Kulturlandschaft und Klimawandel in Niederbayern (4) Böden

Unser Boden bilden den artenreichsten Lebensraum den es auf der Erde gibt. Er ist mit seinen vielen Schichten nicht nur das Gedächtnis der Vergangenheit sondern auch das Gewissen der Gegenwart und der Zukunft, denn gesunde Böden speichern das Treibhausgas Kohlendioxid und sind natürliche Wasserspeicher. Heute mutieren Böden zu einer lukrativen Geldanlage.Weltweit bewirtschaftet 1 % der Betriebe mehr als 70 % der landwirtschaftlichen Nutzflächen; die industrielle Landwirtschaft trägt durch Monokulturen, einseitige Düngung und den Einsatz chemischer Pestizide zum Verlust von Biodiversität, fruchtbarer Böden und des lebendigen Bodenlebens bei. Allein EU-weit gelten mehr als 60 % der Böden als geschädigt. Dabei nutzen wir aktuell einen Großteil der ohnehin knappen landwirtschaftlichen Böden zum Anbau von Futtermitteln für die Viehhaltung.

Wie können Strategien für die Zukunft aussehen? Die Wälder schützen und so den durch Starkregen zerstörerischen Wasserabfluss fruchtbarer Humusschichten reduzieren. Wo Wälder fehlen, kann die Wiederbewaldung die Bodentierwelt fördern, die Widerstandsfähigkeit gegen Dürre und den Wasserrückhalt erhöhen. Der Anbau von Deck- und Zwischenfrüchten verbessert die Bodenfruchtbarkeit, reduziert den Wasserbedarf und Bodenabtrag. Der Schutz des noch vorhandenen Grünlandes dient dem Hochwasserschutz und dient als Lebensraum zum Teil schon arg bedrohte Pflanzen und Tiere. Bäume im Ackerland (Stichwort: Agroforstsysteme) fördern die Artenvielfalt, verbessern die Bodenfeuchte, vernetzen Lebensräume und binden Schadstoffe. Heute spricht man deshalb beim Einsatz all dieser Maßnahmen auch von regenerativer Landwirtschaft. Wichtig wäre es, die so wirtschaftenden Landwirte für die damit verbundenen Leistungen zur Bodengesundheit auch angemessen zu honorieren.

Ein weiterer wesentlicher Baustein zur Reduzierung der heute schon spürbaren Folgen des rasanten Klimawandels ist der konsequente Schutz und die Wiedervernässung von Mooren. Jährlich entweichen allein in Bayern 6,7 Millionen Tonnen CO² aus den 226.000 Hektar zu 95 % entwässerten Mooren. Deshalb gibt es ehrgeizige Wiedervernässungsprogramme – auch der bayerischen Staatsregierung. Wenn eine Moorfläche wieder vernässt wird, ist darauf keine herkömmliche Bewirtschaftung mehr möglich. Statt Kartoffeln und Weizen lassen sich über die sog. Pauludikultur Schilf, Rohrglanzgras und Grossseggen anbauen. Als Dämmstoffe dienen der sich ebenfalls reformierenden Kreislauf-Bauwirtschaft. Die Ämter für Landliche Entwicklung unterstützen mit Modellregionen diesen Umbau zugunsten der Moor-Wiedervernässung. Moorberater unterstützen Landwirte, die sich in Richtung dieser neuen Wertschöpfung ausrichten wollen.

Auch das Projekt boden:ständig aus Niederbayern hat zum Ziel, Böden langfristig zu schützen und zu reaktivieren. Das geschieht unter anderem über den Anbau von Zwischenfrüchten, pfluglos Bewirtschaftung, nachhaltige Humuswirtschaft, Mulchsaat, höhenparallele Bewirtschaftung, Direktsaat und abgestimmte Fruchtfolgen. Dabei ändert sich auch die Kulturlandschaft: begrünte Rückhaltemulden, Pufferstreifen an Gräben und Gewässern, die Versickerung an Hängen und Feuchtflächen kommen der Pflanzen- und Tierwelt zugute. Und wir können uns bei Spaziergängen wieder an schon verloren geglaubter Vielfalt an Formen, Farben und Landschaftselementen erfreuen.

Weitere Infos unter: https://www.boden-staendig.eu und im Bodenatlas des Jahres 2024 und zur Moorberatung am Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Abensberg-Landshut.

Helmut Wartner
Foto: Klaus Leidorf

Der Goldene Steig – eine mittelalterliche Autobahn

Vor über 1000 Jahren war der Bayerische Wald eine gefährliche Wildnis. Von Skifahrern oder Wanderern keine Spur; und Bundesstraßen gab es erst recht nicht. Die älteste Möglichkeit den Bayerischen Wald zu überqueren war die „Via Prachatitz“. Über 800 Jahre war dieser schmale und gefährliche Weg die wichtigste Handelsroute, die Bayern mit Böhmen verband. „Goldenen Steig“ nannte man diesen Weg erst, als sich die Säumer vor allem mit dem Salz, das sie nach Böhmen transportierten, eine goldene Nase verdienten. Die Waldbauern ließen den Pflug in der Scheune, beluden ihre Pferde in Passau mit Salz und anderen Kostbarkeiten, schlossen sich zu Saumzügen zusammen und machten sich auf den Weg nach Prachatitz (heute Prachatice) in Böhmen. Nach und nach entstanden die Orte Röhrnbach (11. Jh.), Waldkirchen (12. Jh.) und Fürholz (13. Jh.). Dort übernachteten die Säumer in den unzähligen Herbergen, tranken Bier in den Wirtshäusern, die wie Pilze aus dem Boden schossen, und ließen ihre Pferde verschnaufen. Um 1500 überquerten so pro Woche weit mehr als 1000 Pferde den Bayerischen Wald, die mehr als 3 Millionen Liter Salz transportierten.

300 Jahre lang war das Dörfchen Fürholz der letzte Mautort auf der bayerischen Seite. Das sagt ja schon der Name: „Fürholz“ bedeutet nichts anderes als „vor dem Holz“. Von dort ging es dann in die gefährliche, unbewohnte Wildnis. Die Säumer, die Maut und Zoll scheuten, schmuggelten ihre Waren auf verbotenen Schleichwegen. Es kam immer öfter zu Streitigkeiten und so wurden Steigwächter eingesetzt, die sich um die Schmuggler kümmerten. Zudem beschützten sie die Säumer vor Räubern, die bis an die Zähne bewaffnet im Wald lauerten.

Trotzdem war das Säumen so beliebt, dass bald strenge Regeln aufgestellt werden mussten: man durfte nicht mit mehr als vier Pferden gleichzeitig unterwegs sein und das nur einmal die Woche. Außerdem war es nur verheirateten Männern, die eine Familie zu versorgen hatten, erlaubt zu säumen. All diese Regeln mussten aufgestellt werden, weil die Bauern sich vor lauter säumen nicht mehr um ihre Äcker gekümmert hätten, die viel weniger abwarfen als der Handel.

1526 fiel Böhmen an die Habsburger. Die Habsburger schraubten die Einfuhrzölle hoch. Sie wollten ihr eigenes Salz über die Route Linz-Budweis verkaufen. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde der Goldene Steig teilweise zerstört. 1706 war es endgültig vorbei. Die Habsburger stellten einfach ein Verbot auf: Nicht eine Prise Salz durfte mehr über den Goldenen Steig nach Böhmen eingeführt werden.

Heute führen die Arme des Goldenen Steigs als Bundesstraßen 11 und 12 nach Tschechien. Andere Abzweigungen sind Wanderwege geworden. Und jedes Jahr im Juli findet das bayerisch-böhmische Säumerfest statt: Dabei stellen Bayern und Tschechen in originalgetreuen Kostümen gemeinsam unter anderem die Reise eines Saumzugs von Grainet (bei Fürholz) bis Prachatice nach und erinnern so an die jahrhundertealte kulturelle und wirtschaftliche Verbundenheit zwischen Bayern und Böhmen.

Christoph Goldstein

Erdställe in Niederbayern

Was ist ein Erdstall? Fakten – Vermutungen – Spekulationen

Erdställe sind künstlich angelegte Höhlen und sie bestehen aus niedrigen Gängen und Kammern, die scheinbar in sinnloser Reihenfolge im Untergrund angelegt worden sind. Im Volksmund werden sie auch als „Schrazlgänge“ bezeichnet, benannt nach den „Schrazln“, zwergenartigen Schutzgeistern, die angeblich in den Erdlöchern wohnen. Mit Erdställen begeben wir uns, so viel ist jetzt schon klar, auf schwankenden Boden und müssen aufpassen, dass wir Sein und Schein nicht miteinander verwechseln.

Erdställe bestehen aus schmalen, niedrigen Gängen mit Spitz- oder Rundbögen, sind in standfestem Gestein (Fels oder Löss) ohne Mauern oder Stützen angelegt. Zudem verbinden enge Schlupflöcher die verschiedenen Teile oder Ebenen miteinander. Kleinere und größere Verbreiterungen, so genannte Kammern, sind durch Gänge miteinander verbunden. Immer wieder gibt es kleinere Ausbuchtungen (Nischen) in den Seitenwänden, größere Nischen haben das Aussehen von Sitzbänken. Bei vielen Erdställen gibt es Hilfsschächte, durch welche beim Bau der herausgehauene Fels abtransportiert wurde, nach Fertigstellung wurden sie oft mit einer Trockenmauer wieder geschlossen. Der Einstieg erfolgt in der Regel senkrecht.

 

Die Interessengemeinschaft Erdstallforschung (IGEF), die am 27. Juli 2022 mit 20 Mitgliedern in Aldersbach tagte, kennt die unterschiedlichen Hypothesen, die immer wieder bemüht werden: Am einfachsten wäre eine Deutung als Versteck. Dagegen spricht ihre Architektur. Sind es dann unterirdische Kultstätten? Vieles deutet darauf hin, dass Erdställe nie betreten wurden. Kann also eine derart mühsame Arbeit unter Tage (die Anlage in felsigem Untergrund) lediglich einem symbolischen Zweck gedient haben? Eine andere (Hypo-) These deutet die Erdställe als nicht weiter definierte Seelenkammern. Als Vorrats- oder Fluchtraum können sie jedenfalls wegen der Enge und der niedrigen Höhe nicht gelten. Ernsthafte Höhlenforscher bleiben da bei den Fakten. Sie nehmen die unterirdischen Höhlen in Augenschein, vermessen und dokumentieren die Erdställe, vergleichen Maße und Formen mit anderen Vorkommen und sind nicht enttäuscht, wenn ein vermeintlicher „Schrazlgang“ sich plötzlich, wie 2022 bei Klafferstraß, Gemeinde Neureichenau geschehen, als ehemaliger Bergbaustollen entpuppt.

Karl Schwarzfischer aus Roding hat im November 1973 den Arbeitskreis Erdstallforschung gegründet. Eine Vielzahl von Heimatforschern insbesondere aus Bayern, Österreich, Frankreich, Tschechien und Irland befassen sich seither gemeinsam mit diesem Thema. Erdställe sind künstlich geschaffene unterirdische Gangsysteme. Sie sind im Hochmittelalter unter bäuerlichen Anwesen, aber auch neben und unter Kirchen und kleinen Burganlagen zu finden. Sie sind „fundleer“. Es gibt keine schriftlichen Aufzeichnungen aus der Entstehungszeit. Weil man meist nur Fragmente vorfindet ist es nicht einfach ein vorgefundenes Gangstück eindeutig zu bestimmen.

Erdställe in Niederbayern

Auf der Grundlage des Erdstallregisters für Bayern, aufgestellt in langjährigen Recherchen durch den Arbeitskreis Erdstallforschung und ergänzt durch die Interessengemeinschaft Erdstallforschung wurden für Niederbayern 403 registrierte unterirdische Gänge untersucht.

 

Nikolaus Arndt und Alfred Baierl haben in jahrelanger Arbeit die 403 registrierten unterirdischen Gänge besichtigt, Daten gesammelt und daraus 151 Objekte als „Erdställe“ klassifiziert. Bemerkenswert ist die Häufung von Erdställen im donaunahen Bayerischen Wald. Aber auch südlich der Donau finden wir in sämtlichen Landkreisen Erdställe. Das Ergebnis der Untersuchungen, auch für die Oberpfalz, ist detailliert einsehbar: www.erdstall-kataster-bayern.com

Nikolaus Arndt

KULTURmobil 2024

Auch in diesem Sommer ist das KULTURmobil wieder in ganz Niederbayern unterwegs. Bis zum 1. September gibt das Ensemble insgesamt 30 Gastspiele. Bereits seit 27 Jahren begeistert das Open-Air-Theater des Bezirks Niederbayern Jung und Alt mit humorvollen, unterhaltsamen und anspruchsvollen Stücken – und das bei freiem Eintritt!

Nachmittags um 17 Uhr steht „Das NEINhorn“ von Marc-Uwe Kling auf dem Programm. Das Kinderstück nach dem Bestseller von 2019 handelt von einem Einhorn, das die kitschige Zuckerwattewelt seiner Artgenossen nicht mehr erträgt und ausbricht. Auf seiner Flucht trifft es auf eigenwillige Charaktere wie den WASBären, der nicht zuhören will, oder den NaHUND, dem echt alles egal ist. Das Stück zeichnet sich durch kreativen Wortwitz und viele Sprachspielereien aus und zeigt auf humorvolle Weise, wie man trotz gesellschaftlichen Drucks seinen eigenen Weg gehen kann. Regie führt Sebastian Kamm, der unter anderem am Theater an der Rott in Eggenfelden als Regisseur und Autor tätig war. Zuletzt war dort im Frühjahr 2024 das Stück PICASSO. Dora Maar, das Pferd und der Stier zu sehen, an dem er maßgeblich beteiligt war. Bei KULTURmobil hat er bereits 2023 mit seiner Inszenierung von Janoschs „Oh, wie schön ist Panama“ für Begeisterung beim jungen Publikum gesorgt.

Abends um 20 Uhr wird William Shakespeares berühmte Komödie „Ein Sommernachtstraum“ aufgeführt. Die bevorstehende Hochzeit des Athener Herzogs Theseus mit der Amazonenkönigin Hippolyta bildet den Rahmen der Handlung. Meisterhaft hiermit verbunden sind die Liebesschicksale von Hermia, Lysander, Helena und Demetrius und den sich einmischenden Elfen um Oberon, Titania und Puck. Zusätzlich entfaltet die Komödie den Handlungsstrang einer urkomischen Handwerkertruppe, die für die nahende Hochzeit ein Theaterstück probt, während nebenan im Wald die Liebeswirren in der magischen Sphäre der Elfen erst so richtig ihren Lauf nehmen.

„Ein Sommernachtstraum“ ist mit seinen poetischen Liebesszenen ebenso wie mit seinen etwas derben und sehr komischen Handwerkerfiguren geradezu prädestiniert, zauberhafte Theaternächte entstehen zu lassen. Nach den Inszenierungen der Jahre 2018 und 2019 kehrt der im Rottal lebende Regisseur Sebastian Goller mit der diesjährigen Produktion zu KULTURmobil zurück. Mit „Ein Sommernachtstraum“ stellt sich der Leiter der Athanor Akademie für Schauspiel und Regie in Passau der Herausforderung, die Größe dieses nicht umsonst seit Jahrhunderten gefeierten Stückes mit den Mitteln des mobilen Theaters neu auszuloten.

Foto: Sabine Bäter

„Verborgene Welten“ fotografisch festhalten

Monsterartige Ungetüme starren dem Betrachter ins Auge, mit Augen, die faszinieren und zugleich ein leichtes Gruseln erzeugen. Seltsame Kugelgebilde wachsen da aus dem Boden, die an Aliens und fremde Welten erinnern. Was hier auf großformatigen Fotos höchst eindrucksvoll in Szene gesetzt wird, sind in Wirklichkeit Insekten und Pflanzen, die im Nationalpark Bayerischer Wald leben. Und diese „Fabelwesen“ erweisen sich in Wirklichkeit als nur wenige Millimeter groß, mit bloßem Auge kaum zu erkennen, extrem schwer wahrnehmbar, quasi unsichtbar. Verborgene Welten also. Und genau diese will der junge Fotograf Lukas Haselberger mit seinen Makrofotografien sichtbar machen. Dies gelingt ihm meisterhaft.

In seinen Ultra-Nahaufnahmen bringt er die verborgene Ästhetik von Mini-Insekten, Pilzen und Pflanzen zum Ausdruck. Das Ergebnis fasziniert: Die zarten Glieder der Pflanzen und Pilze, die schillernden Farben der Käfer, die an kleine Radarkuppeln erinnernden Augen der Insekten bringen den Betrachter zum Staunen. Der Fotograf, der so etwas sichtbar machen kann, ist ein Künstler. Und ein geduldiger und akribisch vorgehender „Handwerker“. Denn es ist extrem schwierig und aufwändig, solche detaillierten und gestochen scharfen Bilder zustande zu bringen.

Bei Objekten, die sich ruhig verhalten, wählt Lukas Haselberger manchmal hundert Einstellungen und mehr. Auf einem „Schlitten“ führt er die Fotolinse Millimeter für Millimeter an das zu fotografierende Objekt heran, stellt scharf und fotografiert. Auf diese Weise gelingt es ihm, dass von jedem Bestandteil des Objektes zumindest jeweils ein extrem scharfes Foto gemacht wird. Mit einer sehr speziellen Software werden dann die hundert Fotos quasi übereinandergelegt und zu einem Foto zusammengefügt. Dieses zeigt dann das fotografierte Objekt in unglaublicher Schärfe und Genauigkeit.

Um seine Objekte aufzuspüren, begibt sich der Fotograf in der Nähe seines Heimatortes Finsterau im Nationalpark Bayerischer Wald auf die Pirsch. Dabei bedarf es eines geschulten Auges. Springspinnen erkennt Lukas Haselberger beispielsweise an ihrem besonderen Bewegungsmuster. Sie sind neugierig und hüpfen gelegentlich direkt auf seine Kamera zu. Solche bewegungsaktiven „Hüpfer“ dann aus nächster Nähe zu fotografieren, sei dann noch einmal eine spezielle Herausforderung, meint der Fotograf.

Lukas Haselberger beschränkt sich aber nicht darauf, „schöne“ und beeindruckende Fotos zu produzieren. Er will, ganz im Geiste Adalbert Stifters, das Große im Kleinen sichtbar machen. Der Betrachter der Bilder soll sensibilisiert werden für die „andere Welt innerhalb unserer Welt“. Denn Insekten spürt der Menschen häufig erst dann, wenn sie ihn stören. Ihren Eigenwert und ihren Nutzen für das Ökosystem übersieht man leicht. Die Fotos verleihen den dargestellten Objekten hingegen durch ihre schiere Größe und ihre verblüffende Ästhetik einen völlig neuen Stellenwert.

Die Fotos des 27-jährigen Fotografen wurden nun in dem prächtigen Bildband „Verborgene Welten der Nationalparke Bayerischer Wald und Sumava“ (Verlag Edition Lichtland) veröffentlicht. Das Buchprojekt wird unterstützt vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfond in Prag. Für Lukas Haselberger ist dies bereits sein zweites Buch. Seinen Master an der Technischen Hochschule Deggendorf hatte er mit dem Buch „Zwischen Holz und Stein – Das Leben an der bayerisch-böhmischen Grenze“ abgeschlossen. Lukas Haselberger wurde 2023 mit dem Förderpreis des Landkreises Freyung-Grafenau ausgezeichnet. In seiner Laudatio zur Preisverleihung umriss Kreisheimatpfleger Karl-Heinz Reimeier die Person und das Wirken des Lukas Haselberger mit folgenden Worten: „Ein Fotograf, Makrofotograf und Spurensucher voller Tatendrang und Visionen. Fasziniert von der Schönheit des Sichtbaren und der Ästhetik des Unsichtbaren in der Natur.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Lukas Haselberger, Verborgene Welten der Nationalparke Bayerischer Wald und Sumava, Verlag Edition Lichtland, Freyung, 2024. 36,90 Euro

Gerhard Ruhland
Fotos: Lukas Haselberger

Kulturlandschaft und Klimawandel in Niederbayern (3) Wald

„Bereits ein einzelner Baum ist oft sehr viel älter, als ein Mensch je werden kann, der Wald als solcher aber ist um Dimensionen älter als der Mensch. Wälder grenzen sich von ihrer Umgebung relativ klar ab. Sie bestehen aus einer schier unübersehbaren Vielfalt von Lebewesen, wobei die Bäume als die größten und ältesten Lebewesen der Welt nur optisch dominieren.“ Dies schreibt der Soziologe und Erziehungswissenschaftler Fritz Reheis in seinem aktuellen Buch „Erhalten und Erneuern“. Es ist gar nicht so leicht, zu definieren, was ein Wald ist. Doch plantagenartige Monokulturen mit Fichten, Eukalyptus oder Ölpalmen sind sicher das Gegenteil eines komplexen, artenreichen Ökosystems. Heutzutage steht der Wald vor zahlreichen Herausforderungen und Ansprüchen: Er soll Holz als Bau- und Brennstoff liefern, das Klima stabilisieren, das Niederschlagswasser speichern und zurückhalten. Und zu unserer Erholung dienen – und das möglichst nachhaltig.

Das Prinzip der Nachhaltigkeit begründete der Forstmann Carl von Carlowitz im 18. Jahrhundert, weil er forderte, dass nur so viele Bäume gefällt werden sollten, wie wieder nachwachsen. Doch was haben wir die letzten drei Jahrhunderte gemacht? Wir roden immer noch die letzten Regenwälder zugunsten von Soja und Ölpalmen, pflanzen wider besseres Wissen Baummonokulturen, missbrauchen die Wälder als Müllkippen. Und wenn es darum geht, letzte Reservate als Wildnis zu schützen, gibt es oft vehemente Widerstände. Denn am Ende geht es immer um Profitmaximierung zulasten der Natur. In Niederbayern zeigt die Diskussion um den Borkenkäfer im Bayerischen Wald exemplarisch das verloren gegangene Verständnis dafür, dass sich die Naturgesetze nicht ohne Folgen einseitig zu unserem kurzfristigen Nutzen ignorieren lassen. Und der Wandel des Klimas zeigt in unseren Wirtschaftswäldern auf, dass sich viele der dort zur wirtschaftlichen Nutzung angebaute Baumarten wie z. B. die Fichte bald verabschieden werden, weil es ihr als Flachwurzlerin zu trocken ist.

Waldumbau ist jetzt in aller Munde, Zukunftsbäume werden hängeringend gesucht, die widerstandsfähiger oder resilienter gegen die sich häufenden Extremwetterereignisse sind. Der Nationalpark Bayerischer Wald ist seit Jahrzehnten auch ein Forschungslabor für Experten, die dort studieren, wie sich die Natur ohne Zutun des Menschen nach Katastrophen wie einem flächigen Borkenkäferbefall selber hilft. Das erfordert Zeit und Geduld – beides Eigenschaften, die der moderne Mensch verlernt hat, der dem Grundsatz von „schneller, höher, weiter“ nachjagt. Doch es gibt ermutigende Versuche wie die „Baumpflanzprojekte“ (TTP) auf deren Website zu lesen ist: „Waldeigentümerinnen und Waldeigentümer können mit einem stabilen Mischwald Klimaschäden oder Preisschwankungen auf dem Holzmarkt besser abpuffern und durch dies Risikostreuung rentabler handeln.“ Dazu pflanzen die Initiatoren zusammen mit freiwilligen Helferinnen und Helfern sog. Nelderräder in Kreisform. Die klimatoleranten Baumarten unterstützen sich dabei gegenseitig im Wachstum, weil sie zu jeder Tages- und Jahreszeit gleichviel Licht bekommen. Das übersichtliche Schema erleichtert in den Folgejahren die Anwuchspflege mit der Entfernung des unerwünschten Wildwuchses. Außerdem hilft ein Einzelstammschutz aus verrottbaren Holzkrausen gegen den Wildverbiss. Denn auch der Grundsatz „Wald vor Wild“ ist noch lange nicht flächendeckend umgesetzt. Deshalb ist die eigentlich erwünschte kostengünstigere Naturverjüngung oft ohne teure Schutzmaßnahmen nicht überall umsetzbar.

Wer noch tiefer in das Zusammenspiel von Wäldern und Kunst einsteigen will, dem sei die Ausstellung „Wälder – von der Romantik in die Zukunft“ empfohlen, die bis 11. August im Deutschen Romantik-Museum in Frankfurt läuft. Der dazugehörige Katalog kostet 12 €.

Helmut Wartner

Foto: https://pixabay.com/de/photos/wald-natur-b%C3%A4ume-drau%C3%9Fen-wildnis-6926059/

Weitere Informationen:

https://waldbaden-niederbayern.de/

https://treeplantingprojects.com/

https://deutsches-romantik-museum.de/ausstellungen/-/waelder-von-der-romantik-in-die-zukunft/1346

 

Er gibt der Kunst ein Zuhause

Das Cover des neuesten Kunstbandes aus der „Sammlung Oehms“, wie sich die Buchreihe nennt, ist einigermaßen ungewöhnlich. Ein Gorilla, in eine Glasvase eingearbeitet, ziert den Band, der sich mit der „weiblichen Seite der Kunst“ beschäftigt. Die begleitende Ausstellung in der St. Anna Kapelle in Passau, bei der gleichzeitig auch das Buch präsentiert wird, zeigt Werke von 21 Frauen. Allesamt entstammen sie der Sammlung von Dieter Oehms in Zenting. Oehms war jahrzehntelang erfolgreicher Musikproduzent, reiste mit seiner Frau Ellen durch die ganze Welt, durch Deutschland sowieso, und machte professionelle Musikaufnahmen mit den besten Orchestern klassischer Musik. Insgesamt 700 Produktionen waren es in seiner Karriere, von der sich der aus der Eifel stammende Dieter Oehms bisweilen auch erholen musste.

Das Ehepaar entdeckte den Bayerischen Wald für sich und baute in Zenting, nahe des Daxstein, 1975 ein Haus aus Rückzugsort, den sie schließlich im Ruhestand zum Hauptwohnsitz machten. Die regionale Kunstszene hatte es ihm immer schon angetan, aber erst nach seiner aktiven Zeit konnte er seine Sammelleidenschaft fortsetzen. Und so finden sich heute dort sowohl Werke der bekannten Donau-Wald-Gruppe als auch moderne Glaskunst. In seinem Haus ist auch die Kunst zuhause – doch diese will er auch mit der Öffentlichkeit teilen.

Mit seinem neuesten Projekt als Herausgeber der Kunstbände aus der „Sammlung Oehms“ (erschienen im Lichtung Verlag) hat sich der heute 82-Jährige viel vorgenommen. Nach den ersten vier Bänden „Christian Schmidt ChriSch“, „Gerhard Lutz Tonkunst“ „Geyermann & Ritterswürden“ sowie „Ateiler Männerhaut“ widmet er sich im fünften Band nun den Künstlerinnen. „Die sind in der Kunst oft unterrepräsentiert, in Museen werden nach wie vor überwiegend Werke von männlichen Künstlern ausgestellt“, erklärt der Kunstkenner.

Und nun schließt sich auch der Kreis zu dem ungewöhnlichen Gorilla-Cover: „Es gibt in den USA die ‚Guerrilla Girls‘, eine Gruppe feministischer Künstlerinnen, die seit der MItte der 80er-Jahre mit spektakulären Auftritten genau auf dieses Thema aufmerksam machen.“ Als Dieter Oehms die Glasvase von Alexandra Gehr mit dem Gorillakopf entdeckte, war klar, dass dieses Motiv auf dem Cover landen sollte. „Damit haben wir genau das zur Botschaft gemacht. Und wir bekommen damit viel Zuspruch“, freut sich Oehms, der mit diesem Projekt gezielt den Blick auf die Künstlerinnen in Ostbayern richten will.

Alle 70 Werke der insgesamt 21 Künstlerinnen, die auch im Buch enthalten sind, werden beim Passauer Kunstverein in einer sechswöchigen Ausstellung gezeigt – und damit wird ein bedeutender Teil der Sammlung Oehms erstmals öffentlich zu sehen sein. Die Ausstellung läuft von 7. Juni bis zum 21. Juli in der Sankt Anna Kapelle in Passau.

Manuela Lang

Der letzte Landshuter Scharfrichter

Als am 26. April 1591 der zum Tode verurteilte, berühmte Quacksalber und Betrüger Bragadino gefesselt und in blau-weiß, den bayerischen Landesfarben, gekleidet, auf dem Münchner Weinmarkt das Schafott bestieg, hatte man zur Ausführung dieser Hinrichtung den Landshuter Scharfrichter bestellt. Bragadino hatte zuvor über Jahre hinweg in Landshut und München auf Kosten des bayerischen Herzogs Wilhelm V. fürstlichst gelebt. Der Herzog erhoffte dafür vergeblich von dem vermeintlichen Goldmacher Bragadino das wertvolle Edelmetall zu erhalten, damit die hohen Staatsschulden getilgt werden konnten. Als das Gold ausblieb und offensichtlich war, dass der Herzog einem Betrüger auf den Leim ging, wurde Bragadino zum Tode durch das Schwert verurteilt. Die öffentliche Hinrichtung, bei der eine große Menschenmenge zugegen war, mutierte zu einer unerträglichen Metzelei. Idealerweise sollte ein Scharfrichter den Delinquenten mit einem Schwertstreich in das Jenseits befördern, indem er den Kopf vom Körper trennte. Der Landshuter Scharfrichter verletzte Bragadino mit dem ersten Schwertstreich nur schwer. Er brauchte insgesamt drei Schwerthiebe, bis der Verurteilte endlich tot war. Die zuschauende Menschenmenge tobte wegen dieser Quälerei und es herrschte eine regelrechte Lynchstimmung. Nur die große Anzahl bewaffneter Soldaten konnte verhindern, dass der Scharfrichter selbst zum Opfer des wütenden Mobs wurde.

In Landshut gab es seit einer Verfügung von Kaiser Ludwig des Bayern vom 11.03.1345 einen Scharfrichter. Die Scharfrichterwohnung war über Jahrhunderte hinweg im Haus Untere Freyung Nr. 594. Der Scharfrichter hatte zur Aufgabe, Beschuldigte im Rahmen des Inquisitionsprozesses zu foltern und Verurteilte zu verstümmeln oder hinzurichten. Sein Beruf galt als unehrlich, aber er war auch ein gefragter Heiler, denn aufgrund seiner anatomischen Kenntnisse wusste er Gelenke wieder einzurichten und Knochenbrüche zu behandeln. Darüber hinaus galt er als ein weit gereister Mann, denn im Herzogtum Bayern Landshut existierten im Jahr 1474 nur in den Städten Burghausen, Ingolstadt und Landshut Scharfrichter, sodass diese zu Verhören und Hinrichtungen auf dem Land anreisen mussten. Die frühneuzeitliche Strafjustiz war grausam und brutal. Bei schweren Diebstählen wurden dem Verurteilten die Ohren abgeschnitten, bei Pferdediebstahl oder Straßenraub hängte man die Täter. Für Mörder galt das Rädern als die übliche Todesstrafe. Beim Rädern wurden dem Delinquenten zuerst die Glieder gebrochen und sie anschließend auf das Rad geflochten. Als „Gnade“ galt es, wenn der Verurteilte zum Tode durch das Schwert verurteilt wurde.

Im Zuge der Aufklärung kam es schließlich zu einer Humanisierung des Strafvollzugs. Freiheitsstrafen verdrängten allmählich die Verstümmelungsstrafen, sodass der letzte Landshuter Scharfrichter Anton Galler im Jahr 1805 sein Amt einstellte. Am 11.09.1808 verkaufte die Stadt Landshut den Galgen und die Hinrichtungsstätte zum Abbruch an einen Michael Holzner um 28 Gulden. Durch das Strafgesetzbuch Feuerbachs im Jahr 1813 verbot die königliche Regierung die Folter in Bayern. Während des gesamten 19. Jahrhunderts gab es nur wenige Hinrichtungen, die der Münchener Scharfrichter vollzog. Als letzter bayerischer Scharfrichter ging Johann Reichhart (1893-1972) in die Geschichte ein. Zwischen 1924 und 1947 vollstreckte er 3164 Todesurteile. Zu seinen Opfern gehörten u. a. Mitglieder der Widerstandsgruppe der „weißen Rose“ um Sophie Scholl.

Mario Tamme

Kulturlandschaft und Klimawandel in Niederbayern (2) Städte und Dörfer der Zukunft

Das Hochwasser vom Sommer 2013 steckt noch vielen Menschen in den Knochen, obwohl die Schäden mit Millionenaufwand inzwischen weitestgehend beseitigt sind. Doch schon beim Thema Vorbeugung vor ähnlichen Vorkommnissen zeigt sich das sprichwörtliche St. Floriansprinzip: ja, schon – aber nicht bei uns oder mir vor der Haustür! Ganz gleich ob es neue Flutpolder, die Rückverlegung von Deichen oder andere Maßnahmen innerorts oder im Bereich besiedelter Flächen in Stadt und auf dem Land sind, der oft kurzfristige Eigennutz verdrängt schnell die vorherigen Ängste um Haus und Hof.

Wenn wir die viel beschworene Resilienz gegenüber Extremwetterereignissen steigern wollen, sind einschneidende Handlungen gefragt. Denn jahrzehntelang haben wir Flächen bedenkenlos versiegelt. In bayerischen Ortschaften mit ihren üppigen Verkehrsflächen sind rund 45 % der Fläche versiegelt. Und in ländlichen Regionen verdrängen Verkehrs-, neue Siedlungs-, Gewerbe- und Industrieflächen immer mehr auch etwa für die Landwirtschaft unersetzliche Produktionsstandorte oder letzte Reste naturnaher Bereiche. Wir meinen, unsere Umwelt kostenlos nutzen zu können. Doch es handelt sich um die Mitwelt, deren Teil wir als Gast sind. So sägen wir kräftig auf dem Ast, auf dem wir sitzen.

Was ist also die Aufgabe? Kommunen suchen jetzt händeringend Spezialisten für Schwammstädte und -dörfer. Erste zum Teil geförderte Mustersiedlungen entstehen. Was unterscheidet sie vom bisherigen Durchschnittsbaugebieten? Der Wasserrückhalt fängt bei begrünten Dächern an, die in der warmen Jahreszeit den von entsprechenden Pflanzen und dem Substrat aufgefangenen Regen zur natürlichen Kühlung nutzen – am optimalsten unter PV-Modulen. Die Flächenversieglung ist auf ein Mindestmaß beschränkt und die Bodenbeläge haben einen hohen Fugenanteil oder sind zusätzlich versickerungsfreundlich. Zisternen und Rigolen halten das überschüssige Wasser zurück, das bei Trockenheit zur Bewässerung zur Verfügung steht. Entwässerungsgräben – oder -wälle im hängigen Gelände – halten das Niederschlagswasser ebenfalls zurück. Das Amt für Ländliche Entwicklung hat mit dem Projekt „boden:ständig“ wirksame und wissenschaftlich begleitete Bausteine für eine zukunftsgerichtete Bodenbewirtschaftung entwickelt. So soll das Niederschlagswasser möglichst früh auf den Flächen zurückgehalten werden, bevor es ungebremst in Siedlungsgebieten große Schäden anrichten und wertvolle Humusschichten abtragen kann. Auf der Homepage https://www.boden-staendig.eu/ueber-uns gibt es auch eine interaktive Karte, mit der amn sich über die vielen Initiativen informieren kann.

In Städten geht es u.a. darum, durch kreative Mehrfachnutzung der knappen und umkämpften Flächen gegenüber extremen Wetterschwankungen abzupuffern und zu kühlen. Eine stärkere Begrünung der kahlen und tristen Innerortsbereiche ist das Gebot der Stunde. Jeder neu gepflanzte Baum mit ausreichenden Wurzelraum für sein langfristig gesichertes Wachstum hilft. Fachleute sowie Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten können unter den Schlagworten „Grüne“ und „Blaue“ Infrastruktur in Zusammenarbeit mit weiteren Fachdisziplinen, aufgeschlossenen Verwaltungen und Entscheidungsträgern in Kommunalparlamenten dafür sorgen, etwa das Klima, die Luft und Versickerung in Dörfen und Städten zu verbessern. Und nicht nur das, vielleicht werden dadurch am Ende unsere Orte sogar schöner und lebenswerter.

Helmut Wartner
Luftbild: Klaus Leidorf

Das Superwahljahr 1924

Nachdem der Hitler-Ludendorff-Putsch am 8./9. November 1923 im Kugelhagel der bayerischen Bereitschaftspolizei gescheitert war, hatte die Regierung die NSDAP als Partei verboten. Hitler saß in Landsberg am Lech in Untersuchungshaft. Seinen Prozess wegen Hochverrats nutzte er propagandistisch aus. Er hielt lange Monologe, die ihm noch mehr Sympathie bei seinen Anhängern einbrachte. Auch wenn die NSDAP als Partei verboten war: Ihr Gedankengut in den Köpfen der Bevölkerung konnte man nicht ausmerzen. Auch ohne Hitler ging die Hetze gegen den Staat und das parlamentarische System weiter. In Bayern hießen die Nazis nun „Völkischer Block“ und ihre zentrale Figur war Gregor Strasser (1892-1934), ein studierter Apotheker, der seit 1921 in der Landshuter Zweibrückenstraße eine Medizinaldrogerie betrieb.

Foto von Gregor Strasser. Gregor Strasser war einer der wichtigsten nationalsozialistischen Politiker in der Weimarer Republik. Ende des Jahres 1932 brach er mit Adolf Hitler und zog sich aus der Politik zurück. Am 30.06.1934 wurde er von SS-Schergen ermordet. (StadtA Landshut Fotosammlung Nr. 557).

Foto von Gregor Strasser. Gregor Strasser war einer der wichtigsten nationalsozialistischen Politiker in der Weimarer Republik. Ende des Jahres 1932 brach er mit Adolf Hitler und zog sich aus der Politik zurück. Am 30.06.1934 wurde er von SS-Schergen ermordet. (StadtA Landshut Fotosammlung Nr. 557).

Strasser politische Arbeit hatte in Landshut und ganz Niederbayern Erfolg: Schon Anfang März 1924 hatte die Ortsgruppe des Völkischen Blocks in Straubing über 700 Mitglieder unter der Leitung des Kaufmanns Hans Oberlindobler. Bei den Landtagswahlen am 6. April 1924 kandidierte Gregor Strasser für den Wahlkreis Niederbayern und die Stimmkreise Bogen-Kötzting, Straubing-Landau, Deggendorf, Pfarrkirchen, Dingolfing-Mallersdorf und Kehlheim-Mainburg-Rottenburg. Für die Stimmkreise Landshut-Vilsbiburg und Eggenfelden kandidierte Ludwig Graf von Seiboltstorff. Der oberste Leitsatz des Völkischen Blocks im Wahlkampf lautete „Die Grundeinstellung unserer Partei ist eine antiparlamentarische.“ Auch wenn die Nationalsozialistische Partei verboten war, war jedermann klar, dass der Völkische Block eine Ersatzorganisation war, die das Nazi-Gedankengut weitertrug. In Landshut war Strasser allgemein als der „Nazi-Strasser“ bekannt. Bei der Landtagswahl am 6. April 1924 ging zwar die Bayerische Volkspartei mit 32,9 % der Stimmen als Sieger hervor. Der Völkische Block erzielte allerdings bayernweit 17,1 % und die ebenfalls extrem nationalistische Deutsch-Nationale-Volkspartei 10,4 % der Wählerstimmen. In Landshut votierten sogar 35,40 % für den Völkischen Block, in Straubing wurde der Völkische Block mit 35,32 % der abgegebenen Wählerstimmen sogar stärkste Kraft, noch vor der Bayerischen Volkspartei.

Ein Wahlplakat des nationalsozialistischen Völkischen Blocks mit dem Hakenkreuz an einem Haus in der Landshuter Seligenthalerstraße im Jahr 1924.

Damit zogen die Nationalsozialisten mit ihrem Völkischen Block erstmals in den bayerischen Landtag ein. Gregor Strasser feierte diesen Wahlsieg mit seinen Spießgesellen im Landshuter Kollerbräu. Seine Siegesrede schloss er, umringt von jubelnden Anhängern, mit den Worten „Deutschland den Deutschen“. Mit Stimmen der Bayerischen Volkspartei wurde schließlich sogar ein Mitglied des Völkischen Blocks zum ersten Vizepräsident des Landtages gewählt, obwohl dieser Posten eigentlich einem Mitglied der zweitstärksten Fraktion des Landtages, der SPD zugestanden hätte. Gregor Strasser fungierte als Fraktionsführer des 23 Abgeordnete umfassenden Völkischen Blocks. Strassers Ziel war: Als Parlamentarier die Vorteile des Parlamentarismus ausnutzen und den Parlamentarismus und die Demokratie von innen heraus bekämpfen. Strasser ist stark republikfeindlich, antisemitisch und verschwörungstheoretisch angehaucht. Er will Juden die Bürgerrechte nehmen, sogenannte „Fremdrassige“ ausschließen, Ausländer abschieben, den Versailler-Vertrag bekämpfen und die Freilassung Hitlers und seiner Mitstreiter erwirken.

Als Fraktionsführer hielt Gregor Strasser, der als begnadeter Redner und Rhetoriker galt, am 9. Juli 1924 seine erste Rede im Landtag. Sie gilt als die allererste Rede eines Nationalsozialisten in einem bayerischen Landtag. In dieser Rede brachte er seine Ablehnung des parlamentarischen Systems zum Ausdruck. Strasser hetzte gegen den „Juden Rathenau“ und brachte seinen Theorien über eine jüdische Weltverschwörung zum Ausdruck.

Die Reichstagswahl vom 4. Mai 1924 endete ebenfalls wie die zuvor stattfindende Landtagswahl mit großen Stimmengewinnen der extremen Rechten. Die Nationalsozialistische Freiheitsbewegung, der Dachverband aller völkischen NSDAP-Ersatz-Parteien, hatte reichsweit 6,6 % Stimmen eingefahren. Die Deutschnationale Volkspartei sogar 19,5 %, womit sie knapp hinter der SPD zweitstärkste Kraft wurde. In Bayern erzielte der Völkische Block 16 % der Stimmen. Wieder waren Straubing und Landshut Hochburgen. In Landshut blieb zwar die Bayerische Volkspartei stärkste Kraft mit 42,14 % der Stimmen. Der Völkische Block wurde aber zweit stärkste Kraft mit 32,37 %. In Straubing gelang es dem Völkischen Block mit 28,52 % ebenfalls zweit stärkste Partei zu werden.

Nachdem sich der Reichstag im Oktober 1924 wieder aufgelöst hatte, wurden abermals Neuwahlen angesetzt. Diesmal am 7. Dezember 1924. Zu diesem Zeitpunkt stabilisierte sich die politische Lage der Republik wieder. Der Hintergrund war, dass sich infolge von nach Deutschland strömenden ausländischen Krediten die wirtschaftliche Lage entspannte und die Arbeitslosenquote zurückgegangen war. Die extremen Rechten hatten dadurch Zulauf verloren. Dies schlug sich dann in den Wahlergebnissen wieder. Reichsweit gelang es der SPD mit 26 % die stärkste politische Kraft zu werden. Die nationalistische Deutschnationale Volkspartei erreichte zwar 20,5 % Stimmen, die Nationalsozialistische Freiheitsbewegung stürzte jedoch total ab. Sie hatte jetzt nur noch 3,0 % Stimmenanteil erreicht. In Straubing erzielte der Völkische Block diesmal 11,52 % der Stimmen. In Landshut hatten sie noch 14,75 %. Diese Ergebnisse führten zur Ernüchterung unter den Nationalsozialisten. Allmählich spürte damals die Bevölkerung den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufschwung, der uns heute unter dem Schlagwort „Die Goldenen 20er- Jahre“ bekannt ist. Einige Jahre später scheiterte dann die Weimarer Republik, weil die demokratische Mehrheit der Wähler im Jahr 1932 undemokratische Parteien gewählt hatte. So wurde Hitler zum Reichskanzler und Deutschland zur Diktatur, die mit einem verlorenen Weltkrieg und dem Menschheitsverbrechen eines singulären Völkermords endete. Für den Wähler von heute gilt es aus den Wahlen der Weimarer Republik Lehren zu ziehen und keine Parteien zu wählen, die in ihrer Ausrichtung undemokratische Tendenzen befördern oder im Verdacht stehen, den Parlamentarismus auszuhöhlen oder ganz abschaffen zu wollen.

Mario Tamme