit der Illusion eines niederbayerischen Heimatidylls tauschen. Sie sehnen sich nach Normalität, einfachen Verhältnissen, nach einfachen Lösungen, einfachen Erzählmustern, ein bisschen Spannung; aber davon bitte nicht zu viel! Und ein bisschen über sich selbst schmunzeln, das wollen sie auch. All das, vor allem die Sehnsucht nach Normalität, erfüllen Heimatkrimis oft. Man liest sie nicht, weil sie so spannend sind. Man liest sie, um – wie bei einer Daily Soap – zu sehen, wie es den Figuren, die einem ans Herz gewachsen sind, diesmal ergehen mag.
Und, obwohl Krimis vom Außergewöhnlichen, von Mord beispielsweise, handeln, der in die Normalität hereinbricht, ist das Happy End nie gefährdet. Das ist alles ein bisschen so wie bei Ludwig Ganghofer: „Der Jäger von Fall“ ist gewissermaßen auch eine Art Heimatkrimi: Die Sennerein Marei hat einen kleinen, unehelichen Sohn. Den Vater, der Wilderer ist, versteckt sie auf ihrer Alm. Aber eigentlich liebt sie den Jäger Friedl, der schon lange in sie verliebt ist, aber hinter dem Wilderer her ist. Ganghofers Personen sind richtige Menschen, keine Klischeefiguren. Und in ihnen – das ursprüngliche Zentrum der Handlung ist das Drama, das Marei innerlich zerreißt – und um sie herum entstehen Tragödien. Das ist bei Ganghofer glaubhaft, weil es richtige Menschen sind, die da reden, handeln und leben. Die Tragödie entsteht aus dem Alltag. Abgründe tun sich auf vor dem Hintergrund der scheinbar idyllischen Heimat.
Aber so viel Tragödie wie Ganghofer wollen viele Heimatkrimi-Autoren ihren Leserinnen und Lesern gar nicht zumuten. Ihre Krimis sollen unterhalten und amüsieren – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Weil ihre Personen wandelnde Klischees sind und die Geschichten, die sie erleben, oft simpel gestrickt, gibt es in vielen Heimatkrimis wenig Spannung, keinen Sog, der uns in die Geschichte zieht – denn wir wissen, wie es ausgehen wird. Die Leser aber lieben sie trotzdem.
CG
Marias Gewürzmischung

Jedes Jahr am 15. August wird in katholisch geprägten Regionen Maria Himmelfahrt gefeiert. Hierzu werden im Vorfeld Kräuter gesammelt, zu einem Bund geflochten und anschließend in der Messe geweiht. Dieser Brauch hat sich auch sprachlich niedergeschlagen: Das Fest wird auch Maria Würzweih oder Büschelfrauentag genannt.
Der Ursprung dieser Verbindung kann darin ausgemacht werden, dass Maria als „guter und heiliger Acker“ benannt und verehrt wird und Kräuter nicht nur wild wachsen, sondern auch vom Menschen kultiviert werden. Der oftmals starke Duft der Kräuter findet sich ebenfalls im christlichen Glauben wieder. Im Hohelied 2,1 heißt es, Maria sei eine „Blume des Feldes und Lilie in den Tälern“. Des Weiteren wird im christlichen Glauben, der das Fest spätestens seit dem 7. Jahrhundert feiert, auf den besonderen Duft verwiesen, als Christus Maria in den Himmel führte. Beim Öffnen Ihres Grabes seien zudem nur Rosen vorgefunden worden.
In Hinblick auf Ihre überlieferte Symbolik ist bei diesem Brauch die Auswahl und Anzahl der Kräuter von besonderer Bedeutung. Die gängigste Anzahl ist entweder 7 als Zahl der Schöpfungstage, Tugenden und Sakramente oder 9 als dreifache Wiederholung der Heiligen Dreifaltigkeit. Daneben werden aber beispielsweise auch 12 für die Anzahl der Apostel und die Stämme Israels oder 14 Kräuter für die heiligen 14 Nothelfer gebunden. Ebenfalls möglich sind Potenzierungen dieser symbolträchtigen Zahlen (24, 72 oder gar 99).
Häufig gebrauchte Kräuter sind Königskerze, die in der Regel das Zentrum des Büschels ist, Johanniskraut, Wermut, Beifuß, Schafgarbe und Rainfarn. Diese historisch als Heilpflanzen gebrauchten Kräuter sind heutzutage nicht mehr allesamt gängig, wie der als giftig eingestufte Rainfarn zeigt. Strenge Beschränkungen bei der Auswahl und Zusammenstellung der Kräuter gibt es indes nicht, weshalb z. B. auch Gemüse, Blumen oder Getreide hinzugefügt werden kann.
Nachdem die Kräuterbüschel geweiht sind, bringt man sie für gewöhnlich im Herrgottswinkel oder Dachboden des Hauses oder im Stall an. Je nach Zusammensetzung des Büschels wurde dieser aber auch als Tee aufgekocht, dem Vieh ins Futter oder dem Saatgut fürs kommende Jahr beigemischt. Mit dem Brauch wurde also immer göttlicher Schutz, Heilung und/oder Fruchtbarkeit erbeten.
Angesichts der diesjährigen deutschlandweiten Dürre- und Hitzewelle, die voraussichtlich für enorme Ernteschäden sorgen wird, und des Klimawandels sollten sich die Menschen aber besser nicht nur auf die Wirkung der geweihten Kräuterbüschel verlassen und sich ehrgeizige Ziele im Senken der CO2-Emissionen setzen.
LS
Vom Sammeln

Bienen sammeln Honig, Fußballfans sammeln Panini-Bilder, unkritische Verbraucher Payback-Punkte und Oma Frieda sammelt Kaffeekannen, Puppen und Teddybären. Und was sammeln Sie?
Zu Beginn der Menschheitsgeschichte folgten Sammler einem Urinstinkt. Lange bevor unsere Vorfahren sich zu sesshaften Gesellschaften zusammenschlossen, die Ackerbau und Viehzucht betrieben, sicherte das Sammeln von Früchten und Samen – zusätzlich zum oft launischen Jagdglück – den überlebensnotwendigen Nahrungsbedarf. Heute ist der Lebenserhaltungstrieb einer menschlichen Laune gewichen, die in einem breiten Spektrum von der Liebhaberei bis zur pathologischen Sammelwut auftritt. Das Sammeln ist zu einer ideellen Beschäftigung geworden, zur systematischen Suche, Beschaffung und Aufbewahrung von Dingen oder Informationen. Gejagt wird immer noch ausdauernd: nach fehlenden Einzelstücken zur Ergänzung des eigenen Sortiments.
Zum privaten Sammelsurium kommt das institutionalisierte Sammeln, das im Anlegen eines Fundus in Museen, Bibliotheken und Archiven besteht. Die Idee dazu fußt in den Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance und des Barock. Raritäten und Kuriositäten repräsentierten Kunstsinn und Vermögen der Fürsten und ließen ihre Gäste bewundernd und staunend in die Hände klatschen. Ob exotische Tierpräparate, feine Goldschmiedearbeiten und chirurgische Instrumente oder automatische Spieluhren und seltene Kristalle – allein der dafür verwendete Begriff des „Panoptikums“ zeigt, dass hier der Vielfalt und Phantasie kaum Grenzen gesetzt waren. Erst der vernunftbetonte Blick der Aufklärung begann die Dinge neu zu ordnen. Nun folgte der Sammeltrieb weniger der Leidenschaft für Kurioses als vielmehr naturwissenschaftlichem Erkenntnisstreben. Genaues Betrachten führte zu rationalem Begreifen. So gewonnene naturkundliche Erkenntnisse legten den Grundstein für wissenschaftliche Forschungen und späteren technischen Fortschritt.
Im 19. Jahrhundert lösten Museen mit mehr oder minder ausgefeilten Sammlungskonzepten die Kunst- und Wunderkammern als Lern- und Bildungsorte ab, wie die Gründungen des Germanischen Nationalmuseums 1853 und des Bayerischen Nationalmuseums 1855 zeigen. Das Sammeln erhält einen öffentlichen, gemeinnützigen Rahmen.
Allein die Sammlung macht noch kein Museum! Während Museen ihrem Selbstverständnis nach nicht nur sammeln, dokumentieren und konservieren, sondern auch für Wissensvermittlung und Forschung zuständig sind, folgt das private Sammeln seinen eigenen Regeln – und feiert dabei fröhliche Urständ‘! Einschlägige Internetforen verzeichnen bis zu 600 Sammlungsgebieten von Abenteuerroman und Adventskalender bis Zuckertütchen und Zündholzschachtel. Zwar wird Sammeln meist individuell betrieben. Vernetzt über Onlineforen, Sammlerbörsen und -zeitschriften sind Sammler aber auch als kollektives Phänomen wahrzunehmen. Für Kulturwissenschaften, Museologen und Psychologen sind sie damit selbst zum spannenden Studienobjekt geworden.
CLL