Marias Gewürzmischung

Jedes Jahr am 15. August wird in katholisch geprägten Regionen Maria Himmelfahrt gefeiert. Hierzu werden im Vorfeld Kräuter gesammelt, zu einem Bund geflochten und anschließend in der Messe geweiht. Dieser Brauch hat sich auch sprachlich niedergeschlagen: Das Fest wird auch Maria Würzweih oder Büschelfrauentag genannt.
Der Ursprung dieser Verbindung kann darin ausgemacht werden, dass Maria als „guter und heiliger Acker“ benannt und verehrt wird und Kräuter nicht nur wild wachsen, sondern auch vom Menschen kultiviert werden. Der oftmals starke Duft der Kräuter findet sich ebenfalls im christlichen Glauben wieder. Im Hohelied 2,1 heißt es, Maria sei eine „Blume des Feldes und Lilie in den Tälern“. Des Weiteren wird im christlichen Glauben, der das Fest spätestens seit dem 7. Jahrhundert feiert, auf den besonderen Duft verwiesen, als Christus Maria in den Himmel führte. Beim Öffnen Ihres Grabes seien zudem nur Rosen vorgefunden worden.
In Hinblick auf Ihre überlieferte Symbolik ist bei diesem Brauch die Auswahl und Anzahl der Kräuter von besonderer Bedeutung. Die gängigste Anzahl ist entweder 7 als Zahl der Schöpfungstage, Tugenden und Sakramente oder 9 als dreifache Wiederholung der Heiligen Dreifaltigkeit. Daneben werden aber beispielsweise auch 12 für die Anzahl der Apostel und die Stämme Israels oder 14 Kräuter für die heiligen 14 Nothelfer gebunden. Ebenfalls möglich sind Potenzierungen dieser symbolträchtigen Zahlen (24, 72 oder gar 99).
Häufig gebrauchte Kräuter sind Königskerze, die in der Regel das Zentrum des Büschels ist, Johanniskraut, Wermut, Beifuß, Schafgarbe und Rainfarn. Diese historisch als Heilpflanzen gebrauchten Kräuter sind heutzutage nicht mehr allesamt gängig, wie der als giftig eingestufte Rainfarn zeigt. Strenge Beschränkungen bei der Auswahl und Zusammenstellung der Kräuter gibt es indes nicht, weshalb z. B. auch Gemüse, Blumen oder Getreide hinzugefügt werden kann.
Nachdem die Kräuterbüschel geweiht sind, bringt man sie für gewöhnlich im Herrgottswinkel oder Dachboden des Hauses oder im Stall an. Je nach Zusammensetzung des Büschels wurde dieser aber auch als Tee aufgekocht, dem Vieh ins Futter oder dem Saatgut fürs kommende Jahr beigemischt. Mit dem Brauch wurde also immer göttlicher Schutz, Heilung und/oder Fruchtbarkeit erbeten.
Angesichts der diesjährigen deutschlandweiten Dürre- und Hitzewelle, die voraussichtlich für enorme Ernteschäden sorgen wird, und des Klimawandels sollten sich die Menschen aber besser nicht nur auf die Wirkung der geweihten Kräuterbüschel verlassen und sich ehrgeizige Ziele im Senken der CO2-Emissionen setzen.
LS
Vom Sammeln

Bienen sammeln Honig, Fußballfans sammeln Panini-Bilder, unkritische Verbraucher Payback-Punkte und Oma Frieda sammelt Kaffeekannen, Puppen und Teddybären. Und was sammeln Sie?
Zu Beginn der Menschheitsgeschichte folgten Sammler einem Urinstinkt. Lange bevor unsere Vorfahren sich zu sesshaften Gesellschaften zusammenschlossen, die Ackerbau und Viehzucht betrieben, sicherte das Sammeln von Früchten und Samen – zusätzlich zum oft launischen Jagdglück – den überlebensnotwendigen Nahrungsbedarf. Heute ist der Lebenserhaltungstrieb einer menschlichen Laune gewichen, die in einem breiten Spektrum von der Liebhaberei bis zur pathologischen Sammelwut auftritt. Das Sammeln ist zu einer ideellen Beschäftigung geworden, zur systematischen Suche, Beschaffung und Aufbewahrung von Dingen oder Informationen. Gejagt wird immer noch ausdauernd: nach fehlenden Einzelstücken zur Ergänzung des eigenen Sortiments.
Zum privaten Sammelsurium kommt das institutionalisierte Sammeln, das im Anlegen eines Fundus in Museen, Bibliotheken und Archiven besteht. Die Idee dazu fußt in den Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance und des Barock. Raritäten und Kuriositäten repräsentierten Kunstsinn und Vermögen der Fürsten und ließen ihre Gäste bewundernd und staunend in die Hände klatschen. Ob exotische Tierpräparate, feine Goldschmiedearbeiten und chirurgische Instrumente oder automatische Spieluhren und seltene Kristalle – allein der dafür verwendete Begriff des „Panoptikums“ zeigt, dass hier der Vielfalt und Phantasie kaum Grenzen gesetzt waren. Erst der vernunftbetonte Blick der Aufklärung begann die Dinge neu zu ordnen. Nun folgte der Sammeltrieb weniger der Leidenschaft für Kurioses als vielmehr naturwissenschaftlichem Erkenntnisstreben. Genaues Betrachten führte zu rationalem Begreifen. So gewonnene naturkundliche Erkenntnisse legten den Grundstein für wissenschaftliche Forschungen und späteren technischen Fortschritt.
Im 19. Jahrhundert lösten Museen mit mehr oder minder ausgefeilten Sammlungskonzepten die Kunst- und Wunderkammern als Lern- und Bildungsorte ab, wie die Gründungen des Germanischen Nationalmuseums 1853 und des Bayerischen Nationalmuseums 1855 zeigen. Das Sammeln erhält einen öffentlichen, gemeinnützigen Rahmen.
Allein die Sammlung macht noch kein Museum! Während Museen ihrem Selbstverständnis nach nicht nur sammeln, dokumentieren und konservieren, sondern auch für Wissensvermittlung und Forschung zuständig sind, folgt das private Sammeln seinen eigenen Regeln – und feiert dabei fröhliche Urständ‘! Einschlägige Internetforen verzeichnen bis zu 600 Sammlungsgebieten von Abenteuerroman und Adventskalender bis Zuckertütchen und Zündholzschachtel. Zwar wird Sammeln meist individuell betrieben. Vernetzt über Onlineforen, Sammlerbörsen und -zeitschriften sind Sammler aber auch als kollektives Phänomen wahrzunehmen. Für Kulturwissenschaften, Museologen und Psychologen sind sie damit selbst zum spannenden Studienobjekt geworden.
CLL
Schwein gehabt!

Angler Sattelschwein, Deutsches Cornwallschwein, Baldinger Tigerschwein, Bentheimer Landschwein, Hängebauch- und Wollschwein – eine nahezu unüberschaubare Anzahl von Schweinerassen hat die Züchtung in den vergangenen 200 Jahren weltweit hervorgebracht. Doch wer von uns hat schon die große tierische Verwandtschaft des gemeinen Hausschweins im Blick, wenn selbiges als Sonntagsbraten mit rescher Schwarte und einer anständigen Portion Knödel und Krautsalat auf dem Teller liegt?
Wie grausig Meldungen und Berichte über Gammelfleisch, Massentierhaltung und Genmanipulation auch sein mögen, der Bayer und insbesondere der Niederbayer zeigt sich diesbezüglich relativ unbeeindruckt. Er bleibt dem Schwein – oder auf gut bayrisch der Sau – zumindest kulinarisch treu, besser gesagt: Er hat sie zum Fressen gern. Ob Schweinsbraten (wohlgemerkt mit Fugen-S, Schweinebraten gibt es nur nördlich des Weißwurstäquators), Bratwurst oder Schnitzel, das gemeine Hausschwein lässt sich in zahlreichen schmackhaften Varianten im wahrsten Sinne des Wortes ausschlachten. Schon in den mageren 1920er Jahren wurde diese Tatsache begeistert besungen – wie ein im Volkskulturarchiv des Bezirks zu findender Text aus Schönberg im Bayerischen Wald belegt: „Das Schwein ist äußerst nahrhaft, das ist für uns ein Glück! Wenn man es fleißig füttert, wird’s wuzelfett und dick. Man macht die besten Würste aus seinem edlen Blut, und kriegt den besten Schinken, wenn man es selchen tut.“
Manch einer mag sich dabei vielleicht an seine Kindheit zurück erinnern, in der das meist vorweihnachtliche Saustechen noch zum Alltag auf den Dörfern und Einödhöfen gehörte. Denn während man im Oberland vornehmlich Weidewirtschaft betrieb, hatte man sich im Unterland schon vor Langem auf Ackerbau und Schweinemast spezialisiert. Die Erfolgsgeschichte der niederbayerischen Landwirtschaft ist im sogenannten Schweinegürtel vom Rottal bis in die Hallertau eng mit dem rosigen Borstentier verbunden. Neben den Hopfen- und Körndlbauern bilden die ‚Saubauern’ die dritte Säule des landwirtschaftlich geprägten Regierungsbezirks. Trotz dieser tragenden Rolle gilt die Bezeichnung ‚Saubauer’ vielen auch als böse Beschimpfung, was daran liegen mag, dass man Schweinemastbetriebe seltener sehen oder hören als vielmehr oft schon von weitem riechen kann. Vielleicht hat hier aber auch die Regionalgeschichte ihre Spuren hinterlassen, die immer wieder von Rivalitäten zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern berichtet. So ist in der „Bavaria. Landes- und Volkskunde des Königreichs Bayern“ von 1860 zu lesen: „Nicht selten stehen ganze Dorfschaften ihren Nachbargemeinden im Kampfe gegenüber, man organisiert sich förmlich im Raufen; im Rotthale bestanden vor drei Jahrzehnten in den „Wiazenen“ und den „Schweinernen“ erbitterte Raufgesellschaften.“
Das Schwein polarisiert – in Fragen der Tierhaltung und Fleischproduktion genauso wie im übertragenen Sinne. Kaum ein Tier taucht im Sprachgebrauch so häufig und so vielfältig bildhaft verwendet auf wie die Sau. Wenn der Schweinsbraten saugut war, stört uns weder das Sauwetter noch der saugrantige Tischnachbar. Eher schon die Saupreußen, die einem manchmal gar so saufreundlich daher kommen.
Dass der Kulturpreis des Bezirks Niederbayern 2018 an einen Schweinezüchter geht, der dennoch kein Saubauer ist und sein will, mag manchen verwundern. Doch wer sich vor Augen hält, dass Kultur eben nicht nur die edlen schönen Dinge wie Musik, Kunst und Literatur meint, sondern mindestens ebenso sehr Bodenständiges und Erdverwurzeltes wie Ackerbau und Viehzucht, der kommt an der Sau nicht vorbei. Ob er dies nun saublöd, saufrech, saukomisch oder saustark findet – das Borstentier juckt’s nicht.
CLL
Volkskunst oder Kitsch?

Wenn eine Form der Kultur, die aus dem ‚Volk‘ oder der ‚Heimat‘ kommt, abgewertet wird, geschieht dies auffallend oft anhand des Kitschbegriffs. Es handelt sich dabei um einen Begriff, zu dem den meisten Menschen spontan ein Beispiel einfällt, weil er allgemein einfach das Gegenteil von Kunst bezeichnet und somit ausgehend vom eigenen Kunstgeschmack geäußert werden kann. Darüber hinaus fällt es den Befragten meist schwer, eine eindeutige Definition des Begriffs zu geben. Oftmals werden dann verschiedene negative Charakteristika aufgelistet, die nicht unbedingt in direkter Beziehung zueinander stehen. Es kann, um mit Henryk M. Broder zu sprechen, der Eindruck entstehen, dass „Kitsch die Griffigkeit einer Qualle, die Spannweite eines Regenbogens und die Eindeutigkeit eines Horoskop-Spruches“ hat.
Doch ganz aussichtslos ist die Lage nicht, da man mit dem Unoriginellen, dem Unwahren und der übertriebenen Sentimentalität Hauptmerkmale benennen kann, die in vielen Kitsch-konzeptionen wichtig sind. Ausgehend von ihnen lässt sich zur Ausgangsfrage zurückkehren. Der Volkskunst wird im Allgemeinen zugeschrieben, besonders wahrer Ausdruck alltäglicher Kultur zu sein. Gibt ein Werk vor, so zu sein wie ein anderes, ohne dessen kulturgeschichtlichen Entstehungsbedingungen zu teilen, liegt die Bewertung als Kitsch nahe. Der zeitweise angestrebte Neubau der „Burg Rothberg“, der die Burgen des Mittelalters nachahmen sollte‚ hätte sich beispielsweise nur dann vom Kitschvorwurf freisprechen können, wenn er sein Unechtsein eindeutig herausgestellt hätte. Für besondere Empörung hatte der Umstand gesorgt, dass dieser Imitation zudem noch eine handfeste Gewinnabsicht zu Grunde lag. Im Falle der Volkskunst ist die Empörung gegenüber der Imitation meist deshalb besonders groß, weil das Imitierte vermeintlich besonders wahr ist.
Neben den Merkmalen des Unoriginellen und Unwahren begünstigt die unumstößliche Verbindung, die Volkskunst zur Heimat – und damit zu einem oftmals sehr emotionalen Thema – hat, das Äußern der Kitschbewertung. Weint zum Beispiel jemand beim Ansehen eines Heimatfilms oder beim Anhören eines Volksmusikstücks hemmungslos, so macht er sich verdächtig, selbst dem Kitsch nahe zu stehen. Hieran zeigt sich deutlich, dass der wertende Begriff also nicht nur auf die Kunstschaffenden, sondern eben auch auf deren Publikum abzielen kann. Insofern weist er vielerlei Anknüpfungspunkte zum Umgang mit Volkskunst auf. Ausgehend von den aufgezeigten Verbindungslinien lässt sich also schon sagen, dass die Häufigkeit, in der der Kitschbegriff im Kontext der Volkskunst genutzt wird, nicht nur Zufall ist und mit der inhaltlichen Beschaffenheit der Volkskunst oft einhergeht.
LS
Heidelbeerwein – eine vergessene bayerische Spezialität

Im Landkreis Landshut spricht man überwiegend von den „Aiglbial“, in den Landkreisen Straubing-Bogen und Regen von den „Ha(o)ibal“ oder „Ha(o)iwal“ und in den Landkreisen Rottal-Inn und Passau von den „Hoabal“ oder „Hoawal“. In den Landkreisen Kelheim und Freyung-Grafenau kommt neben „Hoabal“ und „Ha(o)ibal“ jeweils in den nordwestlichsten und nordöstlichsten Gebieten noch der Begriff „Schwarzbial“ dazu. Unabhängig davon, wie sie genannt werden, erfreuen sich Heidelbeeren nach wie vor hoher Wertschätzung. In botanischer Hinsicht lässt sich zwischen heimischen Heidelbeeren und auf amerikanischer Genetik beruhenden Kulturheidelbeeren unterscheiden. Die heimischen Wildheidelbeeren haben gänzlich dunkel gefärbtes Fruchtfleisch, kleinere Früchte und schmecken intensiver als Kulturheidelbeeren. Im Handel werden fast ausschließlich letztere zum Kauf angeboten.
Da Heidelbeeren sehr gut auf dem sauren Boden der hiesigen Wälder wachsen, könnte man einfach ausschwärmen, suchen und die Körbe voll machen. Viele Menschen schrecken hiervor aber zurück, weil sie Angst vor dem Fuchsbandwurm oder der radioaktiven Verstrahlung seit dem Reaktorunglück in Tschernobyl haben. Das ist schade, weil sich besagter Wurm durch das Erhitzen während der Saft- oder Marmeladenherstellung leicht abtöten lässt und laut Bundesumweltministerium bei normalen Verzehrmengen keine gesundheitliche Gefährdung durch die Radioaktivität zu befürchten ist.
Weitaus fleißiger gesammelt wurde noch gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In der Oberpfalz sorgten die Heidelbeeren zu diesen Zeiten sogar für ökonomischen Aufschwung: Der im niederbayerischen Auerbach geborene Dr. Adolf Pfannenstiel arbeitete in Regenstauf als Apotheker und begann 1878 mit der Produktion von Heidelbeerwein unter dem Markennamen D’ Schwarzbeer Resl. Das Etikett von Pfannenstiels damaligem Produkt, das eine glückliche Heidelbeer-Sammlerin mit prall gefülltem Korb zeigt, verklärt die Wirklichkeit. Die sogenannten „Beerenweiberl“ waren in früheren Zeiten nämlich oftmals arme Frauen, die sich durch das Sammeln und anschließende Hausierengehen Geld dazuverdienen wollten. Dr. Pfannenstiel war mit seinem Heidelbeerwein so erfolgreich, dass er den Einwohnern der Umgebung einen lohnenden Nebenverdienst schuf und die Produktion 1885 in eine große Fabrikhalle verlegen musste. Seinem Vorbild folgend sollen in dieser Zeit mehrere hundert Heidelbeer-Keltereien neu entstanden sein. Dass Heidelbeerwein auch im Privaten erzeugt wurde, belegt der Roman Herbstmilch der niederbayerischen Bäuerin Anna Wimschneider. Sie berichtet, dass Sekt und Wein bei ihr Zuhause unbekannt waren, ihre Tante jedoch Heidelbeerwein hergestellt hat.
Vielleicht haben ja auch Sie schon einmal einen Heidelbeerwein getrunken, ohne sich dessen bewusst zu sein: Manche Besitzer von Glühweinständen auf regionalen Christkindlmärkten ziehen den Heidelbeerwein nämlich dem sonst üblichen Rotwein vor.
LS
Tracht im Wandel

Tracht bedeutete lange Zeit nichts anderes als Kostüm oder Kleidung. Das änderte sich im Lauf des 19. Jahrhunderts. Der bunte Festtagsstaat der ländlichen Oberschichten geriet zunehmend in den Blick von Bürgertum und Obrigkeit. Die Landbevölkerung wurde nicht länger mehr als tölpelhaft, rückständig und altmodisch gekleidet verachtet wie ehedem, sondern samt ihrer Kultur zum Inbegriff von Natürlichkeit stilisiert. Dies war die bürgerliche Antwort auf die fortschreitende „Verstädterung“ im aufblühenden Industriezeitalter.
Maler bereisten jetzt das Land und fertigten Genrebilder mit pittoresken Trachtenpaaren für Salons und biedermeierliche Wohnzimmer. Die romantische Vorstellung von den bäuerlichen Trachten als unveränderliche, den städtischen Moden trotzende Lokaluniformen verfestigte sich. Nicht zuletzt auch, weil die hübschen Bilder der späteren Trachtenpflege zur Inspiration und als Quellen dienten. Bis heute kann mit Trachten der Wunsch nach regionaler Identität zum Ausdruck gebracht und erfüllt werden.
Auch die Obrigkeit trug zum bayerischen Trachtenkult bei. Weil es dem jungen Königreich Bayern mit seinen neuen Landesteilen an „Nationalbewusstsein“ mangelte, sollten kulturpolitische Maßnahmen der Wittelsbacher Monarchen abhelfen. Anlässlich der Vermählung des Kronprinzen Ludwig mit Therese von Sachsen-Hildburghausen veranstaltete man am Namenstag von König Max I. im Jahr 1810 ein „Nationalfest“ mit Pferderennen und huldigenden Kinder-Trachtenpaaren aus allen bayerischen Kreisen. Dieses erste „Oktoberfest“ erfreute Herrscherhaus und Landeskinder gleichermaßen. Auf ihm gründen alle weiteren Volksfestkonzepte mit Trachtenumzügen, Blasmusik, Verköstigung, Vergnügungen, landwirtschaftlichen Leistungswettbewerben, Vieh-, Geräte- und Maschinenausstellungen. Erste Ableger gab es im Unterdonaukreis, dem heutigen Regierungsbezirk Niederbayern, bereits ab 1812 in Straubing, 1814 in Passau und später auch in Landshut.
Die Pflege der Volkskultur zählte insbesondere bei König Max II. zum innenpolitischen Programm. Bereits als Kronprinz ließ er Landeskunde und Volksleben erforschen. Die Ergebnisse erschienen ab 1860 im Monumentalwerk „Bavaria“. Mit einem „Trachtenerlass“ versuchte er sich ab der Jahrhundertmitte an der „Hebung bayerischen Nationalgefühls“. Seine Berater hatten deshalb über geeignete Maßnahmen zur Erhaltung und Belebung der Landestrachten zu sinnieren. Davon war allerdings eine zunehmend liberale Bevölkerung schwer zu überzeugen. Sie kleidete sich lieber modisch und bevorzugte industriell gefertigte Stoffe. Hier sollte schließlich eine ideologisch-emotionale Überhöhung Abhilfe schaffen: Trachtentragen wurde zum „Heimat-Bekenntnis“ umgedeutet, das Pfarrer und Lehrer als erzieherische Autoritäten dem Volk einzupflanzen suchten. Im 19./20. Jahrhundert ist dieses Gedankengut vor allem bei der bayerischen Trachtenbewegung auf fruchtbaren Boden gefallen. „Treu der Sitt, treu der Tracht“ hält man beherzt am Bekenntnis fest. Die postmoderne Gesellschaft legt indes einen spielerischen Umgang mit Trachten und deren Moden an den Tag.
MS
Bild: Toni Scholz
Nicht nur Hape war mal weg

Er hatte einen Hörsturz erlitten, musste sich außerdem einer Operation unterziehen und steckte in einer Lebenskrise. Dies bewog den Entertainer Hape Kerkeling, sich auf eine Pilgerreise zu begeben und 2001 den berühmten „Jakobsweg“ nach Santiago de Compostela zu gehen. 2006 erschien sein „Reisebericht“ als Buch mit dem Titel „Ich bin dann mal weg – Meine Reise auf dem Jakobsweg“. Darin plaudert der berühmte Jakobspilger über die physischen und psychischen Anstrengungen seiner Unternehmung.
Gleich Tausenden von Pilgern war auch Hape Kerkelings Weg eine spirituelle Herausforderung auf der Suche nach dem Göttlichen und eine Reise zu sich selbst, wie er 2006 in einem Spiegel-Interview erklärte. Nur: die allermeisten Menschen veröffentlichen ihre Eindrücke nicht. Wenn doch, erfahren sie kaum Medienresonanz und öffentliche Aufmerksamkeit. Kerkelings Buch führte fast zwei Jahre lang die Bestsellerliste an. Es wurde über vier Millionen Mal verkauft. Damit avancierte es zu einem der erfolgreichsten deutschen Sachbücher überhaupt. Kerkelings Popularität kann aber nicht der alleinige Grund für diesen publizistischen Erfolg gewesen sein. Er liegt auch im Thema selbst begründet. Unzählige Menschen sind spirituell unterwegs. Sie suchen nach Strategien zur Bewältigung jener Herausforderungen, die das Leben an jeden von uns stellt. Von einem erfolgreichen Sympathieträger, der weder von einer Glaubensinstitution vereinnahmt noch politisch verschlissen ist, auf unkonventionelle, vielleicht einfache Weise eine Antwort auf die Sinnfrage des Lebens zu erhalten, weckt Hoffnungen. Weil sich diese jedoch nicht in der Alltagshektik erfüllen, braucht es dazu Auszeiten, sei es in Form anregender Lektüre oder einer Selbsterfahrung, zu der sich Suchende auf den Weg machen.
Laut Wikipedia war nach Hape Kerkelings Veröffentlichung die Zahl deutscher Jakobspilger im Jahr 2007 um 71 Prozent, im darauffolgenden Jahr um 14, dann ab 2009 mit mehr als neun Prozent noch überdurchschnittlich angestiegen. Solche Hochphasen gab es in der Geschichte vieler Pilger- und Wallfahrtsorte immer wieder zu verzeichnen, auch länger anhaltende. Auslöser waren dann aber aufsehenerregende Berichte von wundersamen Ereignissen, welche die Runde machten. Dass ein Entertainer einen derartigen Impuls gibt, wenngleich nur kurzfristig, ist bisher einmalig und die Folge einer gut gemachten Werbekampagne. Doch ungeachtet dessen und abseits des „Mainstreams“ bietet die jahrhundertelange Kontinuität zahlreicher „heiliger Stätten“ reichlich Stoff für interessante Geschichten. Das zeigt nicht zuletzt die Flut von Büchern, Dokumentationen sowie Spielfilmen. Pilgerreisen und -orte haben auch in der Moderne nichts von ihrer Attraktivität verloren, denn die Sehnsüchte und Anliegen der Menschen sind vielfach dieselben geblieben. Ein Hape Kerkeling unterscheidet sich darin nicht von einem Lieschen Müller oder Otto Normalverbraucher.
MS
Wenn der liebe Gott ein Bayer wär‘

Wie sähe die Welt aus, wenn der liebe Gott ein Bayer wäre? Ganz gewiss wäre dann vieles anders gelaufen. So vermessen ist der Gedanke gar nicht. Andere Völker haben ähnliche Überlegungen angestellt, indem sie den lieben Gott zum Landsmann gemacht haben.
Da heißt es zum Beispiel: einer lebe „wie der Herrgott in Frankreich“. Warum sollte dem lieben Gott ausgerechnet Frankreich gefallen? Wegen der guten französischen Küche? Kaum. Ihm reicht das Abendmahl. Und Gott sich in Paris wohl fühlen zu lassen, erscheint mir doch ein wenig gotteslästerlich. Warum sagt man nicht: einer fühlt sich wohl wie der Herrgott in Bayern? Bei uns ist alles solider: Mehr Klöster, mehr Kirchen, mehr Kruzifixe. Und neben dem sündigen Nachtleben von Paris ist das Nachtleben der bayerischen Hauptstadt die reinste Wallfahrt. Die Amerikaner sagen, ihr Land sei „Gottes eigenes Land“. Wenn das für Trumps Vereinigte Staaten von Amerika gilt, dann gilt das für das Bayernland wohl tausendfach mehr. Keine Schule, kein Amt und kein Gasthaus, in dem nicht ein Marterl hängt, kein Landkreis ohne Kloster, kein Dorf ohne Kirchturm.
Die Brasilianer behaupten gar „Gott selber sei Brasilianer“. So anspruchsvoll sind wir nicht. Der Herrgott in Lederhosen mit Gamsbart am Hut, das beanspruchen wir nicht. Aber es gibt schon Leute in unserem Land, die sich vorstellen können, dass der Liebe Gott ein wenig so ausschaut wie der Franz Josef Strauss.
Und wenn so mancher Bayer das Zeug zum lieben Gott hat, warum sollte umgekehrt der Liebe Gott nicht etwelches Talent zum Bayern haben? Wobei wir natürlich an den Allmächtigen denken, und nicht an das kleine uneheliche Kind, das im Stall geboren wurde. Wenn schon der Liebe Gott, dann das gestandene Mannsbild, das uns sagt, wo es lang geht, und das, wenn es sein muss, auch mal mit der Faust auf den Tisch haut.
Fest steht jedoch, wenn der Herr einer von uns gewesen wäre, so hätte er seinen Sohn in Bayern das Licht der Welt erblicken lassen. Wie viel mehr Frieden herrschte auf Erden wäre das Christkind in einem Stall in Altötting auf die Welt gekommen – und nicht da unten bei den Palästinensern, Terroristen und Ungläubigen
Als Bayer hätte sich der Herr auch nicht so beeilt. Er hätte sich mehr Zeit mit der Schöpfung gelassen. Dass die Welt zu früh und nicht zum richtigen Zeitpunkt erschaffen wurde, erkennt man an Adam und Eva. Kaum waren sie da, da musste man sie wieder vertreiben. Kaum hatten sie Kinder, brachte der eine Bub den anderen um. Das waren noch keine Bayern. Das waren erst Preußen. Er hätte halt noch ein wenig warten sollen. Aber etwas vom Bayern hat er schon, der Liebe Gott. Als er die Welt erschaffen hatte, sah er an, was er gemacht hatte, und siehe, es war gut. Ein typisch bayerischer Charakterzug. Wenn wir etwas machen, BMWs, Weißbier oder Leberkas, schauen wir es an, und siehe da, es ist gut. Denn es gibt nichts Besseres wie was Gutes im schönen Bayernland.
EWH
Völkerverständigung statt Abgrenzung: Der Donaulimes heute

Grenzen teilen, Grenzen trennen, Grenzen markieren ein „Bis hierhin und nicht weiter“. Grenzen können aus Zäunen bestehen, aus Bergen, aus Wehranlagen, aus Wasser oder auch gar nicht sichtbar sein. Glücklicherweise sind wir heute von deutlich weniger Grenzen umgeben – der Eiserne Vorhang ist Geschichte, das world wide web verbindet uns über jegliche Schranken hinweg. Trotzdem begleiten uns Grenzen, die wir aber als solche gar nicht mehr wahrnehmen – in Bayern zum Beispiel die Donau. Sie erinnert uns an den Verlauf der Grenzen des Römischen Reichs und ist sozusagen ein natürliches Museum unserer Geschichte. Denn anhand des Donaulimes lässt sich die Entwicklung der Römischen Grenzverteidigung nachvollziehen: von der Einrichtung einer ersten linearen Grenzsicherung an der Donau um 40 n. Chr. bis zur Absetzung des letzten weströmischen Kaisers im Jahr 476 nach Christus, nach der die Soldaten ihren Dienst für Rom quittierten.
Glücklicherweise können wir heute mit dem sogenannten Donaulimes mehr für die Völkerverständigung tun, als an Abgrenzung zu denken. Denn gemeinsam mit Österreich, Ungarn und der Slowakei hat Bayern – der deutsche Abschnitt liegt nur im Freistaat – den Donaulimes als UNESCO-Welterbestätte nominiert. Bei einer erfolgreichen Nominierung wäre der Donau-Limes die erste Welterbestätte, deren deutscher Anteil überwiegend in Niederbayern liegt. Mit einer Entscheidung kann im nächsten Jahr gerechnet werden. Wir dürfen also gespannt sein!
Die Grenzverteidigung zur Zeit des Römischen Reiches ist ein Paradebeispiel für eine symbolische Abgrenzung nach außen: Vom Hadrianswall in Großbritannien über den Obergermanisch-Raetischen Limes in Deutschland bis zum Donaulimes galt es, eine Trennung zwischen Imperium und den umliegenden Territorien sichtbar zu machen und den grenzüberschreitenden Verkehr zu kontrollieren.
Heute, rund 2000 Jahre später, stehen wir vor einer ganz anderen Situation: Aus den ehemaligen Grenzen des Römischen Reichs ist ein völkerverbindendes Element geworden. Mehrere europäische Länder ziehen gemeinsam an einem Strang, um einen fast 1000 Kilometer langen Abschnitt an der Donau mit 164 Arealen an 98 Standorten zu einem grenzüberschreitenden Kulturdenkmal weiterzuentwickeln. Damit vertiefen wir nicht nur die guten nachbarschaftlichen Beziehungen untereinander, sondern stärken den europäischen Einigungsprozess insgesamt!
Vor diesem Hintergrund hat der Donaulimes eine beeindruckende Wandlung hinter sich: von der einstigen Barriere hin zu einer Brücke, die uns und unsere gemeinsamen Anstrengungen für eine gute Zukunft miteinander verbindet.
BS
Bild: Kleinkastell Frauenberg bei Weltenburg – Klaus Leidorf
Alles eine Frage des Stils?

Vor 250 Jahren starb mit Johann Joachim Winckelmann (1717-1768) ein Wegbereiter der Kunstgeschichte und Archäologie, der bis heute unser Kunstverständnis prägt. Er erkannte als erster, dass der Stil, der sich in der Gestaltungsweise zum Beispiel einer Bildhauerarbeit niederschlägt, verrät, ob ein Werk zur gleichen Zeit entstand, jünger oder älter ist als ein zu Vergleichendes – der Traum jedes Kunstgeschichts-Erstsemesters: klar abgrenzbare Epochen, eine überschaubare Systematik und schnelle Erfolge in der Zuordnung zu Entstehungsorten und -zeiträumen. Freilich, im Laufe der Zeit offenbaren sich die Tücken dieser Vereinfachung. Viele von Winckelmanns Ansichten sind heute widerlegt. Zahlreiche Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass auch die vergangenen Jahrhunderte ein fröhliches Neben- und Durcheinander von Stilen und Moden kannten. Doch die Erkenntnis, dass auch die Kunst eine Geschichte hat und dass Kunstwerke Auskunft geben können über Geisteshaltung, Vorlieben und kulturelle Eigenheiten einer vergangenen Gesellschaft begründete letztlich die moderne Bildwissenschaft.
Dabei war Winckelmann selbst weniger Formalist als Ästhet. Übersättigt von Formenpracht und Farbenspiel der Barockzeit versuchte er einen neuen ästhetischen Maßstab für die Kunst seiner eigenen Zeit aufzustellen. Als Idealbild galt ihm die griechische Antike und die ihr zugeschriebene „edle Einfalt und stille Größe“ – darin lag nach Winckelmanns Vorstellung die Vollendung wahrhaft künstlerischen Schaffens.
Und heute? Wohin man blickt eine noch nie dagewesene Vielfalt an Formen, Farben, Stilen und Richtungen – von den klassischen Disziplinen Architektur, Malerei und Bildhauerei über Druckgraphik und Fotokunst hin zu Multimedia-Installationen, Performances und Konzeptkunst. Die Kunst tobt sich aus, feiert sich selbst. Kaum eine Stadt – und sei sie auch noch so klein – kommt aus ohne Kunstsymposium, Galerie, Skulpturenpark, Kunstbi- und -triennalen, …
Der Zugang zu bildender Kunst ist heute leichter und dadurch schwerer denn je. Der didaktisch aufbereiteten Kunst im Museum steht eine Vielzahl von Ausstellungs- und Aktionsräumen, auch im öffentlichen Raum, gegenüber, die zwar Schwellenängste nehmen können, oft aber auch allein lassen mit der Frage „Ist das Kunst, oder kann das weg?“
Einen ersten Schritt aus diesem Dilemma kann der direkte Kontakt mit Kunstschaffenden sein, zum Beispiel bei einem der zahlreichen Symposien zu Kunst im öffentlichen Raum, die in der Regel ebendort stattfinden und die Möglichkeit bieten, den Schaffensprozess zu begleiten und mit dem Kopf auch die Idee dahinter kennen zu lernen; oder beim „Tag des offenen Ateliers“, den das Kulturreferat des Bezirks Niederbayern alle zwei Jahre veranstaltet. Nur Mut – Hingehen und Hinschauen lohnt sich!
CLL