Lesung in der Artothek Niederbayern

Ende November hat die Artothek Niederbayern eröffnet. Dort wird die Kunstsammlung des Bezirks Niederbayern aufbewahrt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Kunstwerke verschiedener Gattungen (Malerei, Skulptur, Grafik) können hier kostenfrei ausgeliehen werden. Darüber hinaus gibt es regelmäßig Veranstaltungen. Etwa am Freitag den 10. Januar 2025 um 18:30 Uhr: Dieter Lohr stellt seinen Roman „Ohne Titel. Aquarell auf Karton. Unsigniert“ zusammen mit seiner Regensburger Schriftstellerkollegin Angela Kreuz in einer szenischen Lesung vor.

Dieter Lohr ist Schriftsteller, Hörspielautor, Hörbuch-Verleger und Dozent für Medienwissenschaft sowie Deutsch als Fremdsprache. Er studierte Neuere Deutsche Literatur, Philosophie und Politikwissenschaft an der Universität Konstanz und jobbte während seines Studiums unter anderem als Journalist, Reiseführer und seit seinem Zivildienst etliche Semesterferien lang immer mal wieder in der Psychiatrie. Seine erste Buchpublikation, die Reiseerzählung „Der Chinesische Sommer“ erschien 1999, es folgten drei Erzählbände und zwei Romane. Dieter Lohr erhielt für sein schriftstellerisches Schaffen zahlreiche Preise und Stipendien. Er lebt, schreibt und arbeitet in Regensburg.

Sein Roman handelt vom Leben des Künstlers Alfred Seidl (1893-1960), der in den 1930er Jahre in der Psychatrie der Regensburger Heil- und Pflegeanstalt Karthaus-Prüll untergebracht war. Sein Bruder Florian (1893-1972), ein gefeierter Nazi-Schriftsteller, rettet ihn schließlich trotz seiner „rassenhygienischen“ Gesinnung gegen Ende des „Dritten Reichs“ in letzter Minute vor dem Abtransport in eine „Tötungsanstalt“. Der Roman besteht zum Teil aus Zitaten und Textpassagen von Künstlern, Ärzten, Theologen, Politikern und Schriftstellern, aus teils fiktiven, teils realen Briefen und Tagebucheinträgen. Auch Alfreds innere Stimme − „Vincent“ − lenkt das Geschehen. Richtig sicher kann man sich nie sein, was real, was erfunden ist. So, wie man auch bei einem Kunstwerk nur dann genau weiß, ob es echt ist oder nicht, wenn man es selbst geschaffen hat. Oder gefälscht. Und selbst dann nicht immer.

„Es wird scho gleih dumper“ – Wie macht man aus einem Marienlied ein Weihnachtslied?

Das Weihnachtslied „Es wird scho glei dumpa“ ist eines der beliebtesten Weihnachtslieder. Dabei ist das Lied gar nicht so alt. Den Text hat, wie der österreichische Heimatforscher Alfred Herrmüller vor kurzem herausgefunden hat, der katholische Pfarrer Anton Reidinger (1839-1912) vor genau 140 Jahren, im Jahr 1884 verfasst. Was die Musik angeht, hat er auf ein altes Kirchenlied zurückgegriffen. Dass man einem Lied einen neuen Text verpasst, ist eine gängige Praxis. Das gleiche ist zum Beispiel bei „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ und „Zu Bethlehem geboren“ passiert. „Es wird scho glei dumpa“ ist für Aufführungen des traditionellen Krippenspiels im Salzburger Land gedacht, um dessen Wiederbelebung sich Reidinger bemüht hat.

Die Melodie, die er verwendet, ist die des schlichten Marienlieds „Maria zu lieben, ist allzeit mein Sinn“, das erstmals Mitte des 18. Jahrhunderts in Gesangbüchern erscheint. Das Lied ist für den Gemeindegesang extra leicht und schlicht gesetzt. Und das hat auch seinen Sinn, denn in diesem Lied geht es nicht so sehr um die Melodie, sondern um den Text: Die Melodie spielt hier nicht die Hauptrolle, sondern der Lobpreis Mariens. Wie man am Notenbeispiel ganz leicht erkennen kann, ändert Reidinger nichts an dem harmonischen Fundament, das sich auf die erste und die fünfte Stufe beschränkt. Aber er verändert die Melodie, denn aus dem Kirchenlied, bei dem der Subtext, die Marienverehrung, im Zentrum steht, muss ja ein volkstümliches Wiegenlied bzw. Hirtenlied werden, bei dem anders als beim Marienlied die Melodie und nicht so sehr der Text eine wichtigere Rolle spielt.

Im Marienlied bildet das Wort „allzeit“ bzw. „Diener“ auf dem Spitzenton d‘‘ den Höhepunkt des ersten Verses. Die Schlüsselworte „Maria“, „lieben“, „allzeit“ und „Sinn“ stehen immer am Taktanfang und auch das hat seinen Sinn, denn im Dreivierteltakt ist, was das Metrum angeht, der erst Schlag der gewichtigste. Die Symmetrie des Marienlieds aber opfert Reidinger – zurecht, denn sein Text ist profaner, nicht schlicht, sondern, zumindest am Anfang, simpel. Also muss die Melodie reizvoller werden. Und deswegen führt Reidinger zum Beispiel gleich in Takt zwei einen punktierten Terzsprung ein. Warum? Im Marienlied ist beim Schlüsselwort „lieben“ keine melodisch auffallende Verzierung angebracht, die den Text stört. Im Wiegenlied der Hirten hingegen fällt das Schlüsselwort weg und eine Repetition wie im Original wäre einfach langweilig, weil der Subtext fehlt. In Reidingers Vorlage kommen Intervallsprünge (bis auf den Quartsprung zu Anfang und den absteigenden Terzgang in Takt drei) erst im bewegteren Mittelteil vor. Im Marienlied ist das ein sanftes Stilmittel, um wenigstens einen kleinen Kontrast zur Schlichtheit des Anfangsverses zu bilden. Dieser sanfte Kontrast fällt nun weg, weil Reidinger bereits den Anfangsvers melodisch bereichert hat und den Mittelteil ohne Änderungen übernimmt. Auch die Wiederkehr des Anfangs übernimmt er, fügt jedoch einen völlig neuen Schlussteil mit dem Text „hei, hei, hei, schlaf süß du schön’s Kind“ hinzu. Dass diese Coda nötig ist, liegt an Reidingers Änderung in Takt drei: Hier hat er statt der vom Spitzenton absteigenden Bewegung des Originals, der eine natürliche Schlusswirkung innewohnt, auf Zählzeit eins und zwei den Ton c‘‘ wiederholt, eine Konsequenz aus der Änderung im Takt davor, denn Reidinger hat das Potential des Spitzentons bereits in Takt zwei verschenkt und kann ihn aus dramaturgischen Gründen in Takt drei nicht noch einmal bringen. Weil also die natürliche Schlusswirkung des dritten Taktes nicht mehr funktioniert, hat sich Reidinger einen Schluss, mit aufgeregt hin- und herspringenden Quint- und Terzsprüngen, ausgedacht, die gar nicht zur mehr linearen Bewegungsweise des Lieds passen.

Hat Reidinger nun das Original verpfuscht? Nein, denn die Intention beider Lieder ist völlig unterschiedlich: Das Original ist ein in seiner Schlichtheit rührendes Marienlied, und Reidingers Bearbeitung ein leutseliges, etwas aufgezäumtes Wiegenlied für ein Krippenspiel. Dieser kleine Beitrag soll Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, auch gar nicht das zu Recht beliebte Weihnachtslied vermiesen, sondern nur darauf hinweisen, wie schwer es doch ist, für eine Melodie einen anderen Text zu finden, denn Text und Melodie sind enger verbunden als man meint.

Foto: Alfred Herrmüller
Christoph Goldstein

Gerhard Michel – Maler seit 101 Jahren. Teil 2 Nachkriegsjahre

Kulturheimat: Sie haben dann direkt nach dem Krieg in der Nord- und Ostsee Minen geräumt.

Michel: Wir wurden mit pinkfarbenem Bestatzungsgeld dafür bezahlt. Ich habe damals 3200 Mark bekommen. Man konnte aber nicht viel damit anfangen. Unsere Boote mussten wir dann in Swinemünde an die Russen übergeben. Eine englische Fregatte war dabei, die gewartet hat, bis der letzte Mann von den Russen freigelassen wurde. Aber das war ein Problem, weil die Russen mit unseren Booten nicht umgehen konnten. Sie haben dann noch im Hafen zwei Boote kaputtgefahren und wollten den Kommandanten die Schuld geben und sie verhaften. Die Engländer aber haben darauf bestanden, dass auch der letzte Mann von Bord ging.

Kulturheimat: Und nun?

Michel: Ich hatte überhaupt keine Möglichkeit mit meiner Familie in Verbindung zu treten. Ich wusste, dass die Deutschen vertrieben worden sind, aber ich hatte keine Ahnung wo meine Familie war. Ich bin dann von einer Kieler Familie aufgenommen worden. Und dann habe ich halt gewartet. Meine damalige Verlobte hatte eine Bekannte in Dillingen und ich habe dann an den Bürgermeister geschrieben, ob die Familie dort gemeldet sei und habe ich im Januar 1946 die Mitteilung bekommen, die Familie sei dort. Dann habe ich mein gastliches Haus in Kiel verlassen und bin nach Dillingen gegangen. In Dillingen habe ich mich an der Philosophisch-theologischen Hochschule eingeschrieben, aber da hat mir wieder das Latein gefehlt. Eines Tages kam einmal einer meiner Mitstudenten und sagte: „Du, beim Finanzamt stellen sie Leute ein. Voraussetzung Abitur für den gehobenen Dienst. Gehen wir mal rüber!“ Und dann sind wir da rübergegangen und haben uns beim Amtsvorsteher vorgestellt. Einige Tage später habe ich einen Brief bekommen, von der Oberfinanzdirektion in München, ich soll mich dort vorstellen. Typisch für die Finanzverwaltung war der Satz: „Fahrtkosten können nicht erstattet werden.“ Ja dann habe ich mich dort bei dem Finanzpräsidenten vorgestellt, Dr. Maier hieß er, und bin dann in Dillingen eingestellt worden. Aber leider hatte Dillingen für meine Gesundheit Nachteile: Da war der Flussnebel der Donau, es gab Föhn und keinen Wald. Und ich hatte mir offensichtlich eine Infektion in Norwegen zugezogen und malariaähnliche Anfälle. Mein Hausarzt hat dann gesagt, „Sie werden nie gesund hier, Sie müssen weg. Viel Wald, kein Flussnebel, kein Föhn.“ „Ja wohin?“, sagte ich. „Für Sie wäre das einzig mögliche der Bayerische Wald.“ Da habe ich gesagt: „Der Bayerische Wald? Ja wo ist der?“ Den habe ich dann auf der Landkarte gesucht. So bin ich also mit dem ärztlichen Zeugnis und meinem Versetzungsgesuch nach München gefahren und bin dort von dem Personalreferenten ungnädigst empfangen worden: „Kaum in die Verwaltung eingetreten, schon versetzt werden wollen.“ Und so weiter. Dann schob ich ihm also das ärztliche Zeugnis und mein Versetzungsgesuch hin und dann las er Bayerischer Wald, wo man damals keinen Menschen hingebracht hat. Und auf einmal rief er ganz begeistert: „Herr Michel, nehmen Sie Platz! Wo wollen Sie hin?“ Damals hatte der Bayerische Wald fünf Ämter: Kötzting, Viechtach, Zwiesel, Schönberg, Freyung. Ich hatte mir vorher von einem Bekannten eine Ansichtskarte von Freyung schicken lassen. Die war so trostlos, dass ich gesagt habe, nach Freyung gehe ich auf gar keinen Fall. Daraufhin hat eine Buchhalterin in Dillingen gesagt, ich solle unbedingt nach Schönberg gehen, da sei ein ganz netter Amtsvorsteher. Schönberg war das einzige Amt wo keine Bahnverbindung war. Und als es dann hieß, „Sie dürfen sich aussuchen, wo Sie hinwollen“, dann habe ich gesagt: „Nach Schönberg!“ Der Personalreferent hat seine Sekretärin angeguckt und gesagt: „Der ist verrückt.“ Und so bin ich im Januar 1950 nach Schönberg gekommen. Es war eine derartig herzliche Sache hier. Alle waren fürchterlich nett und entgegenkommend zu mir. Ich habe mich sofort wie zu Hause gefühlt und habe mir gesagt, hier möchte ich bleiben, hier möchte ich mein Leben verbringen. Nach 25 Jahren hatten wir einmal eine Zusammenkunft der alten Schönberger Finanzbeamten. Ich habe erzählt, wie nett sie alle damals zu mir waren, aber dann hat eine langjährige Mitarbeiterin gesagt: „Es war so: Der Chef hat uns einen Tag bevor Sie gekommen sind zusammengeholt und gesagt: „Also wir kriegen jetzt einen Neuen, der ist schwerkrank. Seid recht nett zu ihm, denn der lebt nicht mehr lange.“ Und jetzt habe ich sie alle überlebt. – In Schönberg habe ich also meine Laufbahn als Finanzbeamter begonnen. 1969 habe ich mich als Vorsteher nach Viechtach beworben, habe das Amt Viechtach auch bekommen, das 1980 bei der Gebietsreform aufgelöst und als Außenstelle neu errichtet wurde. Im selben Jahr bin ich in Grafenau Vorsteher geworden. Und dort war ich dann noch sieben Jahre bis zu meiner Pension.

Kulturheimat: Und die Malerei?

Michel: Nun die Malerei hat mich mein ganzes Leben begleitet. Während des Kriegs hat einer meiner Kameraden Aquarellfarben geerbt und die hat er mir gegeben und so habe ich schon in Norwegen angefangen zu malen. Ich muss sagen, ich habe seitdem nicht viel dazugelernt. – Ich habe damals auch schon einigermaßen gemalt. Und auch als ich in Dillingen war, habe ich gemalt. Dann war ein bisschen eine Pause drin, wegen der Anstellungsprüfung bei der Finanzverwaltung, aber danach, wie ich nach Schönberg versetzt wurde, habe ich sofort begonnen, die Landschaft zu malen, die mich sehr an die Heimat erinnert hat. Zuerst habe ich so für mich gearbeitet und allmählich bekam ich Verbindungen mit anderen Malern und bin 1954 zum Berufsverband bildender Künstler nach Regensburg gefahren. Da waren noch strenge Bräuche. Ich musste 30 Arbeiten vorlegen, damit ich aufgenommen wurde. Und so bin ich seit 1954 im Bayerischen Wald auf den Ausstellungen vertreten.

Die Artothek Niederbayern wird eröffnet!

In der Artothek wird die Kunstsammlung des Bezirks Niederbayern aufbewahrt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Kunstwerke verschiedener Gattungen (Malerei, Skulptur, Grafik) können hier ausgeliehen werden. Im Bestand befinden sich derzeit um die 260 Kunstwerke aus den 50er Jahren bis heute von ca. 125 Künstlerinnen und Künstlern. Der Bezirk kauft außerdem laufend weitere Arbeiten hiesiger Künstler an, die fortan von einer wechselnden Jury ausgewählt werden. Die Leihfrist für (maximal 3) Kunstwerke beträgt 6 Monate. Die Ausleihe kann an Bürger Niederbayerns (und – auf Anfrage – angrenzender Bezirke) erfolgen. Und ganz wichtig: Die Leihe ist kostenfrei!

Der Bezirk arbeitet in Sachen Artothek mit verschiedenen Kooperationspartnern zusammen, beispielsweise mit der Dr. Franz- und Astrid-Ritterstiftung, die für den Bestand der Artothek ca. 40 Arbeiten beisteuert (und heuer ihr 20-jähriges Jubiläum feiert). In Zukunft sollen Ausstellungen, Workshops, Künstlergespräche- und Feste, Lesungen und musikalische Events die Artothek als einen lebendigen und möglichst barrierefreien Kulturort des Bezirks Niederbayern manifestieren. Dafür soll mit der Bezirksklinik Mainkofen (Fachbereich Kunsttherapie), angrenzenden Gemeinden und Künstlerinitiativen, Kunstvereinen, Museen usw. zusammengearbeitet werden.Für Bau- und Ausstattungskosten war eine Summe in Höhe von 1,180 Mio. Euro veranschlagt worden. Der Kostenrahmen konnte eingehalten werden.

Karl Reidel, Skulptur, „Bar“

Am 23. November wird es von 13 bis 17 Uhr einen Tag der Offenen Tür geben! Alle interessierten Bürger und Bürgerinnen sind herzlich eingeladen, die Artothek zu besichtigen, sich durch den Bestand führen zu lassen und bei einem Glas Punsch und netter Musik inspirierende Gespräche über die Kunst Niederbayerns zu führen. Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

Weitere Informationen finden Sie unter: www.artothek-niederbayern.de

Anette Röhr

 

Klimawandel in Niederbayern (5) Erneuerbare Energien

Die kleine Ortschaft Schatzhofen in der Gemeinde Furth bei Landshut war in den frühen 1980er Jahren eine Hochburg von Solarpionieren, Tüftlern und mutigen Einzelkämpfern auf Lokalebene – ausgelöst durch die „Schatzhofener Solartage“. Und seit 2005 war der Regierungsbezirk Niederbayern auch führend beim großflächigen Ausbau von Solarfeldern. Der größte Vorteil des ländlichen Raumes für eine erfolgreiche Energiewende sind seine verfügbaren Flächen. Denn die Photovoltaik-Felder brauchen mehr Platz als konventionelle Kraftwerke. Allerdings haben wir vergessen, dass bis ins 19. Jahrhundert ein Drittel aller landwirtschaftlichen Flächen für den Haferanbau zur Fütterung der Pferde benötigt wurde. Heute genügen rein rechnerisch für den nötigen Strom ganze zwei bis vier Prozent! Doch noch immer wird vom „Zupflastern“, „Verspargeln“ und der „Verschandelung“ von gewohnten Kulturlandschaften gesprochen – während der Verlust von heimatlichen Landschaften durch neue Verkehrswege, Bau-, Industrie- und Gewerbegebiete fast stillschweigend hingenommen wird. Wo liegt die Lösung? Obwohl zu allererst unser Stromverbrauch drastisch sinken müsste, wird das nicht eintreten. Denn die zunehmende Elektromobilität und der verstärkte Einsatz von Wärmepumpen treibt den Stromverbrauch eher noch in die Höhe. deswegen sollten wir die vorhandenen Dach- und Fassaden-Flächen besser nutzen sowie interkommunal und dezentrale regionale Stromnetze aufbauen. Wie das funktionieren kann, hat die Gemeinde Furth vorgemacht. Jedes Solarfeld kann auch ein Biotop sein. Dies lässt Andreas Engl aus Bodenkirchen auch wissenschaftlich untersuchen. Das allerneueste Zauberwort heißt AGRIVOLTAIK. Auch hier gibt es neben Forschungsanlagen der Fraunhofer Gesellschaft einen Pionier aus der Hallertau: Josef Wimmer baut unter einem 1 ha großen Dach aus PV-Modulen Hopfen an, der so weniger vom Hagelschlag bedroht und vor stärkeren Trockenheiten geschützt ist. Er hat auch errechnet: Wenn alle niederbayerischen Hopfengärten der Hallertau so überdacht wären, könnte man rein rechnerisch das zuletzt abgeschaltete Atomkraftwerk Isar 2 komplett ersetzen.

Helmut Wartner
Fotos: Klaus Leidorf und Helmut Wartner

Gerhard Michel – Maler seit 101 Jahren. Teil 1 Kindheit, Jugend und die hohe See

Gerhard Michel ist einer der erstaunlichsten Menschen die in Niederbayern leben. Im Gespräch kommt es einem vor, als wäre er gerade einmal 80 Jahre alt, so frisch, fröhlich und oft spitzbübisch plaudert er über seine Berufung die Malerei, über sein Leben und längst vergangene Zeiten. Gleichzeitig ist das gesamte Gespräch von einer ruhigen Gelassenheit geprägt, die man wohl, im positivsten Sinne, Altersweisheit nennt. Wir haben Gerhard Michl im August 2024 in seinem Haus in Schönberg getroffen, dem man, kaum überschreitet man die Schwelle, sofort ansieht, dass es das Haus eines Malers ist, denn es gibt fast keine Wand, die nicht ein Bild zieren würde. Im ersten Teil unseres Gesprächs stehen Michels Kindheit und Jugend sowie seine Jahre bei der Marine im Zentrum.

Kulturheimat: Lieber Herr Michel, es freut uns ungemein, dass wir Sie heute hier in Ihrem wunderbaren Haus besuchen dürfen. Erzählen Sie uns doch bitte etwas von Ihrer Kindheit und Jugend. Wie war es in den 1920er und 1930er Jahren aufzuwachsen?

Michel: Ich bin 1923 in Aussig an der Elbe in Nordböhmen geboren. Mein Vater war Baumeister, hatte ein eigenes Baugeschäft gehabt und die beiden Brüder meines Vaters haben die Schreinerei der Großeltern betrieben. Der Großvater, der die Schreinerei begründet hatte, stammte aus dem böhmischen Niederland. Er ist nach Aussig gezogen und hatte dann dort eine Schreinerei mit vielen Gesellen. In seiner Jugend war er viel unterwegs. Bis nach Rumänien ist er damals gekommen. Er hat künstlerische Einlegearbeiten gemacht und wie dann die chemische Fabrik in Aussig gebaut wurde, hat er die Vertäfelung mein Großvater gemacht. Also es ist ein künstlerischer Zug in der Familie gewesen. Der älteste Bruder meines Vaters, der Onkel Franz, der Schreinermeister war, war nebenbei Hobbymaler und er hat unwahrscheinlich viel im böhmischen Mittelgebirge gemalt und da durfte ich als Kind bereits, ich war sehr oft bei ihm, weil er mein Patenonkel war, fest in die Farbe greifen. Und von da an ging es eigentlich los mit der Malerei. Mein Onkel malte das böhmische Mittelgebirge und ich war fasziniert von der Elbe und ihren Schiffen. Das war, ich weiß auch nicht, vielleicht der Jugenddrang zum Wasser. Ich hatte in der Jugend meine Ferien in der Schwimmschule an der Elbe verbracht und dort auch ein Faltboot. Nach der Volksschule habe ich die deutsche Staatsrealschule besucht, nicht zu vergleichen mit der heutigen Realschule, eher mit einem naturwissenschaftlichen Gymnasium. Das führte in sieben Jahren bereits zur Hochschulreife. Und als ich in der fünften Klasse war, kam ja schon der Anschluss Österreichs.

Kulturheimat: Wie war das Verhältnis zu den Tschechen?

Aussig hatte damals 60, 70.000 Einwohner, davon etwa fünf Prozent Tschechen. Das war bis in die 1930er Jahre kein Problem. Ich kann mich nicht erinnern, dass es da Spannungen gab. Das Problem war, dass die Tschechen unter ihrem Präsidenten Masaryk [Tomáš Garrigue Masaryk (1850-1937)] alles tschechisieren wollten und von deutschen Kolonisten gesprochen haben, dabei waren die Mehrheit in der Tschecheslowakei Deutsche. Und dann kam 1933 Hitler in Deutschland an die Macht. Die nationalen Sudetendeutschen waren schon früh bei Hitler und haben versucht ihn als Schutzmacht zu gewinnen, aber er hat sich dafür überhaupt nicht interessiert. Er hat gesagt: „Ihr müsst euch mit den Tschechen vertragen!“ Noch dazu hatten die Tschechen damals eine sehr starke Grenzbefestigung gegen Deutschland aufgebaut, aber nicht zu Österreich hin. Dann kam 1938 der Anschluss Österreichs und auf einmal hat sich Hitler plötzlich für die sudetendeutsche Frage interessiert. 1938 beim Münchner Abkommen saßen die Beteiligten gar nicht mit am Verhandlungstisch. Da waren Frankreich, England, Deutschland, Italien – aber es waren weder Tschechen, noch Sudeten dabei. Die deutschen Truppen, die einmarschiert sind, haben sich gewundert, dass deutsch gesprochen wurde. Die hatten keine Ahnung, wie die politischen und ethnischen Verhältnisse eigentlich waren. Ja und zunächst war da eine Rieseneuphorie. Aber nach vier Monaten bereits, als die Verwaltung nur mit Reichsdeutschen besetzt, wurde folgte die große Enttäuschung. Die Schule auf die ich ging, wurde damals in eine deutsche Oberschule umgewandelt – ohne Latein. Natürlich haben wir uns gefreut, dass wir kein Latein lernen mussten, aber später war das mein großes Handicap, weil für alle Berufe, die ich gern ergriffen hätte ein Latinum vorausgesetzt war.

Kulturheimat: Welche Berufen waren das?

Michel: Ja, Historiker oder Kunsthistoriker.

Kulturheimat: Wie ging es dann weiter?

Michel: Meine Liebe war ja immer schon das Wasser und außerdem war ich ein guter Wintersportler und ich war auch beim deutschen Wintersportverein. Der Verein hatte im Erzgebirge eine Skihütte und dort lag ein Magazin aus, in dem das Schiff Typ A1 abgebildet war. Das war der Typ, den die deutshce Kriegsmarine gebaut hat. Das sogenannte Westentaschenschlachtschiff. Die Deutschen hatten ja nach dem Versailler Vertrag einen kleinen Teil ihrer Flotte behalten, durften aber die Washington-Klasse von 10.000 Tonnen nicht überschreiten. Aber sie haben es trotzdem geschafft, einen Kreuzer mit einer sehr großen Reichweite zu konstruieren. Und eines dieser Schiffe, mit dem Namen Lützow, war in diesem Magazin abgebildet und das hat mich derart begeistert und ich dachte mir, wenn ich zur See fahren könnte, ich würde so gerne auf so einem Schiff fahren. Und das hat sich dann nachher tatsächlich bewahrheitet. 1942 wurden wir sofort eingezogen und ich habe mich freiwillig zur Kriegsmarine gemeldet und bin dann bei der Marine gelandet, und zwar bei den Minenräum- und Suchverbänden. Vier Jahre bin ich dann zur See gefahren: Zwei Jahre Norwegen, ein halbes Jahr Ostsee. Mein erstes Bordkommando hatte ich danach im englischen Kanal auf einem Sperrbrecher [Minensuchboot]. Nach der Kapitulation haben die Engländer gesagt, wir brauchen die deutschen Mienenräumboote, die kennen ihre eigenen Sperren ja am besten und so habe ich mir die Gefangenschaft erspart.

 

Die Farbe Schwarz und ihre wechselvolle Geschichte

Bald ist Allerheiligen und die Menschen kommen auf den Friedhöfen zusammen um der Toten zu gedenken. Dabei tragen sie fast alle schwarze Kleidung. Aber war die Farbe Schwarz schon immer die Farbe des Todes, der Finsternis und der Trauer? War sie nicht. Die Farbe Schwarz hat eine wechselvolle Geschichte und die strikte moralische Unterscheidung von Unterscheidung von Licht und Finsternis, eine Bedeutungsverengung, kam erst durch das Christentum in die Welt.

Im alten Ägypten war sie die Farbe der Fruchtbarkeit. Schwarze Wolken brachten Regen und der der ausnehmend nährstoffreiche schwarze Nilschlamm, der nach den regelmäßigen Überschwemmungen zurückblieb, machte den Ackerbau überhaupt erst möglich. In der Antike war nicht Schwarz, sondern Rot die unheilbringende Farbe, die ein Symbol für Brände, Dürre und unfruchtbaren roten Wüstensand war. Die Römer hatten für die Farbe Schwarz sogar zwei Wörter mir unterschiedlichen Bedeutungen: „niger“ für das glänzende, leuchtende, gute Schwarz und „ater“ für das stumpfe, matte. negative schwarz. Und noch im Althochdeutschen war für die Menschen „blaek“ das leuchtende und „swarz“ das matte Schwarz. Als das Schachspiel aus dem arabisch geprägten Orient in der Spätantike nach Europa kam, standen sich noch weiße und rote Figuren gegenüber. Der durch das Christentum sich wandelnde Begriff von weiß und schwarz, gut und böse, hat sich erst im Mittelalter auch auf den Schachbrettern durchgesetzt. Ein Rest der vorchristlichen Wahrnehmung findet sich auch heute noch, nämlich, dass wir der Ansicht sind, schwarze Zahlen seien besser als rote. Aber so eindeutig ist es mit der Farbe Schwarz dann doch nicht: Auch heute gilt sie als elegante Farbe, die immer passt und jedem steht und auf dem Klavier sind es die schwarzen Tasten, die das Salz in der sonst öden Diatonik der weißen Tasten sind.

Christoph Goldstein

Vor 225 Jahren geboren: Johann Baptist Bernlochner, ein Baumeister, der das Stadtbild Landshuts prägte.

Johann Baptist Bernlochner wurde am 24.10.1799 in Dietramszell bei Miesbach als Sohn eines Maurermeisters geboren. Er besuchte die Zeichen- und Baugewerbeschule in München, wo er 1826 seine Meisterprüfung ablegte. Im selben Jahr heiratete er Maria Theresia, die Tochter des Landshuter Hofmaurermeisters Joseph Hacker. In Folge dieser Heirat erlangte er das Landshuter Bürgerrecht. Als Maurermeister und Bauunternehmer war Bernlochner äußerst umtriebig. Durch seine bis zum Jahr 1868 dauernde Schaffenszeit prägte er mit seinen Bauten bis heute das Landshuter Stadtbild.

Porträtgemälde von Johann Baptist Bernlochner (Museen der Stadt Landshut Inv. Nr. 1601).

Unzählig sind seine in der Stadt errichteten Gebäude sowie die Umbauten, an denen er beteiligt war. Hervorzuheben sind hier die Bauten des ehemaligen Sebaldbräus (Altstadt 94/95), des Altstadthauses Nr. 334, des Dräxlmaierschlösschens auf dem Annaberg und des Ottonianums. Bernlochner erbaute aber auch öffentliche Gebäude im Auftrag des Staates wie das Landgestüt oder die Schwere- Reiter-Kaserne, die sich einst im Osten der Stadt Landshut befunden hatte. Sein berühmtestes Gebäude ist aber der von ihm ab 1839 errichtete „Bernlochner Komplex“, der aus einem Hotel, einem Restaurant mit Tanzsaal, einer Brauerei mit Branntweinbrennerei und einem eigenen Theater bestand. Mit der Errichtung des „Bernlochners“ wurde der Baumeister gleichzeitig zu einem Theaterunternehmer, der damit auch das gesellschaftliche Leben in Landshut prägte. Am Ende seines Lebens geriet Johann Baptist Bernlochner unverschuldet in den Ruin. Er wurde Opfer der sogenannten Kast´schen Gant, der Insolvenz des bayernweit bedeutenden Leihhausbesitzers Johann Kast. Bernlochner hatte ihm, wie viele andere auch, Geld zur Anlage überlassen. Der Baumeister musste seinen Ruin jedoch nicht mehr erleben, denn er starb am 8. November 1869 an einem Schlaganfall.

Postkarte mit Ansicht des königlichen Landgestüts (Baufzunfthaus Landshut Sammlung Joseph Königseder).

Mario Tamme

Warum schreiben wir von links nach rechts?

Für uns heute ist es selbstverständlich von links nach rechts zu schreiben. Aber das war nicht immer so. Die alten Ägypter schrieben von rechts nach links und manchmal von oben nach unten. Auch Menschen, die arabisch oder hebräisch schreiben, fangen immer am rechten Rand des Papiers an zu schreiben. Der Anteil der Rechtshänder ist in Kulturen, die von rechts nach links schreiben, genauso hoch wie bei uns. Daran liegt es also nicht, dass wir von links nach rechts schreiben. Es gibt einen anderen, einen tieferen Grund: Zuerst haben wir es mit der Frage zu tun, für wen die Schrift eigentlich ist. Sie ist dazu da, Menschliches dem Vergessen zu entreißen. Das kann ein Roman sein, ein Gedicht, ein Märchen oder einfach ein Einkaufszettel. Die Schrift ist also hauptsächlich für den Leser gemacht.

Die alten Ägypter, Hebräer, Araber und Aramäer schrieben von rechts nach links. In der Antike aber kehrte sich die Schriftrichtung um. Das hat zum einen damit zu tun, dass die europäischen Sprachen zum Großteil indogermanischen Ursprungs sind. Der eigentliche Grund aber war der: Lesen hatte in der Antike nichts mit sehen, sondern mit hören zu tun: Die alten Griechen und Römer waren „Lautleser“. Sie hatten die Gewohnheit ausschließlich laut zu lesen: Eltern ließen sich von ihren Kindern vorlesen, denn sie selbst hatten es bereits nach all den Jahren wieder verlernt. Und Cicero hatte eigens einen Sekretär, der nur dazu da war, ihm vorzulesen.

Heute sind wir „Leiseleser“ geworden. Wir können lesen ohne einen Laut von uns zu geben. Das würde Cicero für eine Art Wunder halten; ähnlich wie wir es heute bewundern, wenn ein Musiker eine Partitur liest und in seinem inneren Ohr „hört“, wie es klingt. Für die antiken Menschen war die Schrift etwas Akustisches. Und daran passten sie die Schrift an. Sie änderten die Schriftrichtung. Denn wenn man von rechts nach links schreibt, sieht man den letzten Laut nicht, den man gerade geschrieben hat. Er wird von der schreibenden Hand verdeckt. Aber gerade diesen letzten Laut muss man sehen. Probieren Sie es aus: Nehmen Sie sich Papier und Bleistift, schreiben Sie einige Buchstaben von rechts nach links und versuchen Sie gleichzeitig laut zu lesen. Sie werden zwangsläufig in eine Art Stopseln und Stottern verfallen. Ein gleichmäßiger Lesefluss ist unmöglich. Die Hand ist einfach im Weg! Und das ist einer der Gründe, warum wir von links nach rechts schreiben.

Christoph Goldstein

Foto: https://pixabay.com/de/photos/altdeutsch-handschrift-alter-brief-434739/

Leutnant Albert Feldmeier – Mahner für den Frieden

Am 28. Juni 1914 wurden der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie durch einen nationalistischen Serben erschossen. Das Attentat war der Auslöser für den Ersten Weltkrieg: Die Habsburgermonarchie Österreich-Ungarn und das deutsche Kaiserreich eröffneten Ende Juli/Anfang August den Krieg gegen Serbien, gegen dessen Schutzmacht Russland und das mit Russland verbündete Frankreich. Durch den deutschen Überfall auf Nordfrankreich, unter Verletzung der Neutralität Belgiens und Luxemburgs, trat Großbritannien mit seinen Kolonien am 4. August in den Krieg ein. Der „Grande Guerre“, der „Große Krieg“, wie er in Frankreich genannt wird und an dem letztlich etwa 40 Staaten beteiligt waren, gilt als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“. 17 Millionen Menschen, davon zehn Millionen Soldaten aus ganz Europa und Übersee, fanden den Tod. Unter den etwa zwei Millionen gefallenen deutschen Soldaten ist auch Albert Feldmeier, ein Wirtssohn aus dem niederbayerischen Radmoos.

Ich begegnete ihm zum ersten Mal 2014. Ein archivpädagogisches Projekt zum Ersten Weltkrieg im Stadtarchiv Straubing, das ich leitete, war der Auslöser für eine Suche, die sehr persönlich wurde. Eine Postkarte des in der Straubinger Taubstummenanstalt eingerichteten Lazaretts sollte den Schülern den „Krieg in der Heimat“ mit veranschaulichen. Sie gehörte schon lange zu unserer Sammlung, aber nun las ich Text und Adresse genau durch – und stutzte: „Feldpost. An Herrn Feldmeier Radmoos. Post Mitterfels“. Radmoos, heute ein Ortsteil von Haibach im Landkreis Straubing-Bogen, ist klein – und mir wohl bekannt: Mein Vater Jakob Wagner stammt aus dem dortigen Wirtshaus; ich habe schöne Kindheitserinnerungen an die Besuche bei „Waldoma“ und „Waldopa“, an die begehrten Kracherlflaschen, die Riesenblechbüchse voller Bratheringe und das herrliche Spielen in der alten hölzernen Kegelbahn. Und war nicht Oma eine geborene Feldmeier? „Straubing, den 20. Dez. 16 Liebe Eltern! Habe Max nicht getroffen, Karte zu spät eingetroffen. Bitte wenn jemand diese Tage rauskommt eine Quittung mitzunehmen. Franz kann die Schuhe bringen oder er …“ Ab hier ist die Karte leider nicht mehr lesbar, am Rand ist noch hingekritzelt: „fdl. Gruß Ltnt. Inf. Feldmeier Res.Lazarett Straubing“. Beim nächsten Besuch meiner Eltern hatte ich eine Kopie der Karte dabei. Und tatsächlich: Der Absender Albert Feldmeier war der Onkel meines Vaters! Als Kind hörte mein Vater immer wieder, dass der Albert „sehr gscheit“ gewesen sei, in Straubing sogar „studiert“ habe. Wirklich lässt sich zum Beispiel im Jahresbericht der „Königlichen Realschule“ Straubing für das Schuljahr 1902/1903 in der III. Klasse Albert finden – als drittbester Schüler. Und aus der Alten Meldekartei des Stadtarchivs erfahre ich, dass ein Albert Feldmeier, geboren am 22. Februar 1887 in Radmoos als Sohn der Wirtsleute Rupert und Theres, seit November 1906 in der Mühlsteingasse 546 ½ gewohnt hat und zwar als „Rentamtsincipient“, also als Lehrling im Finanzamt. Am 15. August 1910 meldete sich Albert nach München ab, um hier eine Stelle an der Handelsbank anzutreten.

Albert Feldmeier als Soldat, um 1916

Soldat und Fotograf an der Westfront

Auf den Tag genau vier Jahre später, am Tag Mariä Himmelfahrt 1914, zog er in den Krieg. Er gehörte dem Bayerischen Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 2 München an, das Teil der 6. Deutschen Armee war. Über seine Einsatzorte als Soldat geben die Kriegsstammrollen im Bayerischen Hauptstaatsarchiv Abteilung Kriegsarchiv detailliert Auskunft. Er war an den Brennpunkten der Westfront: in den Stellungskämpfen im nordfranzösischen Artois, in der Schlacht bei Arras, in den Kämpfen am Fluss Aisne – wo er verwundet wurde – und in der Schlacht an der Somme, der mit über einer Million getöteter, verwundeter und vermisster Soldaten verlustreichsten Schlacht des Ersten Weltkriegs. Albert „bewährte“ sich als Soldat, erhielt mehrere Auszeichnungen wie das Eiserne Kreuz 2. und 1. Klasse, und wurde für besonders „rasches und selbstständiges Eingreifen“ belobigt. Er machte militärische Karriere: Er wurde nach Berlin zu einem Lehrgang der „Heeresgasschule“ gesandt, zum „Richtschützen“ ausgebildet und am 14. November 1916 zum „Leutnant der Reserve“ befördert. An der Front übernahm er zunehmend Führungsaufgaben, stieg vom Zugführer zum (stellvertretenden) Kompaniechef auf.  Neben Alberts Namen in der Kriegsstammrolle ist mit Rotstift ein großes Gefallenen-Kreuz gezeichnet. Albert starb am 9. April 1918, am ersten Tag des großen Angriffs der 4. Flandernschlacht, als die deutsche Armee sich aufmachte, das belgische Ypern zu erobern. Er fiel im Kampf um die Stadt Armentières – durch einen Granatentreffer in die Brust. Laut meinem Vater wurde in der Verwandtschaft erzählt: „Übrig geblieben ist nur der Arm mit der Armbanduhr.“ Das Kriegerdenkmal in Haselbach erinnert an ihn. In Frankreich an seinem Grab war noch keiner aus der Heimat. Albert hatte offenbar eine für die damalige Zeit noch eher ungewöhnliche Leidenschaft, die Fotografie. In Familienbesitz ist ein Album aufgetaucht, das Albert während des Krieges angelegt hat. Es sind Aufnahmen aus dem Alltagsleben eines Soldaten an und hinter der Front. Es sind ungeschönte Bilder einer oft grausamen Wirklichkeit: zerstörte Häuser, Kirchen und Dörfer, gefallene französische Soldaten auf der Straße, verwüstete Landschaften mit Baumskeletten, provisorische Soldatengräber, von Wildschweinen ausgeweidete Pferdekörper, Granatenfeuer, Angriffe durch Flammenwerfer. Er fotografierte Soldaten auf Wache in den Schützengräben, bei Feldgottesdiensten und Erholungspausen, in ihren Quartieren, vor Bunkern und Baracken, bei Truppentransporten.

Zerstörte Kirche in Saint-Laurent-Blangy

Spurensuche in Frankreich und Belgien

Im Frühjahr 2024 machte ich mich mit einer Kopie des Albums und zwei Freunden auf den Weg zu den Stätten des Ersten Weltkriegs und auf die Spuren meines Großonkels. Wir folgten der Westfront von Verdun im französischen Lothringen bis nach Ypern im belgischen Flandern. Die Gnadenlosigkeit dieses Ersten Weltkrieges markieren unzählige große wie kleine, pompöse wie bescheidene Gedenkstätten und Soldatenfriedhöfe, über das Land verteilt, zumeist auf früheren Schlachtfeldern errichtet.
Man verstummt: zum Beispiel im „Beinhaus von Douaumont“ mit Gebeinen von über 130.000 nicht identifizierten französischen und deutschen Soldaten, am „Thiepval Memorial“, das an die über 72.000 vermissten Soldaten aus Großbritannien und Südafrika aus den Schlachten an der Somme erinnert, im deutschen Soldatenfriedhof in Neville-Saint-Vaast mit fast 45.000 Gefallenen, am „Notre-Dame de Lorette“ bei Ablain-Saint-Nazaire, dem größten französischen Friedhof mit 45.000 Toten, angelegt auf der umkämpften „Loretto-Höhe“. Hier steht auch der „Anneau de Mémoire“, der Ring der Erinnerung, der 2014 als internationales Mahnmal eingeweiht wurde; der begehbare dunkle Betonring hält in alphabetischer Ordnung auf 500 Tafeln 580.000 Namen von Soldaten fest, die in der Region gestorben sind, und zwar unabhängig von ihrer Nationalität. Dreimal ist der Name Feldmeier Albert hier eingraviert, einer davon ist Albert aus Radmoos.
Begegnungen tun gut: In „Beaumont-Hamel“, dem Gedenkort für die Gefallenen aus Neufundland, einem riesigen ehemaligen Schlachtfeld mit nach wie vor erkennbaren Schützengräben und Granattrichtern, begrüßen junge kanadische Volunteers herzlich. In „The Ulster Tower“ – an der Frontlinie errichtet, an dem die irische Armee am 1. Juli 1916 über 5000 Soldaten verlor – bewirtet ein irisches Ehepaar uns frierende und von dem Gesehenen erschöpfte Deutsche mit heißem schwarzem Tee. Ein französischer Tierarzt hilft in Geluveld auf den mitgebrachten Fotos von Albert Kirchen zu identifizieren. Auch das Frühlingsgrün der Wälder und leuchtende Gelb der vielen Rapsfelder wirken tröstend – bis mittendrin der nächste Soldatenfriedhof, Reste von Bunkern und zerstörten Dörfern oder von der Natur eroberte, aber noch erkennbare Explosionskrater erscheinen. Die Wunden, die diese Region 1914 bis 1918 erlitt, sind augenfällig – und die Freundlichkeit ihrer Bewohner bewundernswert. Bereits die Fotos von Albert Feldmeier zeigen Zerstörungen von Häusern und Landschaften, zeigen aber auch noch intakte Kirchen oder Ortsmitten, die dann doch Opfer des Krieges wurden. Douai, Péronne, Rancourt, Laon, La Bassée, Saint-Laurent-Blangy, Lorgies, Illies, Herlies, Wicres, Marquillies, Geluveld, Menen, Zandvoorde, Tenbrielen waren einige der Stationen Alberts – und unsere.
Hervorragende Museen wie das „Verdun Memorial“ auf den Schlachtfeldern von Verdun oder das „In Flanders Fields Museum“ in Ypern dokumentieren nicht nur den Verlauf des Krieges, sondern auch den Alltag, das Elend, das Schicksal der Soldaten, ungeachtet ihrer Herkunft, ob alliierter Verteidiger oder deutscher Angreifer. Die Erinnerungsstätte „Caverne du Dragon“, die „Drachenhöhle“, am Chemin des Dames, entführt unter die Erde: An einem alten Steinbruch hatte die deutsche Armee hier eine strategisch wichtige, unterirdische Verteidigungs- und Aufenthaltsbastion geschaffen; in diesem beklemmenden Bunkersystem, von französischen Truppen immer wieder angegriffen und teilerobert, haben sich unvorstellbare Szenen abgespielt. Die Straße waren wir nur wegen eines Umweges entlanggefahren – und es stellte sich heraus, nach Vergleichen mit Albumfotos, beschriftet mit „Ailettebachtal“ und „Felsenwohnung“, dass hier auch Albert gewesen sein muss.

Feldbahn im belgischen Flandern: Transport der Soldaten an die vordere Linie der Front

Blauer Luftballon

Albert wurde zunächst dort bestattet, wo er gefallen war. In den Kriegsstammrollen ist lapidar vermerkt: „Beerdigungsort unbekannt. ca. 400 m südlich an der Straße Richebourg – St. Vaast …“ Wir fanden diese Straße, die die heute zu einer Gemeinde zusammengelegten Ortsteile Richebourg und Saint Vaast verbindet. Ein Wassergraben zieht sich entlang des Sträßchens. Als ich dort stand, floss ein leuchtend blauer Luftballon auf mich zu. Ein berührender Zufall. In den 1920er Jahren wurden die vielen kleinen Bestattungsorte und Einzelgräber von Soldaten auf zentrale Kriegsgräberstätten umgebettet. Auch Albert Feldmeier kam damals in den Soldatenfriedhof Lens-Sallaumines. Der bereits im Herbst 1914 angelegte Friedhof wird vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge unterhalten und ist letzte Heimstatt für 15.646 deutsche Soldaten, wobei 7.439 Gefallene in Gemeinschaftsgräbern liegen. Die Erzählung meines Papas, von Albert sei nach dem Granattreffer „nicht mehr viel übrig“ gewesen, bestätigte sich insofern, als er kein Einzelkreuz hat, sondern sein Name auf dem sogenannten „Mannschaftsgrab“ vermerkt ist. Zugang erhielten wir zum Soldatenfriedhof, der Teil des städtischen Friedhofs ist, übrigens wieder nur durch einen Zufall: Der Friedhofswärter hatte sich beim Einkaufen verspätet, daher war das Tor noch nicht versperrt – es war der letzte Abend unseres Aufenthalts in Nordfrankreich und damit die letzte Gelegenheit das Grab zu suchen.
Rote Mohnblüten sind zu Symbolen für das Gedenken an die britischen Soldaten geworden, da sie als erste auf den Gräberfeldern aufgingen, und blaue Kornblumen erinnern an die französischen Soldaten. Sie sind auf dieser Reise stets präsent, in Papierform, in Glasfenstern, auf Wegweisern. Mein Gänseblümchen, das ich von der Wiese des Soldatenfriedhofs pflückte und auf den Stein bei Alberts Namen legte, ist schon lange verwelkt. Die Begegnung mit einem Verwandten, einem klugen niederbayerischen Wirtshausbuben, dem das Leben noch offen gestanden hätte und sich wie bei so vielen seiner Zeitgenossen radikal geändert und jäh geendet hat, wirkt nach. Ein Leben, in dem er als Soldat in seiner Position und mit seiner Ausbildung sicher Leid, Schmerzen, Tod „am Feind“ zu verantworten hatte, in dem er fähig sein musste zu töten – allein die Schilderung der deutschen Gasangriffe im Yperner Museum war fast unerträglich. Der Krieg und der Tod so vieler Menschen waren sinnlos und dürfen es dann doch wieder nicht gewesen sein. Die Soldatenfriedhöfe und Gedenkstätten an den Kriegsschauplätzen, die „Kriegerdenkmäler“ in der Heimat, die Toten sind stete Mahner für ein friedliches Miteinander – auch Albert Feldmeier, mein Großonkel.

Deutscher Soldatenfriedhof Lens-Saullamines, Foto: Gerhard Deser

Dorit-Maria Krenn